Die tödliche Grenze

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Früher war Panmunjom die Kornkammer ganz Koreas. Nun stehen hier Zäune, und Tausende bewaffnete Soldaten machen die Region zu einem der gefährlichsten Plätze der Welt.

Der Regen hängt an diesem Tag wie ein nassklammer Handschuh über den Vororten von Seoul, die grauen Betonburgen erscheinen noch trister als sonst, der Han-Fluss führt braunen Schlamm mit sich. Am Ufer sitzen Späher auf ihren Hochsitzen. Sie halten Ausschau nach Spionen. In der Vergangenheit kam es immer wieder vor, dass nordkoreanische Spitzel sich über den Fluss in den Süden schleusten.

Je weiter man Richtung Norden fährt, desto stärker dringt der Konflikt zwischen Nord- und Südkorea ins Bewusstsein. Die Autobahn - sie trägt den bezeichnenden Namen "Freiheitsstraße“ - wird von Stacheldrahtzäunen und Wachposten flankiert. Bis an die Zähne bewaffnet patrouillieren südkoreanische Soldaten am Straßenrand. Szenen wie im Kalten Krieg. Über einen Streckenabschnitt wölbt sich eine Brückenkonstruktion, die im Falle eines nordkoreanischen Angriffs Betonpfeiler in den Boden rammt, um die Zufahrtswege zu blockieren. Südkorea ist für alle Eventualitäten gewappnet.

Und doch will man Normalität vorspielen. An der Grenze bei Panmunjom gibt es Parkplätze wie bei einer Touristenattraktion, auf einem Plakat lächelt ein Popsänger. Sein Gruß wirkt wie eine Propagandabotschaft - nach dem Motto: "Sehr her, wie frei unser Land ist!“ Jedoch: Die doppelten Stacheldrahtzäune und Mauern sprechen eine andere Sprache.

Auf der Aussichtsplattform weht ein rauer Wind, dunkle Wolken ziehen über die Hügel am Horizont. Über den Han-Fluss kann man ans andere Ufer blicken. Dort beginnt das nordkoreanische Territorium. Die Luft ist diesig, doch lässt sich erkennen, wie karg und ausgelaugt die Landschaft ist. "Die Nordkoreaner haben die Wälder gerodet, um Brennstoff zu gewinnen“, sagt Maria Shin. Die 63-Jährige ist mit dem Korea-Konflikt aufgewachsen. Sie erinnert sich noch daran, wie Panzer über den 38. Breitengrad rollten und amerikanische Luftbomber aufstiegen. "Das war schlimm“, sagt sie. Heute blickt sie mit Wehmut auf die Grenze. "Es ist traurig, mit ansehen zu müssen, wie alles verkommt. Früher war hier fruchtbares Ackerland.“ Das Grenzgebiet gilt als die Kornkammer Koreas. Die nährstoffreichen Böden und das feuchte Klima bieten optimale Voraussetzungen für Landwirtschaft. Doch der Konflikt stellt alles in den Schatten. "Es ist ein Jammer“, seufzt Shin.

Häuser als Spionageobjekt

Auf den sandigen Dünen stehen verlassene Häuser. Das Regime hat sie vor ein paar Jahren dort errichtet, um Präsenz zu zeigen. Weil die Häuser aber zum Objekt von Spionage wurden, verlegte die Militärverwaltung die Siedlungen zurück hinter den Berg. Niemand soll sehen, unter welchen Bedingungen die Leute leben. In einem Dokumentationszentrum zeigen seltene Filmaufnahmen, wie nordkoreanische Bauern mit Harken und Pflügen Ackerbau betreiben. Die Menschen leben von der Hand in den Mund.

"Früher“, erzählt Maria, "sind hier Flüchtlinge über das Ufer geschwommen. Heute geht das nicht mehr.“ Späher wachen mit Argusaugen über den Flussverlauf, kontrollieren jedes winzige Sandkorn. Jeden Tag starren sich die Soldaten mit Ferngläsern an. Es passiert nichts. Die Fronten sind verhärtet. Seit über sechs Jahrzehnten.

Die Teilung Koreas hat ganze Familien auseinandergerissen. Nur über ein Austauschprogramm des Internationalen Roten Kreuzes (IRK) können sich die Angehörigen sehen. Shin hat selbst Verwandte im Norden. "Ich habe sie aber nie kennenlernen dürfen.“ Die Trennung manifestiert sich auch in der Sprache. "Es gibt Begriffe, die kennen die da oben gar nicht“, sagt Maria. Aus ihren Worten klingt Verärgerung und Mitleid. "Ice-Cream zum Beispiel gibt es nicht in dem Wortschatz. Es muss mühsam umschrieben werden.“ Umgekehrt ist es genauso: Eine nordkoreanische Fernsehserie, die seit geraumer Zeit im Süden zu sehen ist, muss untertitelt werden, "weil wir manche Begriffe einfach nicht verstehen“, wie Shin sagt. In 60 Jahren ist die Entwicklung auseinandergeklafft. Die Unterschiede könnten größer kaum sein: Hier der stagnierende Norden, der in einem Steinzeitkommunismus verharrt. Dort der prosperierende Süden, der internationale Sportevents und Meetings veranstaltet.

Shin hat von der Offenheit ihres Landes profitiert. Im Rahmen eines Austauschprogramms ging sie nach Deutschland und arbeitete zehn Jahre im Kreiskrankenhaus Böblingen. Danach kehrte sie als Reiseleiterin in ihre Heimatstadt Seoul zurück. Im Jahr 2002 betreute sie bei der Fußball-WM die deutsche Nationalmannschaft. Vor zwei Jahren kehrte sie erneut nach Deutschland zurück: Ihre Tochter bekam von der Universität Tübingen die Doktorwürde in Jura verliehen. Shins Familie ist in der Welt angekommen.

Von solcher Freizügigkeit können die Menschen im Norden nur träumen. Das Regime hat das Land hermetisch abgeriegelt. Nichts und niemand darf nach außen dringen. Der Freedom House Index, ein politikwissenschaftlicher Indikator für Grundfreiheiten auf der Welt, führt Nordkorea als Schlusslicht aller Staaten auf. Das Urteil, das die Organisation über das Land fällt, ist vernichtend: "Aufgrund der fehlenden Infrastruktur, Energieknappheit, mangelnden Rohstoffen und der Unfähigkeit, sich auf den Kapitalmärkten zu refinanzieren, hinkt die Entwicklung des Landes hinterher.“ Die Autoren identifizieren einen "ideologischen Isolationismus“. Die kommunistische Führung um Kim Jong-il versucht, die Misswirtschaft mit einer kruden Ideologie zu übertünchen.

Die Ökonomie ist in einem desolaten Zustand. Das Wachstum stagniert, das Pro-Kopf-Einkommen beträgt jährlich 800 US-Dollar. Nordkorea hat den Übergang von der Agrar- zur Industrie- bzw. Dienstleistungsgesellschaft nicht vollzogen. Jeder dritte Einwohner arbeitet in der Landwirtschaft. Trotzdem kann sich das Land nicht selbst versorgen - es ist auf fremde Hilfe angewiesen. "Wir schicken immer Nahrungsmittel in den Norden“, sagt Shin.

Umstrittene Hilfen

Allerdings: Die Hilfen sind nicht unumstritten. Einige südkoreanische Politiker sind verärgert, dass ihr Land ein ums andere Mal von nordkoreanischen Unterhändlern an der Nase herumgeführt wird. Das Paktieren und Finassieren der kommunistischen Führung dürfe nicht länger geduldet werden, fordern sie. Yoon Sang-hyun, Mitglied der konservativen Regierungspartei Hannara Dang (HD), behauptet, Nordkorea würde über eine Million Tonnen Reis horten. Hilfen seien nicht notwendig - das Land verfüge über genügend Reserven. Auch Südkoreas Vereinigungsminister Hyun In-taek beschuldigt den Norden, seine Probleme zu übertreiben.

Internationale Nichtregierungsorganisationen drängen dagegen auf rasche Hilfe. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen fürchtet eine erneute Hungersnot wie Mitte der 1990er-Jahre - sie kostete einer Million Menschen das Leben.

Südkoreas Staatspräsident Lee Myung-bak bleibt unterdessen bei seiner harten Haltung. Er will staatliche Nahrungsmittellieferungen vom Ende des Nuklearprogramms abhängig machen. Dazu hat er Nordkorea zu einem internationalen Atomgipfel eingeladen. Voraussetzung: ein "ehrliches und entschlossenes Versprechen“, das Nuklearprogramm zu stoppen. Kritiker halten das für utopisch. Denn das Regime in Pjöngjang nutzt die Bombe schon seit Jahren als Faustpfand, um den Staat vor dem Zusammenbruch zu retten.

Ob Korea jemals wiedervereinigt wird? Am Grenzzaun gibt man die Hoffnung nicht auf. Besucher haben auf bunte Spruchbänder ihre Wünsche geschrieben. Man liest Sätze wie "Wir vergessen euch nie“, "Lasst uns zusammenkommen!“ oder "Unsere Seele soll ruhen“. Sie klingen hoffnungsvoll, aber auch irgendwie hilflos. Die bunten Bänder baumeln vor einer düsteren Kulisse.

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