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Unruhige spanische Studenten
Es ist fast eine akademische Tradition in einigen spanischen Universitäten geworden, daß die Studenten sich kurz vor den Examina stärker politisch betätigen als sonst. Demonstrationen für Parteienfreiheit und Gewerkschaftsfreiheit von 'Seiten der>- verschiedensten- Fakultä-. ten und politischen- Richtungen stehen beinahe an der Tagesordnung. Ernst wurden diese Demonstrationen von der Regierung kaum genommen. Ihr einziger Erfolg war stets ein negativer: Festnahmen und Sanktionen.
Dieses Jahr scheint es jedoch anders werden zu. wollen. Die Hartnäckigkeit, mit der die Studenten ihre Protestaktionen gegen die SEU, die spanische Studentengewerkschaft, der zwangsmäßig alle Studierenden angehören müssen, durchführen und das relative Gewährenlassen offizieller Stellen lassen vermuten, daß die Forderungen der Studenten nach einer freier gewählten Vertretung bei der Regierung Gehör finden.
Die Forderungen, die die spanische Studentenschaft heute vorbringt, gehen auf eine Verordnung aus dem Jahre 1961 zurück, durch die die SEU reorganisiert wurde. Diese Verordnung war so strikt, daß die eigenen Gewerkschaftsführer sich gezwungen sahen, anläßlich* eines Nationalkongresses Lockerungen, will heißen eine schüchterne Demokratisierung, zu versprechen. Doch dabei blieb es. Die frei gewählten Gewerkschaftsvertreter einer Reihe von Fakultäten in Barcelona, Bilbao, Madrid und Valencia jedoch versuchten, Druck auf die eigene Gewerkschaft auszuüben. Demonstrationen, die das Einschreiten der Polizei erforderlich machten, wurden abgehalten, Pamphlete, die Gewerkschaftsfreiheit und andere unabdingbare demokratische Rechte forderten, verteilt. Schließlich trennten sich in Barcelona fast alle — mit Ausnahme der Pharmakologie —, und in den Städten Bilbao, Madrid und Valencia einige Fakultäten von der SEU.
Im Dezember des Vorjahrs verstärkte sich die Widerspenstigkeit der Studentenschaft, als es zu Zwischenfällen anläßlich der als Wahl bezeichneten Ernennung des SEU-Chefs für die Universität Madrid kam. Ein Gewerkschaftsausschuß der starke rechtskath'oBsche Strömungen aufweisenden Philosophischen Fakultät der Universität Madrid schrieb an den Falangeminister und obersten Gewerkschaftschef Jose Solis, daß er die aufgezwungenen Hierarchien nicht akzeptiere. Als schließlich disziplinarische Maßnahmen gegen einen zu vorwitzigen SEU-Führer, der für die gewerkschaftliche Freiheit eintrat, ergriffen wurden, kam es gegen Ende Jänner zu einer Serie von Demonstrationen in der Universität Madrid, in deren Verlauf die Demission des Dekans gefordert wurde.
Den Höhepunkt der derzeitigen akademischen Demonstrationswelle bildete ein Marsch auf das im Zentrum Madrids gelegene Erziehungsministerium. Ungefähr tausend Studenten verschiedener Fakultäten und politischer Richtungen forderten Gewerkschaftsfreiheit und die Abschaffung ihres Zwangssyndikats. Die Hauptverkehrsadern Madrids waren über eine Stunde lang blok-kiert, die Polizei schritt ein — doch mit bemerkenswerter Sanftheit — und nahm Verhaftungen vor.
Diese Demonstrationen und Unmutsäußerungen bedeuten jedoch noch lange nicht, daß das politischsoziale Bewußtsein der akademischen Jugend Spaniens endgültig geweckt oder gar gegen die herrschende Staatsordnung aufgestanden ist. Dazu fehlt, wie ein Pamphlet der Katholischen Studentenjugend behauptet, der kritische Geist und ausreichende Informationsmöglichkeiten. Vor allem aber, so heißt es weiter, hätten die Studenten Angst vor Repressalien. Nicht ganz grundlos übrigens, denn im vergangenen Jahr wurden über 90 Studenten wegen regimeunfreundlichen Verhaltens von der Universität Madrid verwiesen, und derzeit werden die Madrider Studenten auf dem Universitätsgelände polizeilich streng kontrolliert.
Die politischen Vorgänge an den spanischen Universitäten haben jedoch in den letzten Jahren bewiesen, daß ein unleugbarer Wandel in der Denkart der Studenten stattfindet. Die jüngsten Ereignisse an Spaniens Universitäten haben es erneut bewiesen.
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