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Ein General als Sicherheitsrisiko

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Die neuen südkoreanischen Machthaber sind offensichtlich entschlossen, auch die zaghafteste kritische Stimme zum Schweigen zu bringen. Seit dem vor drei Monaten in Kwangju angerichteten Blutbad herrscht in der südlichen Hälfte des „Landes der Morgenstille" eine Diktatur der Bajonette, in der sich Brutalität und Phantasielosigkeit so fatal wie selten zuvor offenbaren.

Die Schutzmacht USA schaut verlegen und hilflos zu. Allzu große Erwartungen waren von der Regierung Carter (die die Menschenrechte zu einer Komponente ihrer Außenpolitik erklärt hat) in den vorsichtigen Liberalisierungskurs gesetzt worden, den Präsident Choi Kyu Hah, der Nachfolger des ermordeten Staatschefs Park Chung Hee, offenkundig mit Billigung des leutseligen Generalstabschefs und Obersten Kriegsrechtsverwalters Chung Seung Hwa einschlagen wollte.

Park war am 26. Oktober vorigen Jahres nach achtzehnjähriger Herrschaft von seinem Geheimdienstchef erschossen worden. Vor seinen Richtern beteuerte der danach zum Tod verurteilte und hingerichtete Präsidentenmörder, sich erst nach qualvollem Zögern zu der Tat durchgerungen zu haben, „um der Demokratie zum Durchbruch zu verhelfen".

Das Land erwachte Tür kurze Zeit wie aus einem Alptraum. Der neue Präsident kündigte die Wiedereinführung der Volkswahl des Staatschefs durch eine Verfassungsänderung sowie Neuwahlen bis zum Frühjahr 1981 an und sparte auch sonst nicht mit konzilianten Gesten gegenüber der Opposition.

Sie gipfelten in der Entscheidung den beiden prominentesten Widersachern des ermordeten Präsidenten die Freiheit wiederzugeben: den einst von Park gestürzten ehemaligen Staatspräsidenten Yun Po Sun (der 1960 demokratisch gewählt worden war) und Parks nur ganz knapp unterlegenen Gegenkandidaten bei der letzten Direktwahl (1971), Kim DaeJung.

Den demokratischen Experimenten der neuen Machthaber setzte der Coup vom 12. Dezember aber ein Ende. Der 49jährige Chef des Sicherheitskommandos, General Chun Doo Hwan. ließ seinen Vorgesetzten, den Kriegsrechtsadministrator General Chung, festnehmen und ging sofort daran, sämtliche Schlüsselstellungen mit ihm treu ergebenen Gefolgsleuten, zum Teil Klassenkameraden aus der gemeinsamen Zeit an der Militärakademie, zu besetzen.

Diese noch von Park geförderten ..Jungtürken" wollten ehestens einen Schlußstrich unter die Demokratisierungsbestrebungen ziehen. Den Anlaß dazu sollten die zunächst durchaus friedlichen landesweiten Studentendemonstrationen gegen die Aurfrecht-erhaltung des Kriegsrechts liefern.

Mit unsagbarer Kurzsichtigkeit und Brutalität wurde zugeschlagen. Die Ausdehnung des verschärften Kriegsrechts auf das ganze Land, die Massenverhaftungen und Folterungen wurden fadenscheinig mit der „Gefährdung aus dem Norden" begründet. Es blieb schließlich Washington vorbehalten, die Dürftigkeit dieses einzigen Arguments, das Chun als Machtlegitimation aufweisen konnte, zu entlarven.

Einer der ersten Verhafteten war Kim Dae Jung, der Prototyp des unbeugsamen Verfechters der Menschenrechte, ein Mann, dem niemand den Vorwurf machen kann, er sympathisiere mit Pjöngjang.

Der 1925 geborene Journalist war 1960 nach dem Sturz Syngman Rhees in das Parlament gewählt worden, wo er sich für eine von Washington, Moskau, Peking und Tokio garantierte Neutralisierung der Halbinsel und für eine Konföderation beider Staaten einsetzte. Bei den Präsidentenwahlen vom April 1971 errang er mit 5,4 Millionen Stimmen einen eindrucksvollen Erfolg.

Zwei Jahre später wurde Kim vom südkoreanischen Geheimdienst aus seinem selbstgewählten Exil in Tokio entführt, und nach Seoul verschleppt.

Was Park niemals wagte, holt jetzt sein selbsternannter Erbe Chun nach. Er läßt den Apostel der Gewaltlosig-keit, den bekennenden Christen und begeisterten Anhänger der Westminster-Demokratie von Militärrichtern zum Kommunisten stempeln, der seit 1960 als „Agent" des nordkoreanischen Staatschefs Kim II Sung „subversiv" tätig gewesen sei.

Chun und seine engstirnige Truppe wollen sich des unbestreitbar populärsten und international bekanntesten Politikers kaltblütig entledigen und erkennen nicht, daß die von ihnen ausgelöste massive Diskreditierungskampagne in erster Linie dem kommunistischen Norden zugute kommt.

Wie Südkoreas berühmtester katholischer Dichter, der seit sechs Jahren eingekerkerte Kim Chi Ha, in einem aus dem Gefängnis herausgeschmuggelten Dokument, in dem er seine unter Folter zustande gekommenen „Geständnisse" widerrief, schrieb:

„Die Regierung wird nicht müde zu behaupten, angesichts der Bedrohung durch den Norden seien die Bürgerrechte ein Luxus, den man sich einfach nicht leisten könne. Aber eine korrupte und unmoralische Diktatur ist für die Kommunisten der größte Ansporn. Haben die Kommunisten ein besseres Argument als das Regime in Seoul? Diktatorische Herrschaft kann die Sicherheit Südkoreas niemals gewährleisten".

So sind auch die Worte eines amerikanischen Offiziers aufzufassen, für den Chun gegenwärtig das „größte Sicherheitsrisiko" für Südkorea bedeutet.

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