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Japans neue Rechte

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Krasser als in anderen Staaten ist in Japan das Mißverhältnis von sichtbarer Spitze und unsichtbarer Masse des politischen Eisbergs; ganz wenig liegt über, Unergründbares unter dem Wasserspiegel. In japanischer Tradition ist ein Politiker der sichtbare Akteur zur Exekution von Plänen und Entscheidungen der unsichtbaren Machthaber.

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Krasser als in anderen Staaten ist in Japan das Mißverhältnis von sichtbarer Spitze und unsichtbarer Masse des politischen Eisbergs; ganz wenig liegt über, Unergründbares unter dem Wasserspiegel. In japanischer Tradition ist ein Politiker der sichtbare Akteur zur Exekution von Plänen und Entscheidungen der unsichtbaren Machthaber.

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Als die Tradition noch ihre echten Zähne hatte, waren bei Unstimmigkeiten mit den Akteuren erzwungene Regierunigsauflösung oder das Attentat auf einen obstinaten Politiker die Korrektionsmittel der Unsichtbaren. Im demokratischen Nachkriegsjapan mußten zeitgerechtere Methoden der Korrektur entwickelt werden. Die Wahl des Parteipräsidenten Tanaka Kakuieo beim Parteitag der Liberaldemokratischen (Re-gierungs-) Partei war das Resultat eines geglückten Vorstoßes massiver Hintergrundmächte gegen die eta-hLierte Parteiführung. Der Vorstoß fegte den favorisierten Kandidaten Fukuda von der Bühne, traf dessen Förderer, den scheidenden Partei-und Regierungsführer Sato Eisaku und beendete endgültig die Ära der bürgerlich-konservativen Nachkriegspolitik. Die Stoßrichtung mutet modern an; freier Weg für eine neue China- und Moskau-Politik. Die Kräfte dahinter und die Exekutoren sind eher klassische in der japanischen Politik: die Wirtschaft und ihre politischen Bosse. So ist der neue Parteipräsident, der automatisch Regierungschef wenden wird, die japanische Emanation der internationalen „Neuen Rechten“.

Beim außerordentlichen Partei-konigreß ging es um den Erbkomplex im politischen Empfinden der Japaner, um Japans Verhalten zum Nachbarn und Kulturspender China. Der am Chinaproblem gescheiterte Partei- und Regierumgsführer Sato hatte geplant, daß sein Nachfolger die unabwendbar gewordene Abkehr von Nationalchina im Zeitlupentempo vornehmen und den Weg nach Peking trotz verspäteten Aufbruchs gemessenen Schrittes gehen werde. Als Außenminister im Sato-Kabinett wäre Fukuda der kongeniale Nachfolger Satos gewesen. Aber die Kräfte im Hintergrund hatten — wie weiland die Meiji-Samurai — von den Amerikanern gelernt und sie fieberten nun, mit Hilfe der „Made-in-USA“-Methoden die USA zu überholen — auf dem Weg nach Peking. Präsident Tanakas Machtbasis im Hintergrund meint Chinahandel, wo über Chiniapolitik gesprochen wird. Es sind die nach erzwungener Nach-kriegsentknüpfunig wieder fest verknüpften MoMsterkombdnate von Industrie, Handel, Finanz. Japans legendäre Zaibatsus.

Satos Regierung hat ihren politischen Tod erstaunlich lange Zeit überlebt. Nixons Ankündigung seiner Reise nach Peking hatte Sato Eisaku total uninformiert, die japanische Öffentlichkeit total unvorbereitet getroffen. Der Schock trieb die kränkliche Regierung in ihr Endstadium; Washingtons Dollarpolitik und Im-portrestriktionen waren ihr Tod. Doch Sato schien seinen politischen Tod nicht zur Kenntnis zu nehmen und überall in Japan wuchs echte Unruhe — gefährlicher als die Strohfeuerunruhen der Zengakuren in vergangenen Zeiten. Die Verwirklichung von Nixons Reiseplänen zwang Sato, endlich die Konsequenzen zu ziehen. Die lange Zeitspanne zwischen dem politischen und dem klinischen Tod seines Kabinetts war vom Regierungschef sorgfältig eingeplant worden, um seinen Mann, Fukuda, durch intensive Vorbereitung die Nachfolge zu sichern. Deshalb war Kukuda der hohe Favorit, Wirtschaftsminister Tanaka ein sicherer Zweiter und die Minister Ohiro und Miki galten als „Ferner liefen“. Nach dem ersten Wahlgäng offenbarte sich aber ein vorher geschlossenes Bündnis Tanakas mit den „Ferner liefen“, das dem sicheren Zweiten die Wahl zum „Ichibari“, dem Ersten, sicherten. Sato schien' erschüttert zu sein, Fukuda erstaunt; verwunderiiehe Naivität zweier politischer Veteranen im Scheiden.

Ohira Masayoshi, asienbewußter Politiker der Rechten, lehnte es als Außenaninister ab, sich mit den Sprachen des Westens abzugeben. Niki Takeo, schal gewordene alte Hoffnung der Linksliberalen, war in Moskau in seinem Werben um einen Friedensvertrag weitergegangen, als ihm zustand, und er balancierte mit seiner Chinapolitik am Rande des Erlaubten. Ohiro und Miki mußten sich als Verbündete bei der Stichwahl hinter Tanaka finden, dem Kandidaten einer „Japan-first-“ und fernöstlichen Nachbarschaftspolitik. Ihre Namen werden auch auf Tanakas Kabinettsliste zu finden sein; zusammen mit dem Regierungschef ein Triumvirat der neuen Peking- und der neuen Moskau-Politik, dem zweifellos die unmittelbare Zukunft gehört

Tanaka ist kein Patrizier aus der kurzen Nachkriegsepoche einer echten Verbürgerlichung der japanischen Politik. Selfmademan, umgeben von Leibwächtern, herablassend und verbindlich hilfsbereit im Umgang mit Freunden, hochfahrend gegenüber Fremden, undurchdringlich, entspricht er dem Bild eines „Bosses“. Tanaka kann aber doch mehr werden als ein erfolgreicher Boß. Er hat das Glück, daß die Wünsche der Wirtschaftsbarone mit der Machtentwicklung der internationalen Politik auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Er wurde gewählt, um diese Rechnung aufzustellen. Und zu lösen. Als klassischer Boß steckt er viel tiefer in der Tradition des japanischen Nationalismus als die honorigen Patrizier der japanischen Politik von gestern. Ihm könnte es gelingen, die Rechnung im Sinne des Neo-Nipponismus zu lösen. Der harte Kern der neuen Chinapolitik ist für Japans Wirtschaft, die schillernde Schale aus Freundschaft und Nachbarschaftsliebe für die Gemüter der Massen, ein kleiner Beigeschmack von Asiensolidarität, der aber stärker werden kann, ist für die radikale Rechte und für die radikale Linke bestimmt.

In seiner Rade vor dem Kongreß sprach Tanaka von drei Vorrangproblemen und nannte sie nicht. Inoffizielle Version: Beziehungen zu China, Friedensvertrag mit der UdSSR, Umwelt. Trotz seines festen Auftretens muß er den Weg nach Peking erst mit dem Kompaß suchen und niemand weiß, welche Hindernisse Peking errichten wird. Trotz überdimensionaler Japan-UdSSR-Zusammenarbeit muß das Problem der UdSSR-besetzten Kurilen vor Abschluß eines Friedensvertrages mit Moskau gelöst werden. Wehe dem Ministerpräsidenten, der die Räumung nicht fordert, die von den Sowjets abgelehnt wird. Bei der Bewältigung der Umweltprobleme hat er aber die Chance, die starke Hand des „Bosses“ staatsmännisch einzusetzen. Zwischen Tokio und Yokohama haben die Menschen seit Jahren den klaren Tag nicht gesehen. Die Reisfelder werden von den Abwässern der Fabriken in Kloaken verwandelt. Zwischen Tokio und Osaka gibt es den 250-Stundenkilometer-Tok-kaido-Expreß, aber keine Landschaft mehr. Die seine Außenpolitik unterstützen, die Zaibatsu, werden hier seine Feinde sein.

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