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Nach Syngman Rhee

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Als Syngman R h e e unter ultimativem Druck der amerikanischen Regierung seinen Rücktritt von der Präsidentschaft und seine Absicht bekanntgegeben hatte, sich für den Rest seiner Tage friedlicher Gartenarbeit zu widmen, ließen ihn die Studenten, in deren Reihen das Feuer seiner Polizei an die Tausend blutige Opfer gefordert hatte, hochleben. Eine noble Geste, mit der zum Ausdruck kam, daß die studierende Jugend trotz dem gerüttelten Maß von Sünden, die dem Regime Rhee vorzuwerfen waren, die Verdienste anerkannte und nicht in Vergessenheit geraten lassen wollte, die sich der heute 85jährige Staatsmann jahrzehntelang als Bannerträger des nationalen Gedankens und als der unermüdliche, einsame Kämpfer für die Befreiung des Vaterlandes von fremder Herrschaft erworben hatte.

Tatsächlich war es in erster Linie Syngman Rhee, dessen Name nachgerade zu einem Synonym für Korea wurde, zu verdanken, daß dieses Land, 1905 von Japan okkupiert und fünf Jahre später dem japanischen Kaiserreich formell einverleibt, dem Gedächtnis '“&t“,'WäiF! öffentlichkeit nicht völlig entschwand und nach dem Krieg 1914—1918 in Kreisen des Völkerbundes und in den Vereinigten Staaten vor allem bei mancher Gelegenheit als eines der Länder genannt wurde, auf die von Rechts wegen das neuentdeckte Prinzip der nationalen Selbstbestimmung anzuwenden wäre. Und hätte Dr. Rhee während des zweiten Weltkrieges nicht eine so intensive Propaganda in den USA entfaltet, wäre es durchaus möglich gewesen, daß man der UdSSR als Entgelt für ihren Eintritt in den Krieg gegen Japan — Stunden bevor das Inselreich durch die Katastrophen von Hiroshima und Nagasaki in die Knie gezwungen war — statt bloß Nordkorea bis zum 38. Breitengrad, die ganze koreanische Halbinsel als Okkupationsgebiet überlassen hätte. Auch ist nicht zu bestreiten, daß die persönliche Autorität und die unbeugsame Energie des Präsidenten Rhee viel dazu beigetragen haben, nach dem 25. Juni 1950 den zunächst schwer erschütterten Widerstand seines Volkes gegen den kommunistischen Einbruch zu versteifen, und die Armee, die anfänglich bloß als Hilfstruppe des UNO-Heeres verwendet werden konnte, zu einer vollwertigen, 20 Divisionen mit zusammen 650.000 Mann, zu entwickeln. Trotz alledem, die Hochrufe, die am Tage seiner Abdankung auf ihn ausgebracht wurden, dürften die letzten ihm zu Ehren gewesen sein. Denn die würdelose Art, in der er sich in die Büsche schlug und bei Nacht und Nebel sein Land verließ, um sich der Verantwortung für sein Tun und Lassen zu entziehen, mußte den letzten Rest seiner Popularität und jeden Respekt vor ihm zerstören und die Erinnerung an sein verdienstliches Wirken weit zurücktreten lassen hinter das jetzt allen gegenwärtig gewordene Bild dessen, was er und sein System am koreanischen Volk verschuldet haben. Und das ist nicht wenig.

Die Koreaner sind geduldig, genügsam und keineswegs durch Wide von ..oben“ verwöhnt. Die Hand Japans, die durch vierzig Jahre auf ihnen lastete, war nichts weniger als sanft; allein bei der antüapanischen Demonstration in Seoul im Jahre 1919 floß das Blut von über 9000 Koreanern, zum großen Teil Studenten. Aher wenn die japanische Verwaltung auch unerbittlich hart war, sie hielt sich an das Gesetz, sie are'tete prompt, und es gab keine Korruption. Seit 1948 und seit der Auflösung des amerikanischen Militärgouvernements haben die Koreaner ihre eigene Regierung, aber das Regime, das da von Syngman Rhee und seiner Clique etabliert wurde, erwies sich bald als ebenso streng wie das seinerzeitige der Japaner, dafür aber als ungleich weniger kompetent in der Verwaltung und als korrupt über alle Maßen. Ob die Zahl von zwanzig Millionen Dollar stimmt, die sich das präsidentielle Ehepaar im Lauf der Jahre widerrechtlich aus der Staatskasse angeeignet haben soll, oder nicht, jedenfalls war es seit langem kein Geheimnis mehr, daß von den fremden, überwiegend amerikanischen Subsidien, die zur Stützung der koreanischen Wirtschaft ins Land kamen — allein zwischen 1948 und 1958 waren das rund 2,4 Milliarden Dollar —, ein sehr ansehnlicher Teil in den Taschen Rhees und seiner „Apparatschiks“ verschwand. Dem weitläufig ausgebauten Regierungsapparat, wenn auch in untergeordneter Stellung, anzugehören, war ein so einträgliches Geschäft, daß der Präsident auch bei Anwendung der rücksichtslosesten Mittel, um an der Macht zu bleiben, auf eine starke Gefolgschaft rechnen konnte. Während des Krieges und später noch, solange man täglich auf ein Wiederaufleben der Feindseligkeiten am 38. Breitengrad gefaßt sein mußte, ließen sich die oft brutalen Maßnahmen, mit denen Rhee jede freiheitliche Regung und jeden Ausdruck der Kritik an seinem System unterdrückte, zur Not mit den besonderen Umständen der Zeit und den Erfordernissen des Kampfes gegen die kommunistische Gefahr auch im eigenen Lande erklären. Aber allmählich langte die antikommunistische Parole nicht mehr hin, um die krasse Mißwirtschaft des Regimes Syngman Rhee zu verdecken. Obwohl mancher Oppositionsführer seinen Mut zur Kritik mit dem Leben bezahlen mußte, die oppositionelle Bewegung griff um sich, auch in ausgesprochen konservativen Kreisen, bis schließlich die schamlose Wahlverfälschung vom 15. März, mit der sich Rhee seines einflußreichsten und in jeder Hinsicht integren Gegners, des Vizepräsidenten John Myun Chang, entledigen wollte, den Krug der Empörung zum Überlaufen brachte.

Wie sich nun, da Syngman Rhee in der Versenkung verschwunden und seine sogenannte Liberale Partei gründlich diskreditiert ist, die politischen Verhältnisse in Korea gestalten werden, ist noch nicht abzusehen. Es ist eine Verfassungsreform geplant, durch die das präsidentielle Regierungssystem mit einem orthodox parlamentarischen vertauscht und die Möglichkeit einer autokratischen Herrschaft, wie sie vom Präsidenten Rhee ausgeübt wurde, ausgeschaltet werden soll. Allerdings, wie immer die Verfassung reformiert wird, gesetzliche Bestimmungen allein können nicht garantieren, daß eine Partei, die über eine solide Mehrheit verfügt, ihre Machtposition nicht mißbraucht; das heißt in diesem Fall, daß die Demokraten, die als Phalanx der bisherigen Opposition berufen erscheinen, das Erbe der Liberalen Doktor Rhees zu übernehmen, nicht der Versuchung unterliegen werden, sich auch die korrupten Methoden jener Partei zu eigen zu machen. Die beste Hoffnung für Korea liegt in der Persönlichkeit des Führers der Demokraten, eben jenes John M. C h a n g — er ist Katholik, daher sein Vorname —, an dessen aufrichtig demokratischer Gesinnung, absoluter Ehrlichkeit und staatsmännischem Weitblick nicht zu zweifeln ist. Sollte der heute sechzigjährige ehemalige Mittelschuldirektor Chang auf Grund der vorgesehenen Wahlen an die Spitze der Regierung gelangen, wofür gute Aussicht besteht, so wird es freilich auch ihm nicht gelingen, das dringlichste Problem im Handumdrehen zu lösen; es ist das die bittere Armut der breiten Masse und besonders das Elend der Flüchtlinge aus dem Norden, von denen noch immer Hunderttausende eine menschenunwürdige Existenz in ihren papiernen Hütten fristen. Die Republik Korea, nur wenig größer als das heutige Österreich, soll an die 24 Millionen Menschen ernähren, obwohl ein Großteil des Bodens unfruchtbar ist und die meisten Voraussetzungen einer starken industriellen Entwicklung — die großen hydroelektrischen Kraftwerke, die reichen Eisenerzlager, die ausgedehnten Wälder liegen ja alle jenseits der Grenze — fehlen. Immerhin sollte es gelingen, durch weitere Steigerung der Reisproduktion die Ernährungs-lage zu verbessern und in einigen Jahren sogar Exportüberschüsse zu erzielen, mit denen das heute erschreckend hohe Handelspassivum verringert werden könnte.

Chang ist ein überzeugter Freund des Westens, ein Befürworter enger koreanisch-japanischer Zusammenarbeit, die von Rhee verabscheut wurde, und ein klügerer Bekämpfer des Kommunismus, als Rhee es war. Seine Erwählung zum Regierungschef würde für die Sicherheit der freien Welt und nicht für Korea allein einen Gewinn bedeuten.

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