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Angst vor der Prüfungszeit

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Als die Studenten im September an Amerikas Hochschulen zurückkehrten, fanden sie vielerorts Veränderungen vor, für die sie in den letzten Jahren gekämpft hatten. Die ersten Monate des akademischen Jahres 1969/70 waren dann ruhig im Vergleich zu den Geschehnissen im Vorjahr, als die Studentenunruhen oft sogar vor den Graduierungszere-monien nicht haltmachten. Wie eine Meinungsumfrage des Gallüp-Tnstitüts im“ letzten Frühling ergeben hatte; war die Haupt-beschwerde der Studenten die gewesen, daß sie nicht genug mitreden durften. Inzwischen waren viele Hochschulen bestrebt, das Mitbestimmungsrecht der Studenten zu vergrößern. So erließ der Bundesstaat Massachusetts ein Gesetz, das die Zuziehung jeweils eines Studenten zu den fünf Spitzengremien aller bundesstaatlich subventionierten Hochschulen ermöglicht. In nicht wenigen Schulen — darunter Prince-tom, der Universität New York und Stanford — gehören Studenten nunmehr den Verwaltungsräten an und sitzen in Ausschüssen, die mit der Erstellung von Lehrplänen und Bestellung von Lehrern befaßt sind. An vielen Hochschulen gibt man auf Verlangen der Studentenschaft bei Prüfungen keine Noten mehr, sondern entscheidet nur zwischen „bestanden“ und „nicht bestanden“. Auch hinsichtlich der Pflichtvorlesungen für die Erlangung eines akademischen Grades wurden Erleichterungen zugestanden.

„Black studies“ Im vergangenen Frühling waren unter anderem Forderungen nach Aufnahme von mehr Negerstudenten an vorwiegend „weißen“ Hochschulen sowie nach Einführung sogenannter „black studies“ — Vorlesungen über Geschichte und das Leben des Negers — erhoben worden. Statistiken über die Studierenden liegen in ihrer Gesamtheit heuer noch nicht

vor, doch melden viele Hochschulen eine Zunahme der schwarzen Studenten in den ersten Semestern. Nachdem man im Sommer in Dart-mouth um Negerstudenten geworben hatte, gibt es jetzt dort ihrer 90 unter den 855 Studenten im ersten Semester, also prozentuell ebensoviel, wie es unter der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten Neger gibt. In Harvard findet man unter den Studenten im ersten Semester 95 Neger, in Yale 96. An manchen Hochschulen wurden -Lehrstühle für ..^folack studies“ errichtet

Vor einem Jahr, während des Präsi-dentschaftswahlkampfes, betätigten sich viele Studenten als Wahlhelfer. Im Herbst 1969 haben manche von ihnen ihr neu entwickeltes Talent dazu benützt, um auf Hochschulboden und anderswo öffentliche Versammlungen zu veranstalten, bei denen ein schnellerer Abzug der amerikanischen Truppen aus Vietnam gefordert wurde. Die erste größere Aktion dieser Gruppe, die Demonstrationen am 15. Oktober, nahm einen bemerkenswert friedlichen Verlauf.

Der Vietnamkrieg und die Wehrpflicht beunruhigen Jungamerika tief. Präsident Nixon, der mit seiner Politik den Krieg zu beenden hofft, hat das Einberufungssystem bereits reformiert und die Abschaffung der Wehrpflicht nach Kriegsende in Aussicht gestellt.

In vielen Fällen fühlten sich gemäßigte Studenten durch Gewalt abgestoßen. Die radikalen Studentenbewegungen sind nunmehr gespalten, und das wilde Gehaben der Randgruppen hat sie in zunehmendem Maße von der Mehrheit isoliert. Es ist aber noch nicht einmal die Hälfte des akademischen Jahres vorbei. Nur ein voreiliger Prophet würde es wagen, die Stimmung vorherzusagen, die an Amerikas Hochschulen im kommenden Mai zur Zeit der Abschlußsprüfungen herrschen wird.

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