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Erziehung ohne Rute

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Als ob der Krieg in Vietnam, di« kommenden Wahlen, die Rassenunruhen und der „Marsch der Armen nach Washington“ dem durchschnittlichen Amerikaner nicht genug Sorgen machen, kommt nur noch die Rebellion extremer Studenten an verschiedenen Colleges und Universitäten dazu. Die Studentenrebellionen sind etwas Unerwartetes und die meisten Universitäten und Ortsbehörden sind sich nicht klar wie diesen Rebellionen zu begegnen ist.

Amerikas unzufriedene Studenten sind die sogenannten „Spock- Kinder“. Dr. Spock, einst ein berühmter „baby doctor“, heute ein Anti-Vietnam-Demonstrant, war es, der die .gewaltlose“ Erziehung der Kinder betonte und dessen Bücher in den USA Millionenauflagen erzielen. Die „Dr.-Spock-Generation“ wuchs auf, ohne je das Wort „Nein“ von den Eltern gehört zu haben. „Die Kinder sollen nicht frustriert werden“, war das Losungswort; und sc wuchsen diese Kinder mit der Idee auf, daß man nur einen Zornanfall simulieren muß, um alles zu erreichen. Als Studenten sehen sich diese Kinder nun plötzlich mit einer Autorität konfrontiert, die die Arbeit und die Einhaltung gewisser Regeln fordert. Was heutzutage geschieht, ist nichts anderes als ein Zusammenstoß der Universitätsregeln und akademischen Forderungen mit verwöhnten Kindern, denen es bis jetzt zu gut ging und denen alles erlaubt war.

Linke Drahtzieher

Es wäre komisch, wenn es nicht so tragisch wäre, wenn man die Empörungen der älteren Generationen beobachtet. Die Erwachsenen sind empört über etwas, was sie selbst geschaffen haben! Die Eltern der rebellierenden Studenten können es einfach nicht verstehen, daß ihr kleiner Liebling heute mit langen Haaren und ungewaschen Colleges in Brand setzt, für die sie so viel Schulgeld zahlen!

Nun, wer sind diese Studenten? Die meisten von ihnen sind Kinder aus dem besseren Mittelstand. Sie kommen aus ordentlichen Familien und haben gewöhnlich genügend finanzielle Mittel, die Kosten der höheren Erziehung zu zahlen. Viele von ihnen sind Mitglieder der Students for a Democratic Society (S. D. S.), einer linksorientierten Aktivgemeinschaft, die ihre eigenen Regeln für „confrontation politics“ hat; es handelt sich um Taktiken,

„wie Menschen ohne Macht dis Macht in Institutionen übernehmen können, die das tägliche Leben beeinflussen“.

Andere Studenten sind Neger, die ihre eigene Politik treiben — sie wollen etwa bestimmen, was im Geschichtsunterricht vorgetragen werden soll, oder verlangen unter Drohungen Amnestie für Studenten, die gegen die Regeln der Universität verstoßen haben. Etwa in der Southern Illinois Universität drohen Neger, daß 500 von ihnen die Hochschule verlassen werden, wenn die Vergehen ihrer Führer nicht pardo- niert werden. Auf der Columbia- Universität in New York brachen Studenten in die Räume des Universitätspräsidenten ein und beschlagnahmten seine Korrespondenz und seine Dokumente. Sie belagerten die Universität und besetzten vier Tage lang die Gebäude, bis endlich die Polizei eingriff. Ein Gebäude der Stanford-Universität wurde niedergebrannt.

Die Administration der North- western-Universität in Illinois kapitulierte vor 125 Negern (die gesamte Studentenzahl ist 6500) und versprach, mehr afrikanisch-amerikanische Geschichte zu bieten.

Pöbelei und Gewalttaten dürfen allerdings nach Meinung vieler Amerikaner nicht toleriert werden. Die Studenten müssen einsehen, daß Brandschatzung und Gewalt nicht ein Teil der Erziehung sind. Und auch die Öffentlichkeit muß einsehen, daß die Methoden der Studentenaktivisten nicht konstruktiv, sondern destruktiv sind. Am Ende aber müssen die Studenten selbst einsehen, daß die Gesellschaft, gegen die sie jetzt kämpfen, eben die Gesellschaft išt, die es ihnen erst ermöglichte, Colleges und Universitäten zu besuchen; daß es die Gesellschaft ist, die Stipendien vergibt, die den ärmeren und unterprivilegierten Studenten die Möglichkeit bietet, ein t oberes Studium zu absolvieren; daß zur Gesellschaft die eigenen Eltern gehören, die oft viel opfern, um ihren Kindern die Chance der Universität zu geben.

In anderen Worten — daß man die Gans nicht schlachtet, die goldene Eier legt!

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