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NOBUSUKE KISHI / VERNUNFT ZÄHLT, NICHT GEFÜHL

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Eisenhower werde zittern müssen, wenn er am 19. Juni neben Kaiser Hirohito den langen Weg vom Flugplaz Haneda ins Zentrum der japanischen Hauptstadt zurücklege. Das versicherte kürzlich der linksextremistische Studentenverband Zengakuren. Eisenhower solle sogar „körperlich“ bestraft werden. Demgegenüber gaben japanische Rechtsgruppen die Parole aus, sie würden den US-Präsidenten „bis zum Tod“ gegen jeden Angriff zu verteidigen wissen. So streng sind dort die Bräuche, meint der westliche Beobachter. Aber der eigentliche Zorn richtet sich gegen Kishi. Nicht sosehr des revidierten Sicherheitspaktes mit den USA wegen, sondern angeblich wegen der undemokratischen Methoden, mit denen der Premier seine Revision durchgesetzt hat. Beinahe wäre ja sein Regierungssitz gestürmt worden, hätten nicht hunderte, mit Stahlhelmen und Schlagstöcken ausgerüstete Polizisten auf die wütenden Studenten eingedroschen. Das sieht allerdings schlimmer aus, als es ist. Japans Jugend lernt von Kindesbeinen an Judo und andere der Samuraitradition entlehnte Techniken des Kampfsports.

Kishi blieb von allem unberührt, das geziemt dem Abkömmling der Samurai. Er entstammt der Präfektur Yamaguchi, jenem westlichen Gebiet der Hauptinsel Honshu, aus dem die Ritter kamen, die das Shogunat der Tokugawa stürzten. Diese Präfektur blieb ein Reservat von Staatsmännern seit alten Tagen. Kishi ist der zweite Sohn der Familie Sato. Ursprünglich war sein Vater ein Kishi, der aber die letzte Erbin der reichen Sato ehelichte und, wie es nach altem Brauche üblich ist, den Namen seiner Frau annahm. Dem heutigen Premier erging es umgekehrt, da er, weil kein männlicher Nachkomme mehr da war, in die Ktshi-Familie zurückadoptiert wurde. 1919, als Jurastudent, heiratete er seine Kusine Yoshiko. Die Verwandtschaft mit den Familien Matsuoka, Yoshida und

Aikawa schuf mit die Voraussetzungen einer großen Karriere, bedingte sie aber nicht. Er gehört zu jenen Produkten einer Gesellschaftsordnung, die durch den Namen sich verpflichtet fühlt, zeitlebens und über Generationen hinweg. Von den genannten Familien meint man scherzhaft, daß die ganze Nation von ihnen abstamme. Die Außenpolitik war stets ihre Domäne.

Kishis Aufstieg zeichnete sich durch eine Stetigkeit aus, wie sie etwa den Absolventen der „Großen Schulen“ Frankreichs eigen ist. 1920 promovierte der junge Nobusuke an der kaiserlichen Universität Tokio zum Doktor der Rechte. Dann trat er ins Handelsministerium ein. In den späten zwanziger Jahren weilte er in den Stahlzentren der Vereinigten Staaten, besuchte England und Indien. 1930 bereiste er Europa. 1936 nahm er eine Berufung als Vizedirektor des industriellen Sektors in der Regierung von Mandschukuo an. Mit Stolz bezeichnet er sich später als den Schöpfer der mandschurischen Eisen- und Stahlindustrie. Dafür wurde er am 11. September 1945 vom alliierten Militärtribunal verurteilt. Er habe, so hieß es in der Anklageschrift, imperialistische und kriegsverbrecherische Ziele verfolgt. Ironie des Schicksals: die unter Kishi aufgebauten Stahlwerke wurden von den Russen sofort demontiert, den Chinesen fiel der geringere Teil in die Hände. Sie gehören aber heute zu jenen Attraktionen, die der Chinabesucher zu „absolvieren“ hat.

1942 stieg Kishi aktiv ins politische Leben ein, war Abgeordneter, Handels- und Industrieminister. Nach einer Auseinandersetzung mit dem damaligen Premier Tojo verbrachte er lange Zeit in der Provinz, von wo er dann nach der Kapitulation in das Sugamogefängnis übersiedelte. 1948 wurde er entlassen und begann sein Comeback. Nach dem Zusammenschluß der Demokraten und Liberalen übernahm er das Amt des Generalsekretärs, stisg 1956 zum Außenminister auf und ist seit 27. Februar 1957 Premier.

Uber sein Privatleben ist wenig bekannt. Dem guten Golfspieler werfen die Gegner Korruption vor. Was daran wahr ist, kann niemand entscheiden. Kishi hat als Erbteil der Samurais gute Nerven und einen kühlen Verstand. Ihm eignet in seinen politischen Überzeugungen ein hohes Maß von Integrität. Diese Integrität zu bewahren, ist in seiner Position nicht leicht. Er werde, so sagte er in der bekanntgewordenen Sondersendung des japanischen Rundfunks, der Gewalt nicht weichen...

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