6757414-1968_01_06.jpg
Digital In Arbeit

Provozieren ist Trumpf

Werbung
Werbung
Werbung

Überhaupt scheint es die Provokation zu sein, die bei den jetzigen Madrider Studentenunruhen — den heftigsten, die stich auf dem Madrider Universitätsgelände seit zwei Jahren abspielen — tonangebend ist. Während nämlich an verschiedenen Fakultäten die Abhaltung freier Wahlen für das demokratische Studentensyndikat sowie die von tausenden Studenten besuchten „freien“ Versammlungen toleriert wurden, ließ der Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät die Büroräume dieser freien Studentenvertretung zumauem und entfesselte damit — unwillentlich wohl — die Welle von Manifestationen, Steinschlachten mit Verletzten auf seiten der Studenten und Polizisten, Prügeleien und Massenverhaftungen — zeitweise befanden sich 170 Studenten in den Kellern der Madrider Generaldirektion für S i ctherhe i tiswese n —, die das Bild der Madrider Universität beherrschen.

Auferstehen der Bürgerkriegsfronten

Die Studenten ihrerseits sehen die Anwesenheit der bewaffneten Polizei, der „Policia armada“, auf dem Universitätsgelände als eine Provokation an, die sie mit entsprechender Münze heimzuzahlen bemüht sind: Die Polizeijeeps werden bei ihrem

Auftauchen von Steinhagel empfangen, den stahlbehelmten Polizisten sausen Wurfgeschoße entgegen, so daß sie es neuerdings vorziehen, aus ihren mit Schutzgittern versehenen Fahrzeugen die Szenerie zu überwachen. In den letzten Tagen schritt die Polizei nur ein, wenn der Straßenverkehr auf dem Universitätsgelände durch die Studenten gesperrt wurde oder diese sich mit republikanischen Schmähliedem gegen Staatsohef Franco wandten und, wie behauptet wird, sogar die bei der Nachkriegsgeneration fast unbekannte republikanische Hymne sangen.

Diese relative Zurückhaltung der Polizei, die völlig ungewohnt ist, erklärt man einerseits dadurch, daß die letzten Jahre gelehrt haben, daß die Repression den Widerstand fördert und die Unruhe verbreitet, und die Regierung eine Schonzeit für nichtkonformistische Studenten einer Verbreitung der Unruhe auf andere Sektoren des Volkes vorzieht. Anderseits wird behauptet, daß diese Schonzeit unwillentlich eingelegt wurde, weil man noch immer nach irgendeinem Mittel suche, das die endemische Krankheit der spanischen Universität heilen soll.

Inzwischen steigt jedoch die durch diese Krankheit erzeugte Fieberkurve immer steiler und läßt Dia gnosen über ihren weiteren Verlauf auf kommen: unbegrenzte Ausstände, wie der derzeitige Vorlesungsstreik an der Madrider Universität, und die damit verbundenen Unruhen, die sich bereits auf Barcelona, Valladolid und Pamplona ausgebreitet haben, gehörten zu den Symptomen, die vor dem spanischen Bürgerkrieg auftraten. Mehr noch: auch die alten Fronten von damals zeichnen sich wieder klar ab. Auf der einen Seite stehen die Kommunisten Moskauer und Pekinger Richtung, die linksradikalen Gruppen FUDE und FELIPE, sowie die „Bewaffneten Revolutionskräfte" FAR, auf der anderen Seite die Christdemokraten, die falangistische Gruppe FES, und, als Außenseiter, die Rechtsextremen der „Fuerza Nueva“ und der „Defensa universitaria“. Dazwischen liegt die FSU (sozialistische Urnver- sitätsfront) und neuerdings die Anarchisten.

Bisher marschierten Links und Rechts gemeinsam, mit Ausnahme der Extremisten selbstverständlich. Und als Aktionsgemeinschaft haben sie auch die demokratische Studentengewerkschaft gegen die staatlichen „Studentenassoziationen“ (in Barcelona und Madrid durchdrücken können und sich für ihre Petitionen Gehör verschafft. Die letzte dieser Petitionen, die einstimmig von Madrids Studenten angenommen wurde, forderte nichts Geringeres als die Wiedereinsetzung der vor bald drei Jahren relegierten Professoren Tierno Galvan, Lopez Aranguren und Garda Calvo, die Annullierung sämtlicher akademischer Disziplinarverfahren seit dem Jahre 1939, die Nichteinmischung der Polizei auf dem Universitätsgelände, das Verbot des Waffentragens in der Universität und den Generalstreik.

Die Beibehaltung dieser Einigkeit hängt jedoch — genauso wie 1936 — davon ab, ob es gelingt, die rechtsextremistischen Pistolenhelden auszuschalten, die es offenbar auf eine Wiederholung der Kampfszenen von 1936 bis 1939 auf dem heutigen Madrider Universitätsgelände abgesehen haben und die bedrohlich in das politische Vakuum, das demokratische Studentengruppen zu füllen bemüht sind, eindringen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung