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Japanische Ballade

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Die japanisch-russischen Regierungsgespräche in Moskau endeten wieder einmal ergebnislos. Die Japaner ließen wissen, daß sie keinen Friedensvertrag mit der UdSSR unterzeichnen würden, solange Rußland die Rückgabe der „Nördlichen Territorien“, also der Habomai- und Shikotan-Inseln, der gesamten Kurilen-Inselgruppe und Süd-Sachalins an Japan verweigert. Die Japaner berufen sich auf die Rückgabe

Okinawas durch die USA und argumentieren damit, daß die Russen die erwähnten Territorien am Tage der Niederlage Japans vor 27 Jahren Völkerrecht widrig okkupiert hätten.

Moskau kann heute die immer lauter werdenden japanischen Revisionsansprüche nicht mehr überhören, wenn es wirklich Versöhnung und Freundschaft mit Tokio wünscht. Die Japaner sind zuversichtlich, weil sie wissen, daß die

Zeit für sie gearbeitet hat und daß die fernöstliche Entwicklung die Russen einem sich steigernden Druck aussetzt.

Es hat sich viel verändert in den wenigen Jahren, seit der japanische Außenminister Aichi in Moskau ganz hart zurückgewiesen wurde. Für die erste Überraschung sorgte der japanische KP-Führer Kenji Miyamoto im September 1971, als er, von Moskau heimgekehrt, verkündete, die

Russen seien bereit, über die japanischen Ansprüche auf einzelne Kurilen-Inseln zu verhandeln. Nachdem Moskau diese Behauptung sofort dementiert hatte, wurde das Verhältnis der japanischen KP zu Moskau vorübergehend noch schlechter, als es ohnedies schon war. Während die japanische Regierung nur die Rückgabe der vier südlichen Kurilen-Inseln offiziell verlangte, forderte die japanische KP die Rückgabe der ganzen Kurilen-Kette „an ihren rechtmäßigen Eigentümer, Japan“.

Eine japanische parlamentarische Delegation unter der Leitung von Kosaka Tokusaburo brachte das Thema dann im Herbst 1971 beim Stellvertretenden Außenminister der Sowjetunion, N. N. Rodjonow, wieder aufs Tapet, aber die acht japanischen liberal-demokratischen Abgeordneten erreichten gar nichts. Rodjonows Argumente klangen zwar seltsam, waren aber unleugbar originell: Infolge der 1970 erfolgten Erneuerung des amerikanisch-japanischen Sicherheitspaktes beabsichtige Moskau solange nicht die Rückgabe der Habomai- und Shikotan-Inseln an Japan, als fremde (amerikanische) Truppen in Japan stünden. Im übrigen sei das Problem der territorialen Revision eine delikate diplomatische Frage, mit der die kommunistischen Parteien beider Länder nichts zu tun hätten und die allein Sache der Regierungen sei...

Moskau weiß so gut wie Tokio, daß der russische diplomatische Sieg über Rotchina davon abhängt, ob es Moskau gelingt, mit Japan freundschaftliche Beziehungen herzustellen. Gromykos Blitzbesuch in Tokio bewies es deutlich. Er offerierte Fischereikonzessionen und die gemeinsame Ausbeutung Sibiriens, womit er allerdings die japanische Aufmerksamkeit von der Revision nicht ablenken konnte.

Die Operationen der immensen sowjetischen Fischereiflotte im Pazifischen Ozean stellen Japan vor nicht geringe Probleme. Die Sowjetunion besaß bereits im August 1969 die größte Fischereiflotte der Welt, mit nicht weniger als 40.000 Einheiten. Dennoch und gerade deshalb gaben die Japaner ihre revisionistischen Ansprüche nicht auf, im Gegenteil: die Forderung nach Rückgabe der „Nördlichen Territorien“ wurde immer vehementer.

Japans Premier Tanaka in Tokio erwartet nicht von den Russen, daß sie ohne weiteres nachgeben. Er weiß genau, daß die wichtigsten Marinebasen der UdSSR im Fernen Osten sich derzeit auf Süd-Sachalin und auf den Kurilen-Inseln befinden und den östlichen Teil der fernöstlichen, sogenannten „Malinowsky-Linie“ bilden. Was die Habomai-und Shikotan-Inseln anbelangt, so enthielt Artikel 9 der Russisch-Japanischen Deklaration von 1956 die Zusicherung, daß sie nach Abschluß eines Friedensvertrages an Japan zurückzugeben seien. Chruschtschow revidierte später das Datum und verlegte den Termin um ein Jahr, um die Abmontierung russischer Militärbasen auf den zwei Inselgruppen zu gewährleisten.

Tokio beruft sich heute darauf, daß die sowjetische Okkupation der „Nördlichen Territorien“ den Russisch-Japanischen Neutralitäts- und Nichtangriffspakt verletzt, und die japanische Öffentlichkeit ist einheitlich der Auffassung, daß bis zur Rückgewinnung der „Nördlichen Territorien“ kein wahrer Frieden mit der UdSSR Zustandekommen könne. Die Japaner sind nicht bereit, ihre Landsleute im Norden abzuschreiben und zu vergessen. Seit einigen Jahren ist in Japan die „Sachalin-Ballade“ populär, die nicht nur von Heimatvertriebenen gesungen wird.

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