6899414-1980_22_08.jpg
Digital In Arbeit

Schule auf amerikanisch

Werbung
Werbung
Werbung

Warum setzen sich in Österreich gerade konservativ und elitär denRende Kreise in den Oberschichten gegen die schulischen Reformpläne der Linken zur Wehr? Diese sind ja keineswegs utopisch oder ohne Präzedenzfall. Ein ähnliches System ist teilweise in England und zu ganz großem Teil in den Vereinigten Staaten längst verwirklicht worden. Ergebnis: Neben einer breit angelegten „Demokratisierung der Gesellschaft” eine kleine Elite.

Zehn Jahre lang war ich in den Vereinigten Staaten College- und Universitätsprofessor und seit 1948 halte ich drüben alljährlich Gastvorlesungen im ganzen Land. Ich spreche also aus Erfahrung. Drüben gibt es zunächst eine achtklassige „Elementarschule”, die so gut wie alle Kinder erfaßt. Höchst „demokratisch”: Durchfallen ist so gut wie ausgeschaltet. Dann folgt (meist obligat) eine vierjährige Highschool, die äußerst „fortschrittlich” ist.

In der Highschool sind nur ein bis zwei Gegenstände vorgeschrieben, den Rest darf sich der Schüler aussuchen. Gegenstände, für die man weder Lust noch Talent hat, sind somit weitgehend ausgeschaltet. Auch hier ist in den öffentlichen Schulen nicht nur das „Durchfallen”, sondern auch *Lern-zwang und das Hinzielen auf eine Leistungsgesellschaft so gut wie nicht existent. Mit 17 oder 18 Jahren ist man reif für das College, das weitere vier Jahre beansprucht. Heute gehen praktisch 85 bis 90 Prozent der amerikanischen Jugend durch die Highschool.

Im College wird im allgemeinen die Highschool wiederholt, was wiederum fast zwei Drittel der jungen Amerikanerinnen) auf sich nehmen. Die staatlichen Colleges sind weitgehend gebührenfrei, und auch hier wird das Prinzip der „Lernfreiheit” hochgehalten: pro Semester werden in der Regel nur drei bis fünf Fächer studiert. In manchen dieser Colleges sind die Zeugnisse der Highschool maßgebend, gewisse staatliche Colleges aber sind verpflichtet, alle Bewerber mit dem Abgangszeugnis einer Highschool aufzunehmen.

Erst nach dem College, also mit 21-23 Jahren, kann das universitäre Fachstudium begonnen werden. Doktoranden sind im allgemeinen bedeutend älter als bei uns. Ob wir, ein viel ärmeres Land, uns eine so lange Studienzeit leisten können, ist allerdings höchst fraglich.

Nun gibt es aber in den Vereinigten Staaten drei Bildungsmöglichkeiten: die öffentliche (von schlecht bis gut), die kirchliche (von mittel bis gut) und die private (von mittel bis ausgezeichnet). Wer also ein Diplom vorweist, sei es nun ein Bakkalaureat, „Magistrat” oder Doktorat, wird sofort gefragt, von wo er es bekam. Ein Diplom der State University of New York kann er sich auf den Hut stecken, eines von Harvard öffnet ihm fast alle Türen: Harvard und die anderen sehr elitäten „Efeu-Universitäten” sind aber private Anstalten, und die Vorbereitung durch öffentliche Schulen ist für sie völlig unzulänglich. Dafür gibt es „preparatory sehools”. also so etwas wie Privatgymnasien, die ausgesprochen elitär, gut, streng und auch teuer sind.

Tatsache ist es, daß die amerikanischen Universitäten kolossale Niveauunterschiede aufweisen und daß diese Unterschiede sowohl intellektuell 'als auch sozial sind. Harvard kostet jährlich ungefähr 14.000 Dollar; allerdings geben diese „Efeu-Universitäten” immer auch Stipendien an ärmere, aber hochbegabte Studenten. Man vergesse nicht, daß die Vereinigten Staaten als zwar „titellqses” aber doch höchst aristokratisches Staatswesen gegründet wurden.

Was ist nun das Resultat dieses Systems? Wenn man das Bachelors De-gree (Bakkalaureat, Reifezeugnis) der Colleges - im Alter von 21 bis 22 Jahren - mit unserer Matura vergleicht,

,, Mit der Nivellierung der Schule kommt gerade das begabte und fleißige Kind der wenig Begüterten unter die Räder.” muß man sagen, daß (selbst heute!) der Maturant mit 18 Jahren unvergleichlich mehr weiß, beziehungsweise wissen sollte. Er hat doch zumindest eine mittlere Allgemeinbildung bekommen.

Wer. aber wirklich arbeiten und studieren will, hat an amerikanischen Elite-Universitäten geradezu phantastische Möglichkeiten, und das trifft keineswegs nur auf die Naturwissenschaften zu. Man denke nur an die hervorragenden Bibliotheken. Und ein Doktorat der Philosophie ist in Yale oder Princeton viel schwieriger zu erringen als bei uns.

Was aber strebt unsere Linke an? Eine Schule, in der bis zum 14. Lebensjahr alle „mitkommen”, alle mehr oder weniger dasselbe lernen, dasselbe wissen (und auch nicht wissen). Dann eine „Oberschule”, der gründlich die Zähne gezogen werden: keine frustrierten Schüler, kein Streß, also ein vier Jahre währendes Happening. Dann ein schmerzloser Aufstieg in eine demokratisch verwaltete Universität, deren Diplome weniger und weniger gelten werden.

Somit könnten auch bei uns amerikanische Zustände einreißen: Eine sozial über der Mittelklasse stehende Elite, also wirklich nur eine winzige Minderheit, würde ihren Kindern eine teure Sondererziehung ermöglichen, vielleicht im Inland, eher im Ausland. Und das hat bei uns schon ein wenig angefangen. Wie viele Industriekapitäne schicken heute ihre Söhne nach Cambridge, Massachussetts, an die Business School von Harvard oder Stanford, zum Wirtschaftsjahr nach Fontaine-bleau. Die Reichen und die Superreichen werden es sich also leisten können, ihren Sprößlingen eine wahrhaft elitäre Bildung zu geben. Aber: die ganz große Mehrheit der Österreicher (und somit das ganze Land) wird ins Hintertreffen geraten.

Ja, wie habe ich im Gymnasium unter Druck und „Repression” gelitten! (Weniger als mein Vater, viel mehr als meine Kinder!) Aber wie heilsam war dies trotz allem! Ein griechisches Sprichwort sagt so richtig: „Der nicht geschundene Mensch wird nicht erzogen”. Mit der Nivellierung der Schule -und Nivellierungen sind immer Anglei-chungen nach unten, nie nach oben! -kommt aber kurioserweise gerade eines der wichtigsten Elemente jedes Volkes unter die Räder: das begabte und fleißige Kind der wenig begüterten Stände, der Arbeiterklasse und des Mittelstandes. Deren Eltern werden sich elitäre Privatschulen oder Kurse im In- oder Ausland sicher nicht leisten können. Womit genau die amerikanische Situation hergestellt ist.

Wie man sieht, möchte die Linke bei uns sicher nicht die Verdummung des Volkes, sondern eine sich „demokratisch” gebende Mittelmäßigkeit. Jedermann weiß etwas, aber fast niemand weiß „allzuviel”. Es soll keine elitäre Führerschicht geben, denn dieser Be-grifPsetzt schon wieder einen Klassenstaat voraus.

Merkwürdigerweise aber steuern die Pläne der Linken auf eine Nation von Mediokritäten hin mit einer winzigen, international ausgerichteten Elite von arroganten Außenseitern, die wiederum, dank ihrer Unpopularität, im demokratischen Rahmen politisch machtlos ist und sich nur gesellschaftlich und wirtschaftlich auswirkt - siehe nochmals die Vereinigten Staaten, über die James Bryce schon 1898 in seinem ma-gistralen Werk „The American Commonwealth” schrieb, daß dort ein Mann von großem Format niemals Präsident werden könnte.

Sicher hat die alte Monarchie Fehler gehabt, aber das geistige, künstlerische und selbst das politische Leben hatten eine ni mehr erreichte Qualität, von der auch die Erste Republik zehrte. Dr. Karl Lueger war der Sohn eines Schulpedells, und k. k. Sozialminister Prälat Seipel der Sohn eines Fiakers. Die Entwicklung, die uns die egalitäre Linke bescheren möchte, würde nach bewährtem Rezept nicht wirklich eine Mehrheit oder gar das Allgemeinwohl begünstigen, sondern nur eine minimale, finanzkräftige Minderheit.

Wie fast immer, ist die Linke auch in diesem Fall nicht wirklich „progressiv”, sondern eben höchst „reaktionär”.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung