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Die Hysterie der Tsaibatsu

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Breschnjews überdimensionale Investitionseinladung löste in Japan Bestürzung und Empörung aus: man hatte die Einladung erwartet. Als sie dann kam, blieb den panikanfälligen Japanern der Atem aus.

Ministerpräsident Tanakas offizielle Residenz, nahe den in Frühlingspracht blühenden kaiserlichen Gärten, blieb Besuchern, auch den bestellten, einen Tag lang verschlossen. Endlich, nach Jahren vergeblichen Wartens, sollte Japans Wirtschaft den Weg in die sibirischen Weiten finden. Japanische Investitionen, in der Höhe von acht bis zehn Millarden Dollar — ungefähr ein Achtel des Gesamtbedarfes — sollen nach Sibirien fließen. Und Breschnjew kündete einer Delega-ion der japanischen Handelskammern in Moskau an: alles für die gemeinsame sowjetisch-japanische Entwicklung Sibiriens!

Doch Breschnjews Einladung war sehr summarisch: nämlich eine Generalvollmacht über die japanischen Mittel in der UdSSR. Moskau allein soll bestimmen, wo und wie das japanische Geld eingesetzt wird; Japan soll auf jedes Bestimmungsrecht über seine Beteiligung verzichten.

So groß der japanische Hunger nach den sowjetischen Gegenlieferungen, nämlich nach Erdöl und Rohstoffen auch ist, die Angst vor den sicheren Folgen ist nicht viel schwächer. Ein japanischer Blankosoheck würde das politische und das militärische Verhältnis im sowjetischen Fernen Osten, zu Moskaus Gunsten — und zu Pekings Schaden verändern. Das durch demütigende Konzessionen errungene „neue Verhältnis“ Japans zu China wäre wieder gestört.

Zwangsläufig würde Moskau die japanischen Mittel nämlich nicht nur in wirtschaftliche, sondern auch in militärische Projekte lenken. Moskau verheimlicht nicht, daß eine Parallelstrecke zur Transsibirischen Eisenbahn von immensem wirtschaftlichem Wert wäre — vom militärischen gar nicht zu sprechen. Die mit Japans Hilfe zu erbauende Pipeline soll sowjetisches Erdöl nach Nakhotna leiten — zur Verschiffung nach Japan. Die 4000 Kilometer Bahnstrecke vom Baikalsee nach Sovjetskaya, ebenfalls Objekt japanischer Investitionen, ist aber nicht nur für Waren geplant. Sie würde 1979 die sowjetische Truppentransportkapazität nach der chinesischen Grenze verdreifachen.

Breschnjews Einladung bedeutet daher eine japanische Mitfinanzierung der Verstärkung der sowjetischen Militär- und Rüstungskapazität im Fernen Osten. Japan, das mit den USA durch ein Bündnissystem verbunden ist, und zwischen Moskau und Peking laviert, würde der stille Sibirien-Kompagnon der UdSSR werden. So fände Moskau reichliche Kompensation für das Stagnieren von Breschnjews Plänen des asiatischen Sicherheitssystem, dem System der Einkreisung Chinas. Peking würde das alles als einen feindlichen und die USA als einen treulosen Akt ansehen.

Moskau kennt die Erdölhysterie der Japaner; sie hat Tokio schon zur bedingungslosen Kapitulation unter das politische Diktat der arabischen Staaten bewegt. Jahrzehntelang wäre nämlich Japan durch den Sibirienvertrag der großen Erdölsorge enthoben und in einer vielversprechenden Konkurrenaposition gegenüber den USA. Moskau baut auf die Tsaibatsu. die wirtschaftlichen Supertrusts der Japaner, und auf Tanakas Tsaibatsu-Politik. Die Angst der Tsaibatsu vor einer wirtschaftlichen Stagnation, die Gier der Tsaibatsu nach dem riesigen Bissen sind groß. Bisher heißt es in Tokio, der Preis, den Breschnjew verlangt, ist unannehmbar. Doch es sind eben diese nationalen Supertrusts, die immer die Politik Japans bestimmt haben. Und sie verstehen Breschnjews Sprache vom sowjetischen: „Alles oder nichts.“

Japans Regierungsmannschaft ist überdies wie geschaffen, diese „nationale Politik nach eigener Identität“ zu führen. Sie erfreut sich des Atomschirmes der USA und des Handels mit den USA. Doch sie horcht auf die kräftige Sprache der untereinander verfeindeten kommunistischen Großmächte und sie erkennt die Möglichkeiten des Spielens mit dem asiatischen Antiamerikanismus. Zögert Japan, Breschnjews Einladung anzunehmen, geschieht das weniger aus Rücksicht auf den westlichen Verbündeten als aus Angst, vor Peking.

Tanaka, Bauunternehmer und Selfmademan, ist als der „starke Mann der Wirtschaft“ an die Macht gekommen. Die Wirtschaft hat seinen Rivalen, Fukuda, den Politiker der Loyalität zum Westen, demonstrativ ausgeschaltet. Tanaka ist heute ein ramponierter Mann — um so mehr ein Mann der Wirtschaft, nach dem Geschmack der Tsaibatsu.

An seiner Seite stehen die Minister Miki, ein Nationalliberaler mit Asien- und Moskauausrichtung und Außenminister Ohira, der seine Abneigung gegen den Westen, selbst gegen die Sprachen des Westens nicht verbirgt. Natürlich wollen und können diese Politiker die USA nicht bis zur Gefahr des Bruches brüskieren. Doch diese Gefahr ist nicht akut. So haben sie zweierlei Maß für den Begriff des nationalen Prestiges in der nationalen Politik: Gegenüber Washington messen sie fast mit der Pariser Elle — gegenüber den kommunistischen Nachbarn entspricht das Maß eher den Wünschen der Härteren. Oft ist hier das Wahren der „japanischen Identität“ ein Opfern der japanischen Souveränität.

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