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Die Kunst der Spezialisierung

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Die Beziehung zwischen All- gemein-Bildung und speziel- ler Ausbildung ist in jedem Bil- dungssystem problematisch. Erfolg hier und Versagen dort, oder umge- kehrt, können als Merkmale der ver- schiedenen institutionellen und na- tionalen Traditionen bezeichnet werden.

Die Ansprüche, die an das ameri- kanische System gestellt werden, weichen freilich von dem österrei- chischen ab, da die Zielsetzungen und Anforderungen der jeweiligen Schul- und Bildungsstufen wesent- lich anders gelagert sind.

Während man in Österreich nach der Matura gezwungen ist, eine Studienrichtung im universitären Bereich gleich am Anfang auszu- wählen, haben Absolventen der amerikanischen High Schools, die sich die Fortbildung an einem der nahezu 3.000 Colleges oder Univer- sitäten leisten können (wobei es ein weit gefächertes System von Sti- pendien und Krediten gibt), noch zwei bis vier Jahre Zeit, um sich im Zuge des achtsemestrigen „under- graduate program" im akademi- schen und, was besonders wichtig ist, im sonstigen Leben orientieren zu können.

In dieser Zeit holt man (angeb- lich) die Allgemeinbildung nach, die (angeblich) in Europa früher vermittelt wird, und versucht sich gleichzeitig in eine spezifische Rich- tung weiter- oder auszubilden. Die Zulassungsbestimmungen für die nächste Stuf e der (Ausbildung sind sehr fachspezifisch und leistungs- bezogen. Der Weg gabelt sich hier zwischen den ein- bis zweijährigen „graduateprograms" mit Abschluß als „Master" in einer spezifischen Disziplin von „Business" bis So- zialarbeit - die Voraussetzung für das weiterführende Doktorat - und den „professional schools" für Jus und Medizin.

Die Bildungseinrichtungen su- chen die Studenten, die sie zulassen wollen, nach Notendurchschnitt und den Ergebnissen standardisier- ter Aufnahmeprüfungen aus. Je ruhmreicher die Institutionen sind, desto strenger sind die Aufnahme- bedingungen (und, nach dem Ab- schluß, dementsprechend größer die Verdienstmöglichkeiten). Daß man studiert hatte, ist an sich keine Leistung und kein Edelprädikat in den USA; wo, wie, und mit wel- chem Erfolg wohl. Da viele Euro- päer nur Harvard und Yale kennen, unterschätzen sie die Qualität von vielen ihnen weniger oder nicht bekannten Institutionen.

Sowohl amerikanische Bildungs- einrichtungen als auch die Studen- ten selbst zeichnen sich durch Prag- matik und Flexibilität aus. Ange- sichts der Kosten der postsekundä- ren Bildung in den USA gibt es eine unmittelbare Beziehung zwischen der Höhe des Studiengeldes - von 1.500 Dollar jährlich an großen, (oft überfüllten) staatlich subventio- nierten Universitäten bis über 25.000 bis 30.000 Dollar an priva- ten Institutionen - und der Kürze der Studienzeit sowie einen ver- ständlichen (wenn auch in vielerlei Hinsicht bedauerlichen) Zug Rich- tung Wirtschaftswissenschaften.

Weil man aber mit dem Bewußt- sein des „akademischen Konsumen- ten" studiert, verlangt man auch dementsprechend mehr von den Bildungsinstitutionen selbst. (Die in Österreich weitverbreitete Fehl- meinung beziehungsweise Amne- sie des Steuerzahlers, daß man „umsonst" studiert, trägt hier si- cher zur Gleichgültigkeit unter den Studierenden und Lehrenden bei.) Wenn man in den USA bereit ist, sich anschließend weiterzubilden, macht man immer eine doppelte Rechnung: Studienkosten plus Verdienstentgang in dieser Zeit sind durch die Weiterbildung als Stei- gerung der Verdienstmöglichkeiten mittelfristig zu ersetzen. Die Rech- nung geht für Wirtschaftswissen- schaftler auf, für Sozialarbeiter kaum.

Die Verzahnung von Lehre und Forschung sowie Wirtschaft und Wissenschaft gestaltet sich auch etwas unproblematischer in den Staaten als hierzulande, wo Bil- dungsauftrag und Wissenschaft- lichkeit des öfteren als Ausrede für die Entfernung der Universität zur Lebens- und Wirtschaftspraxis verwendet wird. Da die diversen Colleges und Universitäten sich in einer gesunden Wettbewerbssitua- tion befinden, sind sie gezwungen, auf die Qualität ih- rer Absolventen als „Bildungsproduk- te", die sich am Ar- beitsmarkt behaup- ten müssen, zu ach- ten.

„Herstellungsort" und „Marke" -sprich Universität und aka- demischer Grad - sollen bekannte Grö- ßen sein, und je spe- zialisierter die Aus- bildung, desto höher und genauer sind die gegenseitigen Er- wartungen. So para- dox es klingen mag, die Qualität des ame- rikanischen Bil- dungssystems, das ohne Zweifel schwä- cher im Primär- und Sekundär-Bereich ist, nimmt tertiär zu, je länger man stu- diert und sich spe- zialisiert, wobei es in vielerlei Hinsichten in Österreich ab- nimmt. Nicht Allge- mein-Bildung, son- dern Spezialisierung ist die amerikanische Stärke.

Es gibt wohl ar- beitslose Akademi- ker in den USA, aber nicht den Begriff „Akademikerar- beitslosigkeit" - als ob die Herren und Frauen Akademiker angesichts ihres Bil- dungsfundus nicht qualifiziert wären, etwas anderes zu machen. Im Gegen- teil, viele US-Arbeit- geber sind mehr als bereit, einen Geistes- wissenschaftler zum Beispiel betriebsin- tern zu schulen, und manche arbeitslose Akademiker lassen sich in besonders für sie entworfenen Pro- grammen als Masters of Business Admini- stration „recyclen". Sie sind unter den Managern gern gese- hen: nicht nur, weil sie sehr oft geschlif- fene sprachliche und analytische Fähig- keiten besitzen, son- dern auch, weil sie bereit sind, Proble- me unorthodox an- zugehen, und weniger betriebsblind sind als gelernte Betriebswissen- schaftler.

Sowohl die Spielregeln als auch die Kosten der Spezialisierung in den USA unterscheiden sich erheb- lich von denen des österreichischen Bildungsweges.

Jeder österreichische Student oder Jungakademiker kann es sich wohl leisten, wenigstens die Mög- lichkeiten einer weiteren Bildung beziehungsweise Spezialisierung in den USA zu untersuchen; denn es stehen viele, nicht gebührend be- anspruchte Möglichkeiten zur Ver- fügung. Non scholae sed vitae stu- demus.

Der Autor ist Assistant Director am Institut für Europäische Studien in Wien.

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