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„Neutrales“ Nordkorea

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Man kann es nun schwarz auf weiß in der vom Informationsdienst der amerikanischen Regierung herausgegebenen Zeitschrift „Problems of Communism" lesen: Nordkorea sei sich der Gefahr bewußt geworden, ein Satellit Pekings zu werden,

und es befinde sich „wahrscheinlich“ auf dem Wege zu einem Neutralismus, der seine Unabhängigkeit garantieren soll. Ja, Nordkorea strebe danach, so heißt es weiter,

ein Pufferstaat zwischen den beiden kommunistischen Großmächten zu werden, die es gegeneinander auszuspielen trachte, um möglichst viele politische und materielle Zugeständnisse des Kreml zu erhalten.

Der Verfasser des erwähnten Ar-

tikels ist Prof. Thomas An, ein Koreaner, der seit 1954 in Amerika lebt und dort heute politische Wissenschaften lehrt. Man hat es also gewissermaßen aus erster Hand.

Professor An meint, die Politik der Interessengemeinschaft mit China habe sich ökonomisch und militärisch für Nordkorea als sehr unvorteilhaft erwiesen. Chruschtschow habe sogleich nach dem Einschwenken Nordkoreas auf den Pekinger Kurs alle militärische und ökonomische Hilfe an Nordkorea eingestellt, was es der Regierung in Pyongyang verunmöglichte, die Produktionsziele ihres Siebenjahresplans zu erreichen. Gleichzeitig wurde Nordkorea militärisch bedenklich geschwächt, da die Sowjetunion die Lieferung von Brennstoff und Ersatzteilen für die 500 sowjetischen MIG-15 ein stellte, die man Pyongyang geliefert hatte.

Der Entschluß der nordkoreanischen Regierung, sich von Peking zu distanzieren, muß bereits vor über einem Jahr erfolgt sein, da Moskau schon im vergangenen Jahre seine Lieferungen an Pyongyang wiederaufgenommen hat. Möglicherweise, so meint Professor An, sei die Abwendung von Peking auch darauf zurückzuführen, daß Peking von Nordkorea vielleicht verlangt habe, in Korea zur Entlastung Nordvietnams eine „zweite Front“ zu eröffnen. Die Nordkoreaner wüßten aber, daß dies ihr Land wiederum der zerstörenden Wirkung der amerikanischen Luftwaffe ausgesetzt hätte. Schließlich meint der Verfasser, Nordkorea sei zweifellos enttäuscht über die Haltung Pekings im Vietnamkrieg. Da Peking auf die amerikanische Eskalation nicht reagiert habe, sei es in den Augen der Nordkoreaner zu einem „Papierdrachen“ geworden. Man habe in Pyongyang eingesehen, daß in absehbarer Zukunft nur der sowjetische „Atomschirm“ einen Abschreckungsschutz gegenüber den USA bieten könne.

Professor An mag sich da etwas auf das Gebiet der Spekulation gewagt haben, aber entscheidend ist, daß seine Feststellung eines Kurswechsels in Nordkorea durch die Ereignisse bestätigt wird. Vor wenigen Tagen veröffentlichte die offizielle Parteizeitung Nordkoreas, „Nodong Sinmun“, einen langen Leitartikel unter dem Titel „Laßt uns unsere Unabhängigkeit verteidigen“. In diesem Artikel, der geradezu „rumänische“ Töne anschlägt, heißt es unter anderem, die Revolution könne weder exportiert noch importiert werden, urad alle kommunistischen Parteien müßten unabhängig sein, um die für ihr Land geeignete Form der Revolution durchführen zu können. Niemand kenne die Situation in einem Lande besser als die Partei dieses Landes selbst, und die Kommunisten sollten nicht nach der Pfeife anderer tanzen. Eine Partei, die nicht unabhängig sei, könne in ihrer Politik keine Prinzipien und keine Beständigkeit entwickeln. Das liest sich in der Tat wie die berühmte Unabhängigkeitserklärung der rumänischen Kommunisten, und es kann kein Zweifel darüber aufkommen, an welche Adresse diese Erklärung in erster Linie gerichtet ist. Peking hat nach all seinen Mißerfolgen der letzten Monate auf dem Gebiete der Weltpolitik eine Schlacht mehr verloren.

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