6831234-1974_40_08.jpg
Digital In Arbeit

Die Erben der Kempetai

19451960198020002020

Auch heuer wieder wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit dem Korea-Problem konfrontiert. Sie wird es periodisch seit fast einem Vierteljahrhundert. Seit dem Korea- Krieg stehen UNO-Truppen in Südkorea, genauer: US-Truppen mit dem UNO-Etikett. Äußerstenfalls werden sie das UNO-Eti- kett verlieren und als Verbündete bleiben. Nordkorea hat keine Chance, die Amerikaner diplomatisch aus Südkorea zu verdrängen. Anderseits läßt sich Nordkorea weltpolitisch nicht mehr isolieren. Es wurde in Wien in die Internationale Atomenergie- Behörde aufgenommen. Und wird eines nahen Tages wohl auch UNO-Mitglied werden müssen.

19451960198020002020

Auch heuer wieder wird die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit dem Korea-Problem konfrontiert. Sie wird es periodisch seit fast einem Vierteljahrhundert. Seit dem Korea- Krieg stehen UNO-Truppen in Südkorea, genauer: US-Truppen mit dem UNO-Etikett. Äußerstenfalls werden sie das UNO-Eti- kett verlieren und als Verbündete bleiben. Nordkorea hat keine Chance, die Amerikaner diplomatisch aus Südkorea zu verdrängen. Anderseits läßt sich Nordkorea weltpolitisch nicht mehr isolieren. Es wurde in Wien in die Internationale Atomenergie- Behörde aufgenommen. Und wird eines nahen Tages wohl auch UNO-Mitglied werden müssen.

Werbung
Werbung
Werbung

Nordkorea, Südkorea: zwei Staaten am Rande des Weltinteresses, Schauplatz eines eingefrorenen Konfliktes, der die großen Feuerwehrmänner der Weltpolitik nicht beschäftigt, da kaum Gefahr besteht, daß er in absehbarer Zeit wieder in eine heiße Phase tritt. Vom einen Staat weiß die Welt so gut wie nichts — außer, daß es sich hier um eine der am straffsten geführten Diktaturen handelt, und um ein „verbotenes Land’, aus dem kaum je eine Information nach außen dringt. Aus dem anderen Staat dringen sehr wohl Nachrichten nach außen — Nachrichten, die bestätigen, daß auch er zu den mit härtester Hand geführten Diktaturen zählt. In Südkorea wird noch dann und wann aufbegehrt. In Nordkorea längst nicht mehr. Anderseits wurde Nordkorea wohl mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Problemen besser fertig als der Süden.

Das, was man einigermaßen euphemistisch die „Weltöffentlichkeit’ nennt, wurde auf Korea zuletzt durch das Attentat auf den südkoreanischen Diktator Park Tschung Hi, bei dem er am Leben blieb, aber seine Frau getötet wurde, aufmerksam. Und durch die „Sühnedemonstrationen’, bei denen sich Südkoreaner öffentlich Fingerglieder abschnitten — eine traditionelle koreanische Form der Selbstverstümmelung.

Der Park-Attentäter war zwar Koreaner, kam aber aus Japan, wo rund

600.0 Koreaner leben — zu neun Zehntel in zweiter oder dritter Generation. Da diese Japan-Koreaner zum größten Teil unter nordkoreanischem Einfluß stehen, hätte sich eher Nordkorea als Japan dem südkoreanischen Zorn als Ziel angeboten. Tatsächlich aber kam es in Südkorea zu einer antijapanischen Haßwelle. Dies hat mehrere Gründe:

Erstens ist zwar die koreanische Wiedervereinigungseuphorie verflogen, aber das „gesamtkoreanische Nationalbewußtsein’ in beiden Staaten außerordentlich stark. Keiner der beiden Diktatoren ist daran interessiert, den schwarzen Peter, am völligen Erliegen der sich zäh dahinschleppenden Gespräche über die Familienzusammenführung schuld zu sein, in seiner Hand zu behalten. Zweitens wünscht keines der beiden Korea die großen Weltpolizisten auf den Plan zu rufen. Drittens, und vor allem, eignete sich für Südkoreas Präsidenten Park Japan schon deshalb viel besser als Nordkorea als außenpolitischer Blitzableiter, weil in Korea starke nationale Ressentiments gegen Japan bestehen, die in Südkorea durch die starke japanische Dominierung der südkoreanischen Wirtschaft vor allem in den letzten Jahren neue Nahrung bekamen.

Die Schwierigkeit, die Vorgänge in und zwischen den beiden koreanischen Staaten zu verstehen, resultiert aus einem gewaltigen Informationsmangel. In deutscher Sprache gab es bis vor kurzem kaum brauchbare neuere Literatur über beide Korea. Ein Mangel, dem der Wiener Journalist Harry Sichrovsky vom ORF-Hör- funk mit seinem „Korea-Report’ (Europa-Verlag, 183 Seiten) abgeholfen hat. Dieses Buch ist ein Glücksfall: Die optimale Kombination zwischen einem außerordentlichen aktuellen Faktenreichtum und der großen historischen Perspektive. Daß sich die Hoffnung auf Wiedervereinigung erst nach dem Erscheinen als trügerisch erwies, bedeutet keinen wesentlichen Aktualitätsverlust — im Gegenteil, gerade dieses Buch macht deutlich, warum diese Hoffnungen wohl von vorneherein zum Scheitern verurteilt waren.

Seine geographische Position als Riegel und Sprungbrett zwischen Japan und China verurteilte Korea seit Jahrhunderten zu einem Schicksal als Ziel aufeinanderfolgender Angriffe und Kolonisierungen, wobei aber die Chinesen seit langem nicht als Feinde, sondern eher als Schutzherren betrachtet wurden. Gehaßt werden in Korea traditionell die Großmächte, die Korea zum Spielball ihrer Interessen gemacht haben, und vor allem die Japaner, deren brutale Besatzungspolitik . zürn koreanischen Trauma wurde. 35 Jahre, von 1910 bis 1945, litt Korea unter einem, so Sichrovsky, „klassischen Kolonialregime, das die Technik der modernen Ausbeutung mit den barbarischen Foltermethoden der feudalen asiatischen Tradition kombinierte’.

Als die Japaner vertrieben wurden, waren nur acht Prozent des koreanischen Industriekapitals in koreanischem Eigentum, und auf diese acht Prozent des Industriekapitals entfielen nur sechs Prozent des Bruttowertes der koreanischen Industrieproduktion. 90.000 japanische Großgrundbesitzer hatten mehr als die Hälfte der besten Reisanbaugebiete okkupiert, zweieinhalb Millionen koreanische Bauern vegetierten auf winzigen Arealen von höchstens einem halben Hektar und mußten bis zu 80 Prozent ihrer Ernte an den Gutsherrn abliefern, denn drei Viertel von ihnen waren nur Pächter. Immer mehr Reis wurde nach Japan exportiert — der Nahrungsverbrauch innerhalb des Landes sank während der japanischen Besatzungszeit auf rund die Hälfte. Das japanische Besatzungsregime war ein Barbarenregime und in manchen Punkten nur mit der Hitlerschen Besatzungspolitik in Polen vergleichbar: Verbrennung historisch wertvoller Bücher, Schleifung von Kulturdenkmälern, Verbot der koreanischen Sprache im Schulunterricht (und schließlich sogar in der Familie), totale Japanisie- rung.

Korea hat die sowjetischen und amerikanischen Befreier begeistert begrüßt, doch was dieser Begeisterung folgte, ist bekannt: Ein neues Marionettenschicksal und zusätzlich die Teilung.

Die Teilung blieb, aber als Marionette kann man schon lange keine der beiden Regierungen bezeichnen. Nordkoreas Diktator Kim II Sung, ursprünglich ein sowjetischer Satrap, errang sich ein erhebliches Maß von außenpolitischer Unabhängigkeit und errichtete einen Personenkult, der, Sichrovsky zufolge, „die zeitgenössischen Vorbilder Stalin und Mao als armselige Dilettanten erscheinen läßt’. Auch Südkoreas Alleinherrscher Park Tschung Hi tanzt keineswegs nach der amerikanischen Pfeife — allerdings wird, im Zeichen amerikanischer und japanischer Wirtschaftsmacht, seine Einmanndiktatur mehr und mehr zur politischen Hülse eines ökonomischen Raubrittertums. Japan, dessen Investitionen in Südkorea bereits die amerikanischen überrundet haben, ist zutiefst unpopulär und verhaßt. Nur die harte Hand des Diktators, dessen allmächtige Polizei alle nationalen Unmuts-

äußerungen in sorgsam vorbereiteten Bahnen kanalisiert und den Unmut gegenüber Japan neuerdings, das heißt, seit dem Attentat, in kleinen, nach innenpolitischen Gesichtspunkten verordneten Dosen freigibt, verhindert, daß dieser Haß allzu sichtbar wird.

In kaum einem anderen Land wird der neue japanische Wirtschaftsimperialismus so sehr als die direkte Fortsetzung der japanischen Besatzungspolitik mit anderen Mitteln empfunden wie in Südkorea. Doch die Erben der Kempetai, der japanischen Geheimpolizei, die Konzerne, geben dem Regime, was es braucht: Gelegenheit,

auf Prosperität hinzuweisen. Südkorea braucht seine Ausbeuter, unter den gegebenen Verhältnissen hieße die Alternative Massenarbeitslosigkeit.

Der Preis ist hoch. Das Lohnniveau der koreanischen Arbeiter ist um ein Viertel niedriger als das der japanischen, dafür erklärte die Weltgesundheitsorganisation Südkorea zum Land mit der höchsten Gefahr für die öffentliche Gesundheit. 28 Tonnen Staub pro Jahr rieseln auf jeden Quadratkilometer der Hauptstadt Seoul herab — zehnmal soviel wie in Osaka, Asiens höchstindustrialisierter Stadt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung