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Falange in Pension

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„Was geschieht in der Falange?” fragen sich Spaniens Zeitungen erstaunt und etwas beunruhigt über die Vorkommnisse in und um die Einheitspartei, die dem Franco- Regime einst ideologischen Inhalt gegeben hat, heute aber von diesem auf das Abstellgleis geschoben wurde und — in ihren extremen Zweigen — in radikaler Diskrepanz zu ihm steht. Eine Antwort auf diese Frage wird durch in der letzten Zeit sich mit einer unerhörten Heftigkeit wiederholende Zwischenfälle gegeben, die die politische Nervosität, von der nicht nur die Staatsbewegung, in die die Falange eingegliedert ist, sondern auch durch die direkten Auswirkungen und das Echo in Spanien, das Establishment selbst betroffen ist, illustriert.

Der erste dieser Zwischenfälle ereignete sich am 35. Gründungstag der Falange, der feierlich im Madrider Teatro de la Comedia begangen wurde. Der Generalsekretär des „Movimiento”, der Staatsbewegung, Minister Jose Solis Ruiz, wurde bei seinem Erscheinen im Ehrenbalkon von Jungfalangisten mit Schimpfworten bedacht, die von dem bereits traditionell gewordenen „Verräter” bis zu den landesüblichen Anspielungen auf seine Herkunft gingen. Nach Abschluß der Feier machten die Jungfalangisten ihrer Meinung in den Straßen Madrids Luft, schwenkten eine Falange-Fahne, sangen mit römischem Gruß ihre Hymne und scherten sich nicht um die Polizei, die diese unerlaubte Manifestation sanft aufzulösen suchte.

In der Madrider Universität wurde das Dekanat der Jurafakultät von Studenten verwüstet und ein Franco- Bild auf dem Universitätsgelände verbrannt. Dem Vernehmen nach sollen die Hauptbeteiligten an dieser bisher in dieser Form in Spanien ersten Schmähung des Staetschefs Mitglieder der faiangistischen Studentenorganisation FES sein.

In Barcelona schließlich kam es soeben- anläßlich der in ganz Spanien abgehaltenen Totenfeiern für Fa- lange-Gründer Josė Antonio Primo de Rivera zu einem derartig schweren Skandal, daß di® einheimische Presse, einerseits aus Respekt vor der Kategorie des Hauptbetroffenen, anderseits wegen der möglichen Folgen, auf dessen genaue Veröffentlichung verzichtete.

Informa tionsminister Fraga Iri- barne, der den Akt präsidierte, wurde von ihn umgebenden Jungfalangisten mit den Rufen „Falange si, Movimiento no, Fraga traiidor” (d. h. Verräter) und nicht reproduzierbaren Ausdrücken begrüßt und tätlich angegriffen. Die angesichts der fallangistischen Blauhemden zögernde Polizei griff schließlich ein, mit dem Erfolg, daß sich sogar die Altfalangisten gegen sie wandten. In dem darauffolgenden Tumult kam es zu Verhaftungen einer unbestimmten Anzahl von Falangisten, die bisher als tabu galten. Wie in Madrid randalierten die Jungfalangisten anschließend mit dem ungewohnten und recht aufschlußreichen Bekenntnis ,Die Falange in der Opposition” durch einige Straßen.

Opposition im Regime

Die Falange, d. h. der an den radikalen Grundforderungen ihres Begründers festhängende Teil, hat sich also gegen das Regime gewandt, betrachtet sich als verraten und übergangen, als unbequemes Erinnerungsstück an eine Zeit, die Spanien längst überwunden haben will. Schon seit geraumer Zeit sind daher innerhalb der Falange Absplitterungen zu bemerken, deren Hauptzweck im Nachholen der falangistischen Revolution, also einer weitgehenden Sozialisierung und Nationalisierung und einer Bekämpfung der Bürokratisierung, besteht. Zu diesen Splittergruppen zählen Leute der Guardia de Franco, dann der Zirkel Jose Antonio, die Studentenorganisation FES und, als neuester Falange- Zweig, die „Syndikalistische Revolutionsfront”, von Jose Antonios Nachfolger und ehemaligem Falange-Chef Manuel Hedilla nach dem Madrider Radau ins Leben gerufen. Nicht nur der Name der neuen Partei, die Anspruch auf Legalität in einem Staat erhebt, in dem Parteien verboten sind, sondern auch die Person seines Begründens lassen unschwer erraten, daß eine Wiederkehr zum Stil der Urfalange, zur Kampfzeit vor und während des Bürgerkrieges, bevorsteht Denn Hedilla lockte dermaßen gegen den Stachel des Regimes, daß er einen Großteil seines Lebens in Gefängnis, Verbannung und Exil verbrachte.

In einigen Straßen Madrids macht sich bereits die Kampfansage seiner „Revolutionsfront” bemerkbar: „La Falange en la eoposioion” kann man mit Teer gepinselt auf Wänden lesen. Zumindest hierin begibt sie sich auf die gleiche Stufe wie die illegale Opposition, wenn sie auch auf anderer Ebene ungleich heftiger und schlagkräftiger in Erscheinung treten kann, da sie ja noch immer „das Aushängeschild” des Regimes ist, wie Serrano Suner, Francos ehemaliger Außen- und Innenminister, sich ausdrückte. Gerade dieser Gefahr wegen ist in Madrid der Gedanke aufgetaucht, die Falange in den Ruhestand zu versetzen, sie also offiziell aufzulösen und ihr die Rückkehr zu ihrem ursprünglichen Geist, ungebunden an ein sich politisch neutralisierendes Regime, zu gestatten.

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