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Die zerprügelte Prozession

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Der Kirchenbann, den der paraguayische Erzbischof Anibal Mena Porta gegen die Personen verhängt hat, die die Teilnehmer an einer Prozession, unter ihnen bejahrte Priester, in grausamster Weise verprügelten, lenkt die Aufmerksamkeit auf einen der heftigsten Konflikte zwischen Staat und Kirche in Lateinamerika.

Bis vor zwei Jahren sah man in dem paraguayischen Klerus einen gehorsamen Diener der Diktatur. Noch Weihnachten 1968 lobte der Erzbischof seinen persönlichen Freund General Strössner. Aber die elf wichtigsten katholischen Vereinigungen, besonders die Jugend verbände, richteten eine Eingabe an den Episkopat, in der sie unter Berufung auf die Erklärungen der Bischofskonferenz von Mardellin — bei dem Besuch des Papstes in Kolumbien —, „einen neuen Geist der Gerechtigkeit zur Entstehung zu bringen“, ein Vorgehen der Kirche zugunsten der politischen Gefangenen forderten.

Um die Menschenwürde

Unter dem Druck der katholischen Verbände beschloß die paraguayische Bischofskonferenz, zugunsten der politischen Gefangenen zu intervenieren. In ihrem Namen richtete der Erzbischof am 27. Jänner 1969 ein Schreiben an den Präsidenten, General Alfredo Strössner, in dem er unter Bezugnahme auf die priesterliche Aufgabe der Nächstenliebe verlangte, „nach den christlichen Forderungen auf Gerechtigkeit und Respekt vor der menschlichen Person“ die Situation derer zu prüfen,

die „auf Befehl Eurer Exzellenz unter Berufung auf den ständigen Belagerungszustand ohne jeden Prozeß in verschiedenen Polizeilokalen gefangengehalten werden, und zwar aus ideologischen Gründen oder wegen angeblicher antidemokratischer Aufstandsdelikte“.

Es kam nunmehr zu einer „Aussprache“ zwischen Bischöfen und Strössner, die aber völlig ergebnislos blieb. Ende August 1969 protestierten die paraguayischen Bischöfe in einer Note an das „Parlament“ gegen den Entwurf eines „Gesetzes zur Verteidigung der Demokratie“, das nach ihrer Darstellung „eine Form von totalitärem Absolutismus verankert, der wiederholt von den Päpsten im Namen der sozialen Moral verurteilt wurde“.

Als vor wenigen Wochen wieder einige Studenten willkürlich verhaftet wurden, traten vier ihrer Studiengenossen in der Medizinischen Fakultät der Staatsuniversität in den Hungerstreik. Nachdem im letzten Jahre mit Ausnahme der erzbischöflichen Wochenschrift „Communidad" alle sogenannten Oppositionszeitun- gen verboten worden waren, war dies das einzige Presseorgan, das über den Hungerstreik überhaupt berichtete. In ihm stand den Studenten vor allem der 41jährige, aus Spanien stammende, aber vor kurzem eingebürgerte, Jesuitenpater Francisco de Paula Oliva zur Seite — Professor für Philosophie an der Katholischen Universität —, der einen außerordentlich starken Ein

fluß vor allem auf die katholische Jugend ausübte. Am 22. Oktober wurde er zur Polizei beordert und auf der Stelle nach Argentinien deportiert. Seine Sachen durfte er nicht mitnehmen. Der Erzbischof und die anderen Priester wurden nicht verständigt, sondern bei ihren Anfragen nach dem Verbleiben des Paters irregeführt.

Daraufhin unternahmen Professoren und Studenten der Philosophischen Fakultät der Katholischen Universität an demselben Abend eine „Via Crucis“-Prozession rund um den Häuserblock, in dem sich die Kirche, das Gymnasium und die Universität „Cristo Rey“ befinden. Dabei wurde absichtlich die Form der rein religiösen Prozession gewahrt. Ein Priester in weißer Soutane trug das Kreuz und schritt ihr voran. Die Polizei griff mit unglaublicher Brutalität ein und verprügelte unterschiedslos alle, auch drei Jesuiten- und Franziskanerpater, unter ihnen einen Dreiundsiebzigjährigen. Die Polizei drang auch in die Gebäude ein. Nunmehr sprach der Erzbischof den Kirchenbann gegen Täter und Verantwortliche aus. Auf der anderen Seite verbot die Regierung die erzbischöfliche Wochenschrift „Comunidad“. deren Herausgeber, Pater Gilberto Giminez, nach Buenos Aires flüchtete, wo sich jetzt auch der deportierte Jesuitenpater Francisco de Paula Oliva aufhält. Die Regierung sagt, es handle sich um ein „Mißverständnis“. Man habe einen politischen Propagandazug und nicht eine Prozession zerstreuen wollen

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