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Gefalteter Schirm

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China gehörte 1941 zu den Kriegsgründen, China ist heute neuralgischer Punkt, doch in einem sind Tokio und Washington) heute einig: Kann die Neuralgie njcht geheilt werden, darf sie doch nicht zu einer japanisch-amerikanischen Krise in Ostasien führen. Um der besorgniserregenden Entwicklung der japanisch-amerikanischen Beziehungen entgegenzuwirken, trafen einander der neue Ministerpräsident Japans, Kakuie Tanaka, und Nixon. War zu solchen Aussprachen bisher der japanische Ministerpräsident immer nach Washington gereist, so war diesmal der Treffpunkt auf halbem Wege zwischen beiden Hauptstädten.

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China gehörte 1941 zu den Kriegsgründen, China ist heute neuralgischer Punkt, doch in einem sind Tokio und Washington) heute einig: Kann die Neuralgie njcht geheilt werden, darf sie doch nicht zu einer japanisch-amerikanischen Krise in Ostasien führen. Um der besorgniserregenden Entwicklung der japanisch-amerikanischen Beziehungen entgegenzuwirken, trafen einander der neue Ministerpräsident Japans, Kakuie Tanaka, und Nixon. War zu solchen Aussprachen bisher der japanische Ministerpräsident immer nach Washington gereist, so war diesmal der Treffpunkt auf halbem Wege zwischen beiden Hauptstädten.

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Das Ergebnis zeigt den Willen beider, Risse nicht zu gefährlichen Abgründen werden zu lassen; doch verkleistert konnten die Risse nur oberflächlich werden. Zwischen den Präsidenten der USA und den japanischen Ministerpräsidenten hatte es zwischen dem Friedensvertrag von San Franzisko 1952 und dem Zusammentreffen in Honolulu 1972 nur Gipfelauseinandersetzungen miteinander Verbundener gegeben — jetzt lag die Breite des Pazifik politisch und wirtschaftlich zwischen ihnen. Und Tanaka hatte aus seinen Kontakten mit Peking die Sicherheit in das Gespräch gebracht, daß China auf seiner Seite des Pazifiks liegt, auf der asiatischen. Den Nachbarn in Peking wird Tanaka im September besuchen.

Es herrschte bei dem Gespräch Nixon-Tanaka kein Zweifel, daß hauptsächlich wirtschaftliche Triebkräfte bisher die Karambolagen und Fastkarambolagen verschuldet hatten. So rückte man nach dem Chinaproblem in Honolulu den wirtschaftlichen Problemen zu Leibe. Das Ergebnis waren Kompromisse. Prinzipiell wurde festgestellt, daß Japan in Zukunft seine eigene, eine souveräne Chinapolitik betreiben werde: Priorität der chinesisch-japanischen Interessen. Für dieses Zugeständnis einer längst verwirklichten Situation wollte Tanaka durch Entgegenkommen für die USA Wünsche nach größeren japanischen Importen aus den USA, nach Ausgleich des Drei-Billionen-Dollar-Handelsüberhanges kompensieren. Zuletzt wurde noch das Japan-USA-Bündnis deklamatorisch bestätigt. Das ist eine Liste von Luftballonkompromissen: a) Die USA haben selbst mit der Ankündigung von Nixons Chinareise ohne Information Japans das

Zeichen zur Beendigung der gemeinsamen Chinapolitik und zum Beginn der souveränen Chinapolitik gegeben. b) Mit den japanischen Einkaufsversprechungen wird nicht ein neuer Kaufzettel ausgeschrieben, sondern die bereits beschlossene Einkaufsliste Japans soll von den USA eben in kürzerer Zeit ausgeliefert werden; Yenabwertung als Handelsregulierung zugunsten der USA wurde von Tanaka nicht abgelehnt, aber zur Seite geschoben. c) Das japanisch-amerikanische Bündnis ist auch in den Tiefpunkten der Beziehungen zwischen den beiden Staaten nie angefochten worden — doch diesmal weigerten sich die Japaner, die Sicherheit Südkoreas und Taiwans als gemeinsame Angelegenheit zu bezeichnen.

Frei von vielen USA-Bindungen wird Tanaka im September Tschu En-lai in Peking gegenüberstehen. „Längst aus dem Schatten der amerikanischen Vormundschaft getreten, kann Tanaka in Peking die Morgenröte einer chinesisch-japanischen Politik der Ergänzung genießen.“ (Aus: Yomiuri, Tokio.) Das japanische Führungstriumvirat verhehlt nicht, daß es gerade diesen Genuß sucht. Peking entmutigt nicht die hoffnungsfrohen Japaner. Ministerpräsident Tanaka, Außenminister Ohira, Vizepremier Miki verkörpern das Ende der Periode „japanischamerikanischer Schicksalsgemeinschaft“ und den Beginn der Periode „Wir nehmen das Schicksal in unsere eigenen Hände“. Zwischen Japan und den USA gab es bis zum Abgang des Ministerpräsidenten Sato Beziehungen besonderer Art. Die USA hatten 1945 das alte Japan in tiefe Bewußtlosigkeit geschlagen. Dann saßen sie am Krankenbett, als der Patient aus der Schockbehandlung erwachte und führten ihn der Genesung zu. Selbst als der Genesene mit unerwarteter Vitalität in den wirtschaftlichen Lebensraum des Beschützers einzudringen begann, beließen die USA — aus eigenen Sicherheitserwägungen natürlich — dem Schützling fast gratis ihren Bündnisschutz und vollkommen gratis den Nuklearschirm.

Die Mentalität des Führungstriumvirats ist der Schlüssel zum Beziehungsdreieck Japan-China-USA. Tanaka ist ein Politiker des klassischen Nippon der unmittelbaren Vorkriegszeit — modern verpackt; nicht Bürger mit Regierungsverantwortung, sondern Exekutivorgan expansiver Kreise — heute ausschließlich wirtschaftsexpansiver. Außenminister Ohiro ist ein Erzfcon-servativer mit instinktiven Ressentiments gegen den Westen und Senti-ments für den japanischen Umweltsauftrag. Miki ist der einzige mit westlichen Gedankenzügen — ein Linksliberaler. Man darf nicht vergessen, daß der Zengakuren-Studen-ten-Antiamerikanismus rebellischer Samurai links geprägt war. Dahinter und zeitbeständiger stand immer der ausgereifte Antiamerikanismus der japanischen Groß- und Großraumwirtschaft. Sie streben seit hundert Jahren nach Ebenbürtigkeit mit dem Westen und das Überleben ihres rohstoffarmen Landes durch Identifizierung von Japans Politik und Verflechtung von Japans Wirtschaft mit der ostasiatischen Nachbarschaft an.

In Peking ist alles auf freundlichen Empfang eingestellt. Natürlich weiß man dort, daß Japans Bündnis mit den USA ein Sicherheitselement der japanischen Politik ist und Tokio auf den amerikanischen Nuklear -schirm nicht verzichten will. Wenn aber weit und breit kein Atomregen droht, könnte vielleicht der Schirm zusammengefaltet werden. Nordkoreas allmächtiger Kim il Sung schickt statt Infiltranten und Waffen echte Friedensunterhändler nach Südkorea. Und Peking bläst jede Wolke vom blauen Himmel — östlich von Dakka. Und das ist für China das Gegengewicht gegen die sowjetische Bedrohung vom Westen und vom Indischen Subkontinent her.

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