Im Märchenland der Familie Kim

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Zu Jahreswechsel hätte Nordkorea sein Atomprogramm offenlegen müssen - seither warten die USA und die Welt Tag für Tag darauf. So wie die Nordkoreaner vergeblich darauf warten, dass neue, bessere Zeiten anbrechen.

Das New York Philharmonic Orchestra plant einen Aufsehen erregenden Auftritt: Am 26. Februar wird das Ensemble unter der musikalischen Leitung von Lorin Maazel "An American in Paris" von George Gershwin und Antonín Dvora`ks "Symphonie aus der Neuen Welt" zur Aufführung bringen.

Das wäre nicht weiter außergewöhnlich, hieße der Schauplatz nicht Pjöngjang, Hauptstadt des designierten Schurkenstaates Nordkorea, wo man US-Präsident Bush etwa so schätzt wie umgekehrt den iranischen Präsidenten Ahmadinedschad oder eben seinen nordkoreanischen Amtskollegen Kim Jong Il. "Ein Knopfdruck genügt, und San Francisco ist ein Trümmerhaufen", sagt Herr Kim, nippt an seinem Reisschnaps und meint es sehr ernst. Herr Kim ist 24 Jahre alt, trägt einen schwarzen Anzug mit violetter Krawatte unter seinem Ledermantel, am Revers einen Sticker mit dem Konterfei von Kim Il Sung, und benutzt jeden Telefonapparat, der ihm unterkommt, zur Rücksprache mit der Zentrale, was mit mir geschehen soll. Herr Kim spricht vom ewigen Präsidenten, wenn er Kim Il Sung meint, und vom General, wenn er von Kim Jong Il erzählt. Er verneigt sich feierlich vor allen Büsten von Vater und Sohn, und ich mit ihm, 45 Grad abgewinkelt an der Hüfte, den Blick gesenkt: Es gibt geschätzte 35.000 Büsten, Porträts und Monumente in der letzten kommunistischen Erb-Bastion des Führerkults, der vor 55 Jahren begonnen hat. Alle sehen wir nicht.

Im goldenen Käfig

Herr Kim ist Fremdenführer, weicht nicht von meiner Seite und schläft im Untergeschoß desselben Hotels: Im "Yanggakdo" sind die wenigen Ausländer sicher verwahrt, die Nordkorea einen Besuch abstatten. Weniger als hundert Ausländer wohnen auf Dauer im Land. Das 5-Stern-Hotel ist ein goldener Käfig auf einer Insel mitten im Taedong-Fluss durch Pjöngjang und damit ausbruchssicher. Stock 43 ist die oberste Etage und für westliche Gäste vorgesehen, mit CNN im Fernsehprogramm, Villeroy Boch-Waschbecken und "Warm Welcome"-Schildern. Auch im Spätherbst sinkt die Raumtemperatur nicht unter 28 Grad Celsius: heiße Blicke auf eine finstere, kalte Zwei-Millionen-Stadt, wo nächtens nur Licht für die Propaganda der beiden Kims ist.

Nächtliche Satellitenaufnahmen zeigen Nordkorea als schwarzen Fleck inmitten der Lichtermeere Japans, Südkoreas und Ostchinas. In Dunkelheit bleibt vieles: Staatsgründer Kim Il Sung ist seit 1994 tot, bekommt dennoch weiterhin Geschenke: "Über 160.000, das sind elf am Tag, aus aller Welt" - Herr Kim ist von der internationalen Bedeutung seiner Führer überwältigt, verweist auf österreichische Lipizzaner-Nippes der Gebrüder Henn, einen undefinierbaren Vogel des "religiösen Führers der USA" und ein Computerset des südkoreanischen Samsung-Konzerns. "Auch unsere Feinde respektieren unsere Macht." Das "Museum der Völkerfreundschaft" liegt in einem Bunker eine Autostunde nördlich von Pjöngjang - mehrspurige Asphaltbänder, kein einziges Auto weit und breit, dafür mit Reisigbesen vom Laub befreit.

Nordkorea ist ein sozialistischer Staat, dessen Juche-Ideologie auch in Österreich seine Anhänger hat, die alljährlich Geschenke nach Nordkorea schaffen. Die Führungsrolle der Koreanischen Arbeiterpartei ist in der Verfassung verankert, das Parlament tagt ein bis zweimal jährlich. Genaues weiß man nicht, denn Kim Jong Il, hauptberuflich Sohn und seit 1998 Nachfolger von Kim Il Sung, äußert sich öffentlich höchst selten zu seiner Songun-Politik, nach der alle Belange des Staates der Entwicklung und Verbesserung des Militärs unterzuordnen sind: Die nordkoreanische Armee gilt als die fünftstärkste der Welt, rund eine Million steht ständig unter Waffen. Das verschlingt ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts und bringt Versorgungsengpässe aller Art, die jedoch selten nach außen dringen. Feindliche Propaganda, betont Genossin Han, die in pastellfarbene Ballonseide gehüllt erscheint, weil es abends Pjöngjang-Ente bei Kerzenschein gibt. Vor einigen Jahren haben sich Hunderttausende Nordkoreaner von Ratten ernähren müssen, etwa eine Million ist an Hunger gestorben. Aber davon hat sie nie gehört.

Genossin Han ist die Frau an meiner anderen Seite, meine Führerin Nummer 2. Sie spricht Deutsch, weil sie zur "loyalen Schicht" zählt, die Zugang zu Ausbildung und Alltagsprodukten bekommt: TV-Geräte, wo politische Belangsendungen von monatlichen Rekordreisernten schwärmen, obwohl die Hochwässer letzten Herbst viel vernichtet haben müssen. "Schwankende Personen" können davon nur träumen und "feindlich gesinnte Personen" finden sich laut amnesty international zu Hunderttausenden in Straflagern wieder. Aus der Diktatur des Proletariats ist die Herrschaft weniger Familienclans mit der Familie Kim an der Spitze geworden. Seit 2002 ist zumindest ein bisschen Marktwirtschaft in den neuen Sonderwirtschaftszonen Sinuiju und Kaesong erlaubt, doch 95 Prozent der Wirtschaft sind immer noch planwirtschaftlich strukturiert.

Potemkin lässt grüßen

"Was denkst du über unser Land?", wollen Frau Han und Herr Kim ständig wissen. Andere Gesprächspartner gibt es nicht. Eigene Speisesäle trennen selbst chinesische und westliche Touristen. Ich speise alleine, denn ehrlicher Gedankenaustausch ist unerwünscht. Ein Land im Gleichschritt, abgeriegelt vom Rest der Welt: Mobiltelefone wurden 2002 kurz erlaubt, bis 2004 allerdings wieder konfisziert. Das Internet-Kürzel ".kp" existiert nur theoretisch. In der "Großen Studienhalle" (Nationalbibliothek) dürfen nur Auserwählte an fremdsprachige Literatur. Die heimische Währung Won bekommt kein Fremder zu Gesicht, denn außer opulenten Briefmarken (Kim umarmt Fidel Castro) und Ginseng ist nicht viel zu kaufen.

Reisende sehen ein potemkinsches Dorf, akribisch ausgetüftelt von der staatlichen Tourismusorganisation, die jedermann zwei Aufpasser zur Seite stellt sowie Fahrer und Vollpension verpasst. Diese bestimmen über Reiseziele und Fotomotive; ein origineller Schnappschuss zuviel kann bei der Ausreise unangenehm werden, denn die Zöllner klicken die digitalen Kameras der paar Gäste gerne durch. Erwünscht sind Bilder vom gekaperten US-Spionageschiff Pueblo oder vom Triumphbogen, der größer ist als sein Vorbild in Paris, wie Herr Kim süffisant anmerkt. Noch lieber sind ihm Fotos von der Visite einer Biologiestunde, in der Zwölfjährige in adretten Schuluniformen minutenlang Zwiebelschalen durch museumsreife Mikroskope anstarren, ohne sich zu bewegen. Danach folgt die tägliche Schülergesangsdarbietung im Festsaal, die unvermittelt in chinesische Schlager zum Mitsingen übergeht und mit allgemeinem Tanz endet. Was für ein freundliches Volk. Amerikanischen und japanischen Staatsbürgern ist die Einreise leider völlig verwehrt, von ein paar Wochen Gruppen-Sightseeing anlässlich der Arirang-Massen-Spiele im Spätsommer abgesehen, wo das Land sich von seiner besten Seite zeigt. Im Winter wird Nordkorea einfach zugesperrt, Visa sind dann kaum erhältlich.

Die nordkoreanischen Wahrheiten, die Frau Han zum Besten gibt, nimmt man zur Kenntnis: Warum die U-Bahn der Millionenstadt Pjöngjang mit über hundert Metern unter dem Erdboden gar so tief ist? Frau Han: "Weil die Keller der Stadt auch so tief sind." Richtig, aber nicht von Frau Han: Weil die Schächte, deren geheimer Verlauf angeblich auch Ministerien verbinden soll, als Nuklearschutzzone vorgesehen sind. Warum unser Fahrer jedem Stadtpolizisten ständig ein ganzes Bündel an Papieren vorzeigen muss, obwohl er vorschriftsmäßig unterwegs ist? Frau Han: "Weil die Abgasnormen so streng sind." Besser: Weil es strikte Regeln gibt, wer wann und wo die Stadt betreten und verlassen darf.

Der nordkoreanische Diktator in Khaki liebt Inszenierungen über alles: Mitten in den 1960ern betrieb er eine koreanische Kulturrevolution, verbannte abstrakte Kunst aus dem Land und gründete Filmschulen und Kunstakademien. Beim Militär war er nie. Kims Märchenwelt sieht gute Nordkoreaner und böse Imperialisten in Südkorea und den USA, die er 2006 mit Nuklearversuchen und Raketentests zu Hilfsmaßnahmen für sein erbarmungswürdiges Volk brachte. Seither herrscht politisches Tauwetter.

Atomwaffen für Öl und Reis

Das vorjährige Gipfeltreffen zwischen Kim Jong Il und dem südkoreanischen Präsidenten Roh Moo Hyun in Pjöngjang war erst das zweite seit der Teilung der Halbinsel nach dem Zweiten Weltkrieg. Und die beiden koreanischen Olympiamannschaften planen zu den Spielen in Peking gemeinsam per Zug anzureisen. Selbst der bilaterale innerkoreanische Güterbahnverkehr schien abgemacht. Doch die zum Jahreswechsel versprochene Offenlegung des nordkoreanischen Atomprogramms verzögert sich und das bekannte Spiel um Abrüstung im Gegenzug für humanitäre Hilfe geht in die nächste Runde.

Am 16. Februar wird Kim 66 Jahre alt. Offiziell hat er weder die First Lady noch einen seiner drei Söhne als Nachfolger nominiert, inoffiziell aber Diabetes und 15.000 Filme in seinem Privatarchiv. Die staatliche Filmindustrie dirigiert er wie sein geerbtes Reich. Wie er den Erstauftritt eines US-Orchesters in Nordkorea zu nutzen weiß, steht noch in keinem Drehbuch. Genossin Han und Genosse Kim werden auf jeden Fall begeistert sein.

Der Autor ist Lehrbeauftragter am Institut für Geografie der Universität Wien.

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