6663219-1960_19_06.jpg
Digital In Arbeit

SYNGMAN RHEE/WILSONS ENTARTETER SCHÜLER

Werbung
Werbung
Werbung

Dr. Syngman Rhee — das war die Tragödie eines Mannes und eines Experiments, ein Beweis für die zahlreichen Fehler des Westens und eine Vorschau auf das, was aus Afrika werden wird, wenn man es den Tyrannenlehrlingen überantwortet. Der starrköpfige Greis war niemals eine Persönlichkeit, würdig der demokratischen Schutzherrschaft, die ihm uneingeschränkt gegeben worden war. Gewiß, ein halbes Leben lang war Syngman Rhee, oder wie er mit seinem koreanischen Namen heißt Li Sungman, ein gewaltiger Streiter gegen die Japaner. Dann erhob sich in Korea der Kommunismus, und er bot dem neuen Gegner seine eiserne Stirn. Mit den äußeren Kämpfen wuchs in ihm das Gelüst nach Diktatur, so daß man nicht mehr umhin konnte, Südkorea als einen echten Polizeistaat zu nennen. Der in Jahren vervollkommnete Apparat hielt ihn und die Seinigen an der Macht unter der Fiktion einer Scheindemokratie, in der es keine geduldete Opposition und nur gefälschte Wahlen gab.

Den Amerikanern, von deren Gnaden er zwölf Jahre regierte, hat er viel Kummer bereitet. 60 Milliarden Schilling wurden von ihnen in das verwüstete Land gepumpt: es war ein Faß ohne Boden. Rhee alterte, ohne schwächer zu werden-, nicht weniger als drei US-Botschafter fanden es allen Anstrengungen zum Trotz unmöglich, mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber Amerika blieb in all den Jahren Rhees strammer Antikommunismus wichtiger als seine anrüchige Herrschaft.

Die Studenten von Seoul haben seinen Rücktritt erzwungen, dessentwegen viel Blut floß. Sie, die ebenso konservativ, national und antikommunistisch sind wie er, haßten in Rhee den „schrecklichen Alten“, der die Demokratie versprach und nie gehalten hat.

Ihr Kampf galt dem primitiven Antikommu-nisten, der immer wieder, wie Tschiang auf Formosa, den strategisch hoffnungslosen „Marsch nach Norden“ predigte und sich erkühnte zu sagen: „Was besitzen wir noch, um einen dritten Weltkrieg zu fürchten?“

Rhee hatte, und das ist das Groteske, selbst die freiheitliche Studentenbewegung Koreas

* begründet. Als Urheber einer studentischen Demonstration gegen die sterbende Monarchie 1897 wurdz er verhaftet, gefoltert und zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis schrieb der am 26. April 1875 geborene Abkömmling der Dynastie das Buch „Geist der Unabhängigkeit“. Später trat er zum Christentum über, in Seoul hatte er die Missionsschule besucht. Tieferen Kontakt zur christlichen Lehre soll er nie gefunden haben. Innere Wirren brachten ihm vorübergehend die Freiheit, nach dem russisch-japanischen Krieg wurde er von den Japanern eingekerkert. Dem Henker entging er durch die Flucht, die ihm Mitstudenten vorbereiteten.

Dann ging er in die USA ins Exil, besuchte die vornehmsten Universitäten, hörte begierig im Kolleg von Woodrow Wilson die Thesen vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, an das er zeitlebens fest glaubte, und machte ein philosophisches Doktorat. Sein fließendes Englisch sollte später von Bedeutung sein. Wilsons Gedanken übertrug er fortan auf koreanische Verhältnisse. Sie erwiesen sich dort ebenso trügerisch wie in Europa. Von 1910 bis 1920 agitierte er in Korea gegen Japan, mußte aber wieder fliehen. Seit damals datiert sein nie verblassender MyfJios: „Rhee — Vater der Unabhängigkeit.“ Der hagere Mann tauchte in den zwanziger Jahren immer wieder im Völkeround auf. Er fand dort kein Gehör, aber seine Frau, Franziska Donner, eine Wienerin, die er am 18. Juli 1934 heiratete. Sie steht heute noch an seiner Seite und gilt als einzige Vertraute.

Nach der Niederlage Japans 1945 kehrte 't nach Korea zurück und war führend an ler Errichtung der Republik beteiligt, deren Präsident er seit 1948 ist. Kriegswirren und Kriegsnot ließen lange Zeit seine autoritären Methoden als gerechtfertigt erscheinen. Immer nach den eigenartigen koreanischen Wahlen regte sich die Opposition kräftiger gegen die Regierung. Der 12. April 1960 führte schließlich zum „Point of no Return“. Ob nach Rhee die Demokratie kommt, ist allerdings eine offene Frage.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung