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Unabhängiger Ainu-Staat?

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Die Außenpolitik Japans ist eindeutig. Es versucht ein Balancespiel zwischen Moskau und Peking und möchte als lachender Dritter alle Vorteile ernten. Aber für die Balance fehlt das Gleichgewicht, denn Japan ist in Wirklichkeit eher pekingfreundlich eingestellt. Der Japan-Besuch des sowjetischen Außenministers Andrej Gromyko endete für ihn mit einer schweren Niederlage. Er wollte die Japaner zu einem Friedensvertrag überreden, ohne die Rückgabe der 1945 von den Russen besetzten vier Kurileninseln Habo-mai, Shikotan, Kunashiri und Etorofu überhaupt zur Sprache zu bringen.

Zwei Stunden nach Gromykos Abflug mit einer AEROFLOT-Maschine vom Flughafen Haneda beschloß Ministerpräsident Takeo Miki überraschend und unjapanisch schnell, mit Rotchina einen Friedens- und Freundschaftsvertrag, trotz der von Peking diktierten gegen die Sowjetunion gerichteten Anti-Hegemonie Klausel abzuschließen.

Die Frage dieser vier relativ kleinen Südkurilen-Inseln stellt ein großes Hindernis auf dem Weg zur sowjetisch-japanischen Normalisierung dar. Im Mai 1875 hatte Japan ein Tauschgeschäft mit dem zaristischen Rußland gemacht: Japan überließ die ganze Insel Sachalin (Karafuto) den Russen, dafür erhielt Tokio 18 Inseln der Kurilen-Gruppe. Zu vermerken ist dabei die Tatsache, daß diese 18 Inseln nordöstlich der vier Probleminseln liegen.

Nach japanischer Ansicht sind die 18 und die vier Inseln zwei ganz verschiedene Dinge, die nicht durcheinander gebracht werden dürfen. Japan hat jedoch in historischer Perspektive einen großen politischen Fehler begangen. Nachdem Rußland 1905 von Japan besiegt worden war, marschierten die Japaner wieder in die südliche Hälfte Sachalins ein.

Im August 1945 erklärte die UdSSR Japan auf Grund des Jalta-Abkom-mens den Krieg. Die Rote Armee besetzte außer Südsachalin und den Nordkurilen auch noch die vier Südkurilen. Außerdem wollte Stalin die Insel Hokkaido unter sowjetische Militärverwaltung stellen.

Den Abschluß des Friedensvertrags von San Franzisko im September 1951 boykottierte Moskau durch Abwesenheit. Yoshida, damals Premierminister Japans, sagte beim Vertragsabschluß, daß Japan zwar seine Souveränitätsrechte über Südsaaha-lin und die Nordkurilen aufgebe, aber nicht daran denke, die vier Inseln, nach japanischer Ansicht japanisches Territorium seit jeher, aufzugeben. Da die Sowjets nicht anwesend waren, blieb Yoshidas Erklärung völkerrechtlich bedeutungslos.

1956 beendeten Rußland und Japan den Kriegszustand; die offiziellen diplomatischen Beziehungen wurden wieder aufgenommen, aber ein Friedensvertrag zwischen den beiden Ländern kam der vier Inseln wegen bis heute nicht zustande. Die Sowjets erklärten sich zwar bereit, Shikotan

und Habomai an Japan zurückzugeben, verweigerten aber schließlich deren Rückgabe unter dem Vorwand, Japan habe mit den USA einen Si-cherheits- und Verteidigungspakt geschlossen. Uber Kunashiri und Eterofu wollten die Russen von allem Anfang an nicht sprechen.

Für Japan ist die Rückgabe der vier Inseln allerdings unerläßlich. Sie sind japanisches Staatsgebiet, das nach dem Zweiten Weltkrieg von der UdSSR widerrechtlich besetzt wurde. Ein übervölkertes kleines Land wie Japan kann es sich nicht leisten, vier Inseln aufzugeben, die überdies für die Landesverteidigung von größter Bedeutung und lebenswichtig für die japanische Fischerei sind., (Derzeit stört die sowjetische Marine die japanischen Fangschiffe in diesem Gebiet ständig.) Keine japanische Regierung kann daher den Anspruch auf die vier Inseln aufgeben. Aber auch die Sowjetrussen wollen die Inseln um keinen Preis wieder hergeben, die auch für sie strategisch von unschätzbarer Bedeutung sind.

Außerdem würde die Rückgabe besetzten Territoriums einen für die Sowjetunion unerhörten Präzedenzfall schaffen.

Auch die Japaner haben mit ihren Nordgebieten 1973 Schwierigkeiten, die mit den vier Südkurilen im Zusammenhang stehen. Die Ainus, auch Jesso genannt, ein kaukasisches Volk in Hokkaido, streben die Gründung einer unabhängigen Ainu-Repablik an. Auf die Regierungsgebäude der ganzen Insel wurden Slogans geschmiert. Sogar in Tokio gab es Ainu-Flugzettel mit der Forderung nach Gründung eines Ainu-Staates auf den vier von den Sowjets besetzten Kurileninseln. Kann man dergleichen ernst nehmen? Auf jeden Fall wäre es eine Alternative zur Lösung der Südkurilen-Frage ...

Die Ainus sind die „Indianer Japans“, eigentlich keine Asiaten, sonern einer ,weißen Rasse“ angehörend. Sie gelten als das „bärtigste“ Volk der Welt und siedelten 7000 Jahre lang in ganz Nordasien. Die Japaner drängten sie in jahrhundertelangen Kriegen nach Norden. Heute zählen die Ainu, außer auf Hokkaido, nach offizieller Statistik, nur noch 18.000 Seelen und die meisten von ihnen sind Mischlinge. Infolge der Assimilationspolitik der japanischen Regierung stirbt die Ainu-Kultur langsam aus. Niemand kennt heute mehr ihre Yukana-Epik.

Im Januar 1972 berief die ALL

(Ainu-Befreiungsliga) eine all japanische Ainu-Konferenz ein, die für die Rechte dieses Volkes eintreten sollte. Denn wirtschaftlich sind die Ainus unterprivilegiert. 30,9 Prozent der Ainu leben auf Kosten der öffentlichen Wohlfahrt. Das jährliche Durchschnittseinkommen der Ainu beträgt nur 2000 US-Dollar, liegt also weit unter dem japanischen Durchschnitt. Nur 3,8 Prozent der Ainu-Schulkinder absolviert eine Hochschule.

In Sapporo, der Hauptstadt von Hokkaido, gibt es seit drei Jahren ein Ethnologisches Symposium, das periodisch von ALL veranstaltet wird. Die Ainu wollen ihre Identität wiedergewinnen, die Ainu-Flagge mit den Symbolen Pfeil und Bogen signalisiert ihren Kampfgeist.

Ist es schon zu spät, um die alte, fast ausgestorbene Ainu-Kultur zu retten? Fumio Niyoshi, Autor eines Buches über „Ainu Power“, ist anderer Meinung: „Ich bin ein Ainu; es wird deshalb nie zu spät sein!“

Der Name „Ainu“ bedeutet eigentlich „Mensch“, wird aber in japanischer Schrift mit den Zeichen für „Zwergsklaven“ geschrieben. Eine andere japanische Bezeichnung für dieses Volk ist „Jesso“ und wird mit dem Zeichen für „Garnelenbarbaren“ transkribiert.

Nun haben sich die Zwergsklaven erhoben und die Garnelen beginnen emporzuschnellen.

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