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Blutige Clownerie?

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Am 9. Oktober ist in Japan das Fest der Chrysanthemen. Was später aufblüht, ist dürr und welkt schon in der Knospe. Aber der Herbst ist sehr warm und dauert lange. In diesen Monaten sind die großen Gärten in Tokio voll von Männern in dunklen Gewändern und Frauen in Festtagskimonos. Auf den alten Friedhöfen mitten in den Wohnvierteln verglimmen Tag und Nacht die Räucherstäbe.

Nach dem bunten Chrysanthemenfest werden die schweren Tage des sonnigen Herbstes gefeiert, wie im Frühjahr das Rild der welkenden Kirschblüte ohne Frucht — die helle Kirschblüte — geliebt wird. „Verspätete Blüte“ heißt auch ein Roman des Dichters, der am 25. November im Hauptquartier der japanischen „Verteidigungskräfte Ost“ Seppuku begangen hat. Es ist ein Buch über die Jugend in einem Japan des Verwelkens der japanischen Tugend unter der Sonne der modernen Zivilisation, die aus dem Westen scheint. Und die „Gesellschaft der Kirschblüte“, eine patriotische Geheimgesellschaft junger Offiziere, die im Putsch gegen „korrupte Politiker“ 1936 unterging, um vier Jahre später in den Eroberungen des Tenno Erfüllung zu finden, war das Vorbild der „Schildgemeinschaft“, die an diesem Herbsttag 1970 ihren Führer und Gründer Yuikio Mishima in den Tod geleitete. Am Tag vor dem Seppuku des Dichters und seines Freundes Hissho Morita sprach Ministerpräsident Sato vor dem japanischen Unterhaus über die Außenpolitik einer wirtschaftlichen Großmacht, „die nie wieder eine militärische Macht werden will“. Neben den Regierungserklärungen lieferte den Zeitungen der Kampf gegen die Umweltverschmutzung die größten Schlagzeilen. Das Japan der nichtversiegeniden

Konjunktur übernahm diesen Kampf als Statussymbol und Erfolgsnachweis von den USA — er bleibt wirkungslos unter dem Himmel von Tokio, der nur im Zentrum manchmal stahlblau ist, draußen in den Vororten aber im schweren Gelb aus Ruß und Rauch die Sonne für immer ausgeschaltet hat.

Am Tag der Regierungserklärung im Parlament kommen die sechs Führer der Tatenokai — Schildgemeinschaft — zusammen. Yukio Mishima, sein Gefährte Hissho Morita und vier Sekundanten, alle Studenten, kauern im Lotussitz und gießen einander, jeder seinem Kameraden, Sake in die Becher. „Keinen Zweifel gab es, wie der nächste Tag enden wird“, erzählte später einer, „jeder weiß, daß für ihn unerläßlich ist, was zwölf Stunden später folgt.“ Die zwei Helden der Runde, der Dichter und sein fünf/undzwanzig-j ähriger Freund, vereinbaren, während die anderen die Köpfe gesenkt halten, das blutige Ritual. Yukio Mishimas ist das einfache Opfer — dem Vaterland, Hissho Moritas Jst ein zweifaches Opfer, clem Vaterland und seinem Freund. Er wird dem sterbenden Dichter mit einem Schwertstreich den Tod geben müssen, bevor er selber Seppuku vollziehen darf; höchster Ausdruck der Bindung, die die beiden Männer im letzten Jähr ihres Lebens umschlossen und auf dem Weg zum gemeinsamen Seppuku getrieben hat. Der Samurai der klassischen Zeit sollte ein Meister des Schwertes sein und ein Meister der Feder. Das war ein großer Tod, wenn aus dem Helm, der vom Kopf des sterbenden Samurai geglitten war, ein Streifen Papier fiel, auf dem mit schwarzer Tusche und kalligraphiert der letzte Vers des Kriegers stand. So schrieben die vier Sekundanten und die zwei Todgeweihten am Abend des vierundzwanzigsten November, bevor sie voneinander gingen, ihre Verse. Im Beutel, der am nächsten Tag neben dem toten Mishima gefunden wurde, lag ein Stück Papier: „Vergeblich hat ein Mann mit Mut gewartet — und lange Zeit die Hand am Schwert — nun ist auch dieses Jahr dem Frost schon nah...“

Mittwoch, den fünfundzwanzigsten, klopften die sechs an das Tor des Hauptquartiers der „Selbstverteidigungskräfte Ost“ in Ichigaya. Nahe dem Vergnügungszentrium Shinjuiku ist das militärische Hauptquartier in einem sehr harmlos wirkenden Gebäude um diese Zeit des Morgens von späten Heimkehrern der vergangenen Nacht umlagert. Den sechs Männern wurde das Tor geöffnet; die alte Verschlossenheit der kaiserlichen Armee gibt es nicht mehr. Ein ziemlich freundlicher Amtston herrscht in den militärischen Hauptquartieren. Sicherlich, die sechs Männer waren eigenartig gekleidet: Phantasieunifortmen zwischen preus-sischem Kadetten- und japanischem Marinestil.

Sie trugen weiße Bänder um ihre Stirnen. Aber darauf nicht die feurigen Ideogramme des Zengakuren, sondern patriotische Symbole — vorne die Chrysantheme des Kaiserhauses. Man ließ sie ein und führte sie zum Kommandeur. Yukio Mishima forderte die Erlaubnis, vom Balkon zu den Soldaten der Truppe zu sprechen. Der Kommandeur verweigerte sie. Sie fesselten den General, banden ihn an seinem Stuhl fest und dann ging der Dichter, begleitet von der Schildgemeinschaft, ohne Erlaubnis auf den Balkon und sprach ohne Erlaubnis zu den Soldaten, die von allen Seiten kamen. Die Antwort der Soldaten war wahrscheinlich das endgültige Urteil. Yukio Mishima forderte sie auf, nicht länger die demokratische Verfassung Japans zu verteidigen, die einer Armee das legitime Recht nehme und den verächtlichen Stempel „Selbstverteidigungskräfte“ aufdrücke. Yukio Mishima forderte die Soldaten auf, wieder den Weg zum Ruhm zu beschreiten; der erste Schritt müsse die Vernichtung der korrupten Politiker und der korrupten Politik sein. Der Dichter in seiner dunklen Uniform auf dem Balkon sprach zu einer Armee aus Samurai, er wollte an die Spitze der Krieger aus seinem eigenen Roman treten.

Das war aber keine Samurai-Armee mehr. Das war die vielleicht nüchternste und sachlichste Truppe der Welt, entstanden aus den Erfahrungen des Mythos-Zusammenbruchs von 1945, organisiert im Schatten der Verfassung, die Japan jede Armee verbietet — daher der Deckname ,3elbstverteidigungskräfte“. Technisch ausgerüstet mit den modernsten Produkten der amerikanischen Rüstungsindustrie und vielleicht noch moderneren Produkten der japanischen Industrie, und mit dem Bewußtsein, über Atomwaffen verfügen zu können, wenn es sein muß. Aber auch mit dem Wissen, daß auf Atomwaffen verzichtet werden soll — getreu der Außen- und Militärpo-litik der Regierung: „Japan soll eine Großmacht der Wirtschaft sein und nicht eine Militärmacht werden.“ Hier auf den Balkon des Hauptquartiers erlebte der Dichter, der glaubte, vor den Gestalten seiner eigenen Romane zu sprechen und nun erfuhr, daß er vor bewaffneten Beamten des Staates sprach, den tragischen Zusammenbruch. Hätte zustimmender Jubel der Soldaten den Dichter und seinen Freund vom Selbstmord abhalten können, so festigten die höhnischen Zwischenrufe, die Lustigma-chereien auf dem Hof den selbstmörderischen Plan. In das Zimmer des Generals zurückgekehrt, beging Yukio Mishima Harakiri, trat Hissho Morita „Kaishaku“, der Vertraute und Exekutor, neben den Sterbenden, um durch einen Schwert-schlag den Kopf vom Leib i zu trennen, bevor die Schmerzen zur Demoralisierung führten. Dann kniete

Hissho Morita nieder, um selbst Harakiri zu begehen, trat einer der vier Gefährten neben Hissho Morita hin, als „Kaishaku“ — Freund und Exekutor — das Schwert aufzunehmen und des jungen Mannes Schmerzen zu beenden.

Als im Hauptquartier das Signal zum Mittagessen rief, lagen im nüchternen Zimmer des Kommandeurs zwei Enthauptete, die helle Scheide eines Saimuraischwertes und ein Dolch unter den obligaten Ikebana. Polizisten waren eingedrungen und hatten die Überlebenden verhaftet. Doch es waren alle noch im Zimmer, auch der General. Betretenheit breitete sich aus, als die Zeitunigen die ersten Meldungen brachten — es gibt in Japan neue Ausgaben jede zweite Stunde. Sie legte sich am Nachmittag mit dem Nebel über die Stadt. Dann erst kam die Reaktion: „Die Tat von Wahnsinnigen“, sagte der Ministerpräsident, der böse Wirkungen des „Vorfalles“ in den Ländern Asiens, den USA und in den kommunistischen Ländern befürchtete. „Blutige Samuraiclownerie“, hieß es. Die Führer der Sozialistischen Partei protestierten und die Führer der Kommunistischen Partei Japans, ausnahmsweise unisono mit Moskau und mit Peking, sagten: „Beweis für die Wiederkehr des Militarismus.“

Yuikio Mishima war für den Nobelpreis vorgeschlagen. Seine Romane sind die Werke eines genialem Dilettanten — wie sein Tod. Vom heroischen Dilettantismus lebt aber die Phantasie der Japaner, und manchmal macht der heroische Dilettantismus mit der großen Geste des Samurai japanische Geschichte. Unter diesen hundert Millionen Menschen des Gehorchens und der Konvention gibt es plötzlich einige, die sich gegen den Strom stellen; Rebellen der Linken, Rebellen der Rechten. Sie vermengen Patriotismus mit sozialem Utopismus, „ein Nippon der Gerechtigkeit unter dem kaiserlichen Thron, ein Nippon der Samurai und der Bauern“ haben die Rebellen des Nationalismus immer proklamiert.

„Ein Japan in der internationalen Front des Antiiimperialismius“ proklamieren die Linken und sie sind bereit, den extremen Nationallsmus im eigenen Land und in allen Nachbarländern zu führen, gegen die USA zu mobilisieren. Der Geschichte Japans von der Landung der amerikanischen Schiffe Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis zum Untengang der Putschisten, der Mörder, der Clowns, folgte die Heroisie-rung des Geschehenen und der Akteure, denn kein Volk liebt den tragischen Helden wie das japanische.

1945 ist dann die Kette der nationalistischen Samiurairebellionen abgerissen — um nur wenige Jahre später weit links durch Zengakuren wieder aufgenommen zu werden. Ob Yukio Mishimas Tat „blutige Clownerie“ bleibt oder der Anfang einer neuen Kette im Lager des utopischen Ultrapatriotismus wird? Im Gedächtnis Japans wird bleiben der Dichter, in Vergessenheit versinken sein junger Freund Hissho Morita.

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