6631821-1956_42_06.jpg
Digital In Arbeit

Der „einsame Mensch“

Werbung
Werbung
Werbung

Im März, dieses Jahres erregte ein Buch auf dem japanischen Markt heftiges Aufsehen, am meisten im kaiserlichen Palast und an der Gakushuin-Universität. Es heißt „Kodoku no hito“, zu deutsch „Der einsame Mensch“, und mit ihm ist kein Geringerer gemeint als der japanische Kronprinz Akihito. Der kühne Verfasser heißt Taisuke Fujishima und hatte mit dem Thronfolger zehn volle Jahre die Schulbank gedrückt. Nun hat der 23jährige Fujishima seine ökonomischen Studien beendet und mit diesem Buch, ganz contre cöeur, debütiert. Nicht Sensationslust habe ihn bewogen, mit diesem so heiklen Thema an die Oeffentlichkeit zu treten, sondern einzig die Sorge um den Kronprinzen, dem er sehr zugetan sei: Diese uneigennützigen Motive bestätigte auch ein Professor, der Fujishima als Hörer kannte.

Um das Aufsehen, das dieses Buch verursachte, zu verstehen, bedarf.es .eines Rückblicks. Der 2. September 1945 war für Japan seit der erzwungenen Oeffnung des Inselreiches durch Commodore Perry am 13. Februar 1854 der einschneidendste Tag seiner Geschichte. Auf dem Schlachtschiff „Missouri“ der US Navy unterzeichnete General Yoshira Umeza die Kapitulationsurkunde. Vor ihm stand kühl und gelassen, obwohl es sein größter Triumph war, General Mac Arthur. Die Welt, vor allem Rußland, verlangte den Kaiser und Gott Japans, den Tenno, zu entthronen und vor ein Rache-geficht zu stellen. Mac Arthur, ein weitsichtiger Mann sagte nein und unterstellte den Kaiser dem neuen japanischen Parlament. Diese Ent-göttlichung des „Sohnes des Himmels“ hat den Kaiser Hirohito ungeheuer populär gemacht. Er ist nun nach der Verfassung das Symbol des Staates und der Einheit des Landes. Wo immer r auftaucht, in Tokio, Yokohama, Osaka, in den Industriestädten und in der Provinz, umbrandet ihn frenetischer Jubel, sein Buick wird rasch von starken Händen in die Höhe gehoben und auf muskulösen Schultern getragen. In dieser Art bezeugt sich eine Art Genugtuung der Japaner gegenüber den Siegern von gestern. Denn wie eine Lawine drangen amerikanische Einflüsse, Coca-Cola, Hollywood, Ja2z und Nylon ins japanische Volk, stießen hier auf eine uralte Tradition und formstrenge Kultur, führten iu Spannungen und Verzerrungen, zur Ratlosigkeit in der japanischen Seele.

Solche Spannungen spielen sich in gewissem Maße auch in der Seele des Thronfolgers ab. Der rasche, durch, die Umstände erzwungene Sprung vom absoluten Tabu und vom Olymp in die lärmende Fröhlichkeit einer Klasse echter Buben hat in' Akihito, dem Nachfolger der ältesten Dynastie der Welt (er ist der 125. Vertreter einer ununterbrochenen Ahnenreihe von Kaisern, die seit rund 2600 Jahren über Japan herrschen) eine innere Unsicherheit und Einsamkeit mit sich gebracht.

Akihito Tsuyu no Miya, zu deutsch: Nachfolger der erleuchteten Güte, wurde am 23. Dezember 1933 als ältester Sohn des Kaisers Hirohito und der Kaiserin Nägako geboren. Schon bald vertauschte er die traditionelle japanische Kinderkleidung mit Anzügen westlichen Schnitts, die Lehrer wurden ebenfalls ohne höfische Rücksicht erwählt. Das Buch beginnt mit den Jahren nach dem Zusammenbruch, als der amerikanische Einfluß hohe Wogen schlug und an den Universitäten amerikanische Instruktoren lehrten. Die Amerikaner hoben die alten, Gehorsam fordernden Moralkurse auf, setzten jedoch nichts Gleichwertiges an ihre Stelle, sondern führten das sogenannte „demokratische“ Schulprinzip ein, das die Religion — so wie sie sich in den verschiedenen Bekenntnissen äußert — aus der Schule verbannte, um nur den Menschen als höchstes Wesen in den Mittelpunkt zu stellen, losgelöst von allen so „unwürdigen“ übernatürlichen Ueberzeugungen und Bindungen. Die Folge waren unglaubliche Disziplinlosigkeiten. Seit 1936 hat sich die Zahl der jugendlichen Missetäter in Japan verneunfacht und betrug 1954 43 5.000. Akihito erlebte selbst diese, die eigene Art zerstörende westliche Welle, aber auch die heftige, sich in wilden Aeußerungen Luft machende Reaktion der japanischen Jugend. Er selbst fand aber auch, daß er inmitten seiner Klassenkameraden ein Einsamer bleiben mußte. Es war ihm zwar keineswegs verwehrt, sich seiner Jugend zu freuen, aber man sah in ihm doch mehr den kaiserlichen Prinzen als den Mitschüler. Akihito suchte daher voij sich aus Freunde, etwas zu sehr vom Wunsch beseelt, nicht allein zu bleiben, Anschluß zu finden. Leider fehlte ihm darin jegliche Erfahrung. So drängten sich um ihn Schmeichler und „Freun-derln“, die ihn von den anderen abschirmten und sich zu einer undurchdringlichen Phalanx entwickelten. Der Einfluß auf den Unerfahrenen ist schlecht, jedenfalls so schlecht, daß der Autor sorgenvoll sich an die japanische Oeffentlichkeit wandte. Da wird von einem Ausflug berichtet, den Akihito in der Sexta unternahm. Er und zwei Mitschüler stahlen sich abends aus dem Schlafsaal, überlisteten den Posten und bummelten durch die Ginza, den turbulentesten Teil Tokios, wo sie aber bald von Studenten der Keio-Universität erkannt und umringt wurden. So fuhren sie mit der Bahn bald wieder zurück. Die Sache flog auf und die beiden Kumpane und der Wachposten bekamen eine schwere Strafe aufgebrummt. Akihito sagte aber, es sei seine angenehmste Erinnerung gewesen.

Was fand er an diesem Ausflug ins nächtliche Tokio? Diese Frage scheint berechtigt. Die menschliche Realität, die sich ihm hier zweifellos am makellosesten darbot, nach der ihn als künftigen Kaiser dürstete und in die er sich auf diesem Wege als neuer Harun al Raschid einschleichen mußte, weil sie ihm sonst überhaupt verschlossen blieb. Darauf wolle er, so sagte Fujishima, hinweisen, denn jetzt beende dieser seine formale Bildung, Privatlehrer würden ihn weiter unterrichten und damit alle Berührungen mit dem arbeitenden Japan, mit seinen Sorgen und Problemen, mit Klassenkameraden aus allen Schichten, wegfallen. Gewiß, Akihito ist wißbegierig, von überdurchschnittlicher Intelligenz, er besitzt auch die unerlernbare Fähigkeit begabter Souveräne, jenes Lächeln nämlich, das den Angestrahlten meinen läßt, es gelte nur ihm, er ist viel gereist — aber es waren doch nur Fürstenreisen, geplant und behütet.

Nun tritt auch die Heirat des Fürsten in ein aktuelles Stadium. Seinen engsten Freunden ließ er wissen, er wolle eine Frau nach seiner eigenen Wahl, weder aus prinzlichem noch hochadeligem Geblüt. Das ist geradezu revolutionär, aber er konnte sich dabei auf seinen kaiserlichen Vater berufen. Hirohito brach nämlich schon 1924 mit der jahrhundertealten Tradition, freilich gegen den heftigsten Widerstand der Hofkreise, als er die Prinzessin Nagako zur Frau nahm, die nicht zu dem Kreis der fünf Familien gehörte, aus denen der Kronprinz zu wählen hatte. Akihitos Schwester Takako heiratete bekanntlich 1949 den bürgerlichen Violinisten Koscho Otani, der allerdings der einzige Sohn und Erbe des Abtes der unermeßlich reichen Tendai-Sekte ist. Auch die ältere Schwester, Prinzessin Kasuko, nahm im März 1950 keinen Aristokraten zum Mann, sondern den wissenschaftlichen Hilfsarbeiter am Reichsmuseum in Tokio, Toschimitschi Takatsukasas, den Sohn des gegenwärtigen Oberpriesters des berühmten Meiji-Schreins. Diese Demokratisierung der Monarchie will Akihito fortsetzen. Vor fünf Jahren schon hielt der japanische Kronrat auf kaiserliche Veranlassung Brautschau. Damals wurden zwei dreizehnjährige Prinzessinnen, Kita-schirakawa Taira, deren Vorfahren berühmte Militärs waren, und Prinzessin Hideko aus der Familie der Satsuma genannt. Scheinbar zerschlug sich damals das Projekt, das unter völliger Nichtachtung des Glücksanspruchs eines jungen Menschen geplant wurde, an dem beharrlichen Nein des Thronfolgers. Nun wurde durch einen sehr informativen Bericht der Zeitung „Asahi-Shimbun“ erneut bestätigt, daß Akihito eine ausgesprochene Neigungsehe einzugehen wünsche und besondere Qualitäten von seiner zukünftigen Frau verlange, die weit über das hinausgehen, was man gemeinhin von einer „guten Landesmutter“ verlange. Und das ist ein gutes Zeichen für Japan und sein Herrscherhaus.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung