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Zwei Revolutionen warten

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Der 37. Präsident der USA hat über 200 Millionen Menschen „geerbt”, von denen 102 Millionen Frauen und 98 Millionen Männer sind. In runden Ziffern sind von diesen Menschen 175 Millionen weiß, 25 Millionen Neger. 125 Millionen leben in Städten, und 33 Millionen haben ihre eigenen Häuser. 120 Millionen Menschen sind wahlberechtigt, 9 Millionen sind Ausländer; 19 Millionen sind unter fünf Jahren alt und 19 Millionen sind über 65 Jähre alt. Das Durchschnittsalter der Amerikaner ist 27,7.

Innenpolitik hat Vorrang!

91 Amerikaner sind verheiratet, 11 Millionen sind Witwen und Witwer, 123 Millionen sagen, daß sie in die Kirche gehen. 50 Millionen junge Amerikaner gehen in die Mittelschulen, 6 Millionen in Colleges. 33 Millionen sind Angestellte und Büroarbeiter, 27 Millionen sind Arbeiter.

Der neue Präsident und die neue Verwaltung erbten auch Sorgen, schwere Sorgen, mit den Menschen, die sie wählten. Amerika, das sich dem Jahre 1969 nähert, war noch nie in seiner Geschichte so gespalten, so von Unruhen gequält, so mit Haß und Mißverständnissen gefüllt. Als ob die internationale Lage nicht dazu zwänge, alle Kräfte der Regierung zu gebrauchen, steht es heute so, daß die innenpolitische Lage die absolute Priorität von der neuen Regierung verlangen wird. In Amerika bestehen heute zwei Revolutionen: die schwarze Revolution und die Revolution der Jugend.

Die Neger können nicht befriedigt werden mit jener „Integration”, mit der sie vor Jahren zufrieden waren. Heute verlangen die Neger die absolute Macht, ihre eigenen Probleme selbst zu lösen. Sie wollen ihre Ghettos selbst verwalten und tolerieren keine Intervention oder administrative Hilfe. Sie wollen keine weißen Polizisten sehen, sie wollen keine weißen Menschen in ihrer Gegend. Sie wollen eine totale Absonderung und nicht länger als „Neger” bezeichnet werden; sie sind „Afro-Amerikaner”, die ihre eigene Kultur haben und ihr eigenes Schicksal gestalten wollen. Nur eine eigene schwarze Kultur und politische Macht, von der weißen unterschieden, aber im Rahmen der weißen Kultur, wird sie befriedigen und integrieren.

Auf der anderen Seite stehen die jungen Studenten, die von nun an eine enge Zusammenarbeit mit den Schuladminiistrationen verlangen.

„Das sind die Herren Studenten”

Die heutigen Studenten wollen eine Stimme in den Erziehungsbestim- mungen der Colleges haben, sie wollen auch selbst ihr Schicksal bestimmen und auch etwas zu sagen haben in der Innen- wie auch der Außenpolitik der Regierung. Die heutigen Studenten wollen bestimmen, welche Gegenstände und was für Klassen oder auch Lehrer gewählt werden sollen. Sie wollen das Wahlrecht den Achtzehnjährigen geben.

Ein Verneinen der Verlangen der Neger und der Studenten hat dieses Jahr ein Vermögen in verbrannten Häusern und Geschäften gekostet; der Rauch, der sich in vielen Städten hob, war das Alarmsignal für das nächste Jahr, denn weder die Studenten noch die Neger haben die Absicht, nachzugeben.

Wird die neue Regierung es zustande bringen, die Revolution der Neger und Studenten friedlich zu beenden? Wird das Versprechen von „Law and Order” ohne Blutverguß zustande kommen? Wird die neue Regierung es zustande bringen, alle Schichten der 200 Millionen zu befriedigen und Ruhe und Ordnung im Lande zu erhalten? Das und ähnliches sind die Gespenster, die dem neuen Präsidenten ins Auge schauen. Für die Nation aber gilt: Geduld und Ausdauer,

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