6707013-1964_04_06.jpg
Digital In Arbeit

Problem ohne Losung

Werbung
Werbung
Werbung

Das Zentralproblem der spanischen Politik ist die Nachfolge Francos. In ständiger Wiederkehr stellt man sich im In- und Ausland die Frage: Wer oder was kommt nach Franco? Aber keinerlei bündige Antwort ist darauf möglich.Denn die derzeit gültige Verfassung läßt sowohl die Restauration der Monarchie als auch eine neue Verweserschaft — zu deutsch: eine weitere Generalsdiktatur — zu. Der Generalissimus jedoch, von dem allein die Entscheidung abhängt, äußert sich nur auf sibyllinische, somit völlig unverbindliche Weise zu dieser Existenzfrage Spaniens, zuletzt in seiner Neujahrsansprache und in einem kurz zuvor der Pariser Zeitung „Figaro“ gegebenen Interview.

Die Unsicherheit in dieser Angelegenheit hält also an und steigert sich zusehends, nicht zuletzt außerhalb Spaniens. Denn immer dringender wird das Auslandskapital zur Investition in Spanien, insbesondere im Rahmen des eben von den Cortes (Parlament) gebilligten „Entwicklungsplans“ eingeladen — jedoch nicht ganz mit dem gewünschten Erfolg. Die Ungeborgenheit in der politischen Zukunft erweist sich als anlagehemmend. Wohl erklärt der Kommissar des Plans, Lopez Rodo, in der Pariser Zeitung „Le Monde“: „Die politische Unsicherheit ist geringer als man glaubt. Das Abtreten eines Staatsmannes kann immer einen Faktor der Unsicherheit schaffen. Die Entwicklungspolitik; die auf die Erhöhung des Lebensstandards abzielt, steigert aber das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl und vermindert damit indirekt die Unbestimmtheit.“ Doch damit sagt er nur: „ Legt euer Geld in Spanien an. Der Rest wird sich finden.“ Indes dürfte das mainchen nicht als Garantie genügen.

Ungleich näher als dem Fremden geht das Problem natürlich dem Spanier. Denn bei ihm handelt es sich nicht nur um Geld, sondern um den Bestand des Staates und um die eigene Existenz schlechthin. Wie immer man zu Francos Regime stehen mag: Die Stabilität während seiner 25 jährigen Regierungszeit, den damit verbundenen wirtschaftlichen wie sozialen Aufschwung kann man nicht bestreiten, so umstritten die Mittel sein mögen, die schließlich zu Francos heutiger „Diktatur mit demokratischem Komfort“ führten. Das alles aber ist in Frage gestellt; das Schreckgespenst des Bürgerkrieges, zumindest der hierzulande einst so häufigen Militärputsche und Straßenkrawalle, taucht wieder auf, sobald man an das Problem rührt: Was wird, wenn der Caudillo nicht mehr ist?

Aber ist das Problem überhaupt zu lösen, kann man von einem Diktator oder sagen wir im Hinblick auf die verfassungsmäßigen Grenzen, die Franco seiner Macht selbst setzte, lieber treffender: kann man von einem autoritär regierenden General verlangen, daß er klar einen Nachfolger bestimmt? Würde er damit nicht seine Autorität soweit unterminieren, daß die Hauptatouts des Regimes, Ruhe und Ordnung, entwertet werden, da doch ein designierter „Kronprinz“ leicht die Geduld verlieren und darnach streben könnte, schneller als vorgesehen an die erste Stelle zu kommen? Es scheint, daß der Generalissimus weiterhin bloß mit undeutlichen Prophezeiungen aufwarten können wird, da er sonst gegen die „Technik der Macht“ verstieße. So läßt sich unmöglich sagen, wer Francos Erbe antreten wird, höchstens kann abgeschätzt werden, wer derzeit im Rennen liegt und mit welchen Chancen. Da drängt sich zuerst der Name des Grafen von Barcelona, Don Juan von Bpurbon, Oberhaupt, des spanischen Königshauses und damit offizieller Thronprätendent, auf.

Don Juan war aus seinem portugiesischen Exil kürzlich nach Madrid gekommen, um an der Taufe seiner Enkelin Helena, Tochter eines in Madrid lebenden Sohns, des Prinzen Juan Carlos, und von dessen Gattin, der Prinzessin Sophie von Griechenland, teilzunehmen. Es war der erste offizielle Besuch des Thronfolgers seit dem Sturz der Monarchie, und es mußte auffallen, wie sorgfältig das amtliche Spanien es verhinderte, daß Don Juan sich einem größeren Publikum zeigen konnte. Befürchtete man unerwünschte Huldigungsakte, obwohl einem doch von angeblich kompetenter Stelle stets versichert wird, daß die Monarchie in Spanien reichlich unvolkstümlich sei? Das Regime vermied es, die Probe aufs Exempel machen zu lassen.

Aber noch ein anderer Aspekt wurde denen, die Don Juans Begegnung beim Taufakt mit dem Caudillo beiwohnen konnten, klar: daß nämlich der Prätendent und Staatschef Franco rein menschlich nicht zueinander passen. Der lebenslustige, lachfrohe, einem guten Glas niemals abgeneigte, hühnenhafte Don Juan, den man selten ohne Zigarette sieht, und der kleingewachsene, trotz seiner Leibesfülle asketische, immer ernste Franco bilden die schärfsten Kontraste. Der Prätendent ist Demokrat mehr aus Temperaments- als aus Überzeugungsgründen, er läßt die Leute nach ihrer Fasson selig werden, der Generalissimus will lenken und leiten, und der Münchner Kardinal Döpfner bescheinigte ihm erst kürzlich, daß er „aus einem tiefen Geschichtsbewußtsein heraus“ handle. Wird Franco sein Lebenswerk seinem offensichtlichen psychologischen Gegenpol hinterlassen?

Aber was sonst bliebe ihm übrig? Don Juans Sohn, Juan Carlos, wenngleich nach Francos Ratschlägen in Spanien erzogen, stellt sich gemäß eigenen Aussagen nicht gegen den Vater; die Monarchisten, soweit überschaubar, sind Anhänger Don Juans, und weitere ernstliche Thronkandidaten gibt es nicht, obwohl man spaßeshalber zumindest ein Dutzend rein theoretischer Anwärter aufführen könnte. Also ein Franco II. — doch wirklicher Staatschef wird man nicht durch Ernennung. In diesen Wochen geht das Gerücht, daß Franco seinem Stellvertreter im Kabinett, Marschall Muhoz Grandes, weitere Vollmachten einräumen wolle. Und wenn — was wäre damit erreicht? Viele Generale hier sind davon überzeugt, daß sie vorzügliche Caudillos abgäben, nur ihre Rangkameraden sind anderer Ansicht. Diese Meinungsverschiedenheit aber macht es Franco schwer, wenn nicht unmöglich, einen militärischen Caudillo II. zu designieren. Was dann?

Die parlamentarische Demokratie bleibt ausgeschaltet; Franco hält sie für des Kommunismus Wegbereiter, und ihr wird er nie eine Chance geben. Zudem nennen sich „Demokraten“ Anhänger wie Gegner des Caudillo, die Stützen eines demokratischen Regimes, Christiich-Demokraten und Sozialdemokraten, können sich kaum oder überhaupt nicht organisieren, ihre Chancen sind schlecht, zumindest ungewiß. Das Nachfolgeproblem ist also heute so ungelöst wie vor 25 Jahren, zur Zeit von Francos Machtübernahme. Auch der vermeintlich starke Staat hat seine Schwächen. Sie liegen im Fundament.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung