7018592-1988_36_09.jpg
Digital In Arbeit

Atemübungen für die Demokratie

19451960198020002020

Sieben Jahre lang bereitete sich Südkorea auf die Olympischen Spiele vor. Samstag in einer Woche ist Eröffnung. Südkorea versteht die größten Spiele aller Zeiten als Triumph über den kommunistischen Norden. Über die Bedeutung des Schwellenlandes Südkorea ein Dossier von Franz Gansrigier und Harry Sichrovsky.

19451960198020002020

Sieben Jahre lang bereitete sich Südkorea auf die Olympischen Spiele vor. Samstag in einer Woche ist Eröffnung. Südkorea versteht die größten Spiele aller Zeiten als Triumph über den kommunistischen Norden. Über die Bedeutung des Schwellenlandes Südkorea ein Dossier von Franz Gansrigier und Harry Sichrovsky.

Werbung
Werbung
Werbung

Es geht nichts mehr ohne Demokratie in Südkorea. Das Land, dessen Mittelstand bisher nur Wohlstand forderte, ist der autoritären Pranken seiner Militärs endgültig müde geworden.

Der Druck des Mittelstandes führte seit Mitte vergangenen Jahres zu einer Demokratisierungswelle ohnegleichen. Und heute ist selbst Präsident Roh Tae Woo, einst Königsmacher für den putschenden General Chun Doo Hwan nach des Diktators Park Chung Hees Ermordung, nach einer kurzen Phase der Liberalisierung ein überzeugter Verfechter der Demokratie, deren Durchsetzung für ihn Priorität genießt.

Aber — wie könnte es anders sein — nichts geht auf einmal. Und das müssen auch die aufmüpfigen Studenten spüren. Seit Jahrzehnten sind sie die — oft gewaltsam agierende — Vorhut für Freiheit und Menschenrechte. Aber für die Regierung ist und war Ruhe immer überlebensnotwendig. Jahrelang warnte man vor dem kommunistischen Gespenst Nordkoreas, jetzt — in den Wochen und Monaten vor den Olympischen Spielen — ist man bestrebt, der Welt ein freundliches Antlitz zu zeigen, das dem Namen des „Landes der Morgenstille“ Ehre macht. Aber Ruhe auf südkoreanisch hatte immer etwas mit dem Einsatz der „Riot Police“ zu tun. Und die war in der Wahl ihrer Mittel gegen demonstrierende Studenten nie zimperlich.

Um Freiheit und Demokratie war es auch im Koreakrieg gegangen. Und dieses historische Ereignis prägt Südkorea bis heute. Erst vor kurzem stellte Präsident Roh wieder fest, daß Südkorea die ständige Bedrohung aus dem von den Sowjets oder China unterstützten Norden nie vergessen dürfe: ein Trauma mit Nachwirkungen. Demokratie war bis 1987 in Südkorea nichts anderes als eine Funktion des Nord-Süd-Verhältnisses.

Jede Opposition wurde als destabilisierende Macht gesehen, die direkt oder indirekt den Kommunisten in Pjöngjang in die Hände spielte. Und dieses „subversive Denken“ versuchten die Militärs jeweils mit Stumpf und Stiel auszurotten.

Unmenschliche Praktiken wie Folter, willkürliche Anschuldigungen und Inhaftierungen waren an der Tagesordnung. Die Aktivitäten des Geheimdienstes richteten sich in erster Linie gegen die eigenen Bürger, gegen wirkliche oder vermeintliche Oppositionelle.

Immer wieder aber gab es Demokratisierungsschübe, gab es Politiker — so vor allem den katholischen Oppositionspolitiker Kim Dae Jung, der 1980 zum Tode verurteilt, dann begnadigt und schließlich 1982 in die USA abgeschoben worden war — die meinten, Südkorea sei reif, um die diktatorischen Strukturen zu beseitigen.

Seit Einführung der sogenannten „Wiederbelebungsverfassung“ im Jahre 1972 durch das unmenschliche Regime Park Chung Hees; während der Ubergangsphase Präsident Chois, aber auch während der Präsidentschaft Chuns haben sich die christlichen Kirchen Südkoreas (Seite 11) deutlich und zu wiederholten Malen — auch unter Hinnahme schwerer Bedrängungen — gegen bestimmte Verhaltensweisen politischen Handelns gewandt.

Trotz vieler Rückschläge und Verhaftungen, Einkerkerungen und Folterungen haben maßgebliche Persönlichkeiten der Kirche Koreas ständig darauf hingewiesen, daß man die Probleme des

Landes nicht durch ständiges Schüren der Angst vor dem kommunistischen Norden und dadurch bedingte Gewaltmaßnahmen lösen könne.

Die Regierungen der Republik Korea haben einseitig ihr Interesse immer bloß auf Wirtschaftsentwicklung gerichtet. So konnte das Land zwar einen gewaltigen Sprung nach vorne in die Gruppe der jungen Industrienationen tun (siehe Seite 11), das Gesamtwohl der Bevölkerung Südkoreas ist dabei jedoch aus den Augen verschwunden.

Gerade dieses Anliegen hat die Kirche zusammen mit der Förderung des geistigen Wohls zum Mittelpunkt ihrer pastoralen Aktion gemacht. Die Hirtenbriefe aus dem Jahre 1971 oder aus 1975 sprechen diesbezüglich eine klare Sprache: Der Mensch und seine Rechte stehen im Brennpunkt der Pastoral.

In einer Rede vor der UNESCO in Paris im November 1977 hat Kardinal Stephen Kim von Seoul vor der Gefahr einer „Anti-Entwicklung“ für Asien gewarnt und auf die immer größer werdende Kluft zwischen Armen und Reichen und die immer stärker werdende Abhängigkeit der asiatischen Länder vom Ausland hingewiesen. Diese Einstellung Kims wurde vom Park-Regime als „kommunistisch“ bewertet.

Ein Vorwurf, dem auch der sogenannte „koreanische Solsche-nyzin“, der katholische Dichter Kim Chi Ha, ausgesetzt war. Wegen seines Einsatzes für die Zurücknahme der 1974 erlassenen Notstandsgesetze wurde er wiederholt verhaftet, gefoltert, zum Tode verurteilt, begnadigt.

Südkorea findet schwer den Weg zur Demokratie. Die autoritären Systeme erkannten nicht, daß sich die inneren Schwierigkeiten nicht aus dem Streben weiter Bevölkerungskreise nach Rückkehr zur Demokratie ergaben, sondern aus einer Strukturkrise, die ihre Ursachen in einer zu hektisch vorangetriebenen Industrialisierung hat. Diese zerstörte das traditionelle System der Großfamilie, konnte aber kein notwendiges neues Sozialsystem aufbauen. Die Landbevölkerung ging in den Jahren 1968 bis 1981 von 51,6 Prozent auf 25,8 Prozent zurück. So hat sich Korea von einem Selbstversorger zu einem von massiven Agrarimporten abhängigen Land entwickelt.

Auch die neue Regierung fürchtet nichts mehr als Oppositionsgeist. Das zeigte sich unlängst im Verbot für Studenten, bei Pan-munjon Kollegen aus Nordkorea zu treffen. Alle Kontakte zum Norden müssen offenbar offiziell sein.

Die Olympischen Sommerspiele bieten aber noch immer die Chance, mit dem kommunistischen Norden zusammenzukommen — zumal sowohl die Sowjetunion als auch China mittels der Spiele ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu Südkorea erweitern wollen. fing

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung