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Krach in Katalonien

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Als „Politisierungsprozeß“ der spanischen Universitäten bezeichnete ein Kommentator des Staatsrundfunks die turbulenten Vorgänge an einigen akademischen Zentren des Landes. Ein Vorgang, der noch vor weniger als einem Jahr als nicht an die Universität gehörig verdammt wurde, wird heute als eine natürliche und kaum aufzuhaltende Entwicklung empfunden, die man verständlicherweise in Bahnen leiten will, die mit den derzeitigen spanischen Staatsprinzipien nicht im Widerstreit stehen. Die Vorgänge in Barcelona, die sich neuerdings auch auf andere spanische Universitäten ausbreiten und in Katalonien außerhalb der Universität stehende Kreise berühren und zum Teil erfassen, lassen jedoch auf ein verbreitetes Unbehagen schließen, das in ein derart nervöses Stadium eingetreten ist, daß es nur eines kleinen Anstoßes bedarf, um eine Lawine von Protesten, ‘Demonstrationen und Verhaftungen auszülösen.

Weil ein Professor ausgestoßen wurde...

Diesen Anstoß bildete in Barcelona die Bestrafung einiger an dem „Klosterskandal“ im Februar dieses Jahres beteiligter Professoren und die Ausstoßung des jungen Philosophieprofessors der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultät, Sacristan, von der Universität. Der Rektor der Universität, der diese harte Strafe mit der Behauptung untermauerte, daß Dr. Sacristän kommunistische Lehren verbreitet habe, fand damit wenig Beifall bei der Professorenschaft. Die Studenten konnten also von vornherein bei ihren Protestaktionen zumindest mit der Sympathie bestimmter Lehrkräfte rechnen. In einer Versammlung beschloß das „demokratische“ (illegale) Studentensyndikat der Universität Barcelona — das offizielle Syndikat ist dort machtlos, beziehungsweise nicht existent — zuerst einen vierundzwanzigstündigen Proteststreik, der sich zu einem unbefristeten Generalausstand ausweitete. Gesuche und Protestschreiben an den Rektor wurden verfaßt, weitere unerlaubte Versammlungen innerhalb der Fakultäten veranstaltet. Schließlich rief der Rektor die Polizei zu Hilfe, die kurzerhand die Versammlungen auflöste. Daraufhin gingen die Studenten auf die Straße und demonstrierten. Es kam zu zahlreichen vorübergehenden Festnahmen und Verhaftungen. Gegen 42 Studenten wurden akademische Verfahren eröffnet, die bereits in 20 Fällen zur Verweisung von der Universität Barcelona geführt haben.

Echo nach allen Seiten

Inzwischen sah sich der Bischof von San Sebastian gezwungen, das Priesterseminar zu schließen, weil die Seminaristen gegen die Ausstoßung von fünf Kollegen protestiert hatten. In der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Bilbaos kam es zu schweren Zusammenstößen zwischen Studenten und Polizisten, in deren Verlauf siebzig Studierende festgenommen und Spanier wie Ausländer von der Polizei verprügelt wurden. Die amerikanische

Botschaft sah sich aus diesem Grund gezwungen, beim Madrider Außenministerium Beschwerde einzulegen. In Barcelona versteifte sich die ablehnende Haltung der Professorenschaft gegenüber dem Rektor derart, daß 68 Professoren in einem Schreiben an den spanischen Erziehungsminister die Absetzung des Rektors, Amnestie für die bestraften Studenten und die Zulassung eines horizontalen, demokratischen Studentenverbandes als einziges wirksames Mittel zur Beendigung der Studentenunruhen forderten.

Mittlerweile stieg das Fieber in Barcelona. Eine Arbeitergruppe forderte im Gewerkschaftshaus eine authentische Vertretung ihrer Interessen, Lohnerhöhungen usw. Die sogenannten „Arbeiterkommissionen“, die offiziell gesehen keine Repräsentativität besitzen, bekundeten ihre Solidarität mit den' Studenten. An der Universität wäre es jedoch fast zu einem Waffenstillstand zwischen Rektor und Studenten gekommen, wenn nicht durch die Drohung mit Semesterverlust für alle Aufständischen neuer Konfliktstoff geschaffen worden wäre. Die Studenten veranstalteten wieder eine unerlaubte Versammlung: die Polizei drang neuerlich in die Universität ein. Dabei soll — nach kirchlichen Quellen — ein Jesuit, Professor an der dortigen philosophischen Fakultät und Präsident der Marianischen Kongregation sowie spanischer Vertreter der Paulus-Gesellschaft, von den Polizisten geschlagen worden sein.

Nun griff der Rektor zu einer Maßnahme, die angeblich zum erstenmal seit 40 Jahren, nämlich seit der Diktatur Primo de Riveras, in Spanien angewendet wurde: er ließ die Universität Barcelona auf unbestimmte Zeit sperren. Ob dies als Beruhigungsmittel wirkt, bleibt vorerst dahingestellt. Die erste Reaktion war jedenfalls angebracht, das Gegenteil zu erwarten. Tausende von Arbeitern, Studenten und zahlreiche Geistliche demonstrierten daraufhin in den Straßen Barcelonas mit den Rufen „Gewerkschaftsfreiheit! Streikrecht!“. An der Universität Madrid, die sich bis dahin ruhig verhalten hatte, kam es zu einer Sympathiemanifestation, bei der es Scherben und Rufe wie „Barcelona, ja! Regierung, nein! Nieder mit dem Rektor!“ und das wohl seit Bürgerkriegsende nicht mehr gehörte: „Viva la Repüblica!“ gab.

Katalanische Bischöfe gewünscht

Die Tatsache, daß in Barcelona Geistliche unter den Manifestanten auftauchten, mag durch das rege Interesse der katalanischen Priester an den politischen Strömungen dieses Landesteils und vor allem an der Wahrnehmung der spezifisch katalanischen Belange begründet sein. So sandten vor kurzem 109 Geistliche der Erzdiözese Tarragona ein Schreiben an den Nuntius in Madrid, in dem um die Wahl eines katalanischen Auxiliartrischofs für Tarragona gebeten wurde, da sie bei der Ernennung eines Nichtkatalanen eine ähnliche Reaktion wie die Protestwelle befürchten, die durch die Erhebung eines Kastiliers zum Erzbischof-Koadjutor von Barcelona ausgelöst worden war.

Der Krach in Katalonien, von Studenten, Arbeitern und Priestern veranstaltet, dürfte also noch eine Weile anhalten. Denn die Studenten, durch die Schließung der Universität von den Vorbereitungen für die Maiexamen befreit, haben nun ausreichend Muße zum Politisieren und Manifestieren. Die Forderungen der Arbeiter können nicht in der nächsten Zukunft erfüllt werden, und die Priester endlich schließen sich den Studenten und den Arbeitern an. Die Madrider Regierung allerdings scheint durch all dies kaum beeindruckt: Informationsminister

Fraga bezeichnete soeben, nach Abschluß des letzten Ministerrats, die Vorkommnisse an der Barceloneser Universität als eine „leichte Anomalie“. : ijiw ’.9 - Joasiį?

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