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Klassenlose Universität?

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Die Unruhen, die sich an Spaniens Universitäten, hauptsächlich in Madrid und Barcelona, seit nunmehr mehr als drei Jahren abspielen und die soeben zu schwersten Zusammenstößen mit der Polizei und zu mehr als 150 Verhaftungen geführt haben, sind gewiß nichts Neues. Auch 'die Ziele der Studenten, nämlich die Reform der Universität und der Sturz des Regimes, haben sich nicht geändert, wohl aber die Taktik, die — wie es offiziell heißt — von einer „Minorität“ angewendet wird. Sie veranlaßt® den Rektor der Madrider Universität, Professor Josė Botella Llusiiä, zu der in einer Pressekonferenz ausgesprochenen Erkenntnis, daß die Universität in Gefahr ist. Nicht nur die Universität ist bedroht, sondern auch die erst vor wenigen Monaten vom neuen spanischen Erziehungsminister, Vil- lar Palasi, in Angriff genommene Umgestaltung des spanischen Hoch schulwesens. Die großangelegte Bildungsoffensive, die die Schaffung neuer, autonomer Universitäten und Fakultäten, die Neugliederung der Fakultäten in Abteilungen, die Abschaffung des bisherigen, mühsamen Wettbewerbssystems um die Professuren und die Gewährung freier, allerdings unpolitischer Studentenvereinigungen einschließt, ist plötzlich durch diese „Minorität“ aufgehalten worden und droht in dien endlosen Wirren zu versanden.

Madrid in Atem

Diese Minorität, deren aktiver Terroristenkern nach Angaben der Madrider Polizei aus drei minderjährigen Studenten besteht, die, nachdem sie Madrid während sechs Monaten durch 30 Briefkastenbrände und Brandstiftungen in acht Fakultäten in Atem gehalten hatten, nach dem von ihnen verursachten Großbrand in der alten Madrider Uni-

versität von San Bernardo verhaftet wurden, ist eine anarchistische Stu- dentengruppe, die sich F. U. R. (Vereinigte Widerstandsfront) nennt. Obwohl diese Gruppe erst wenige Monate alt ist, hat sie bereits mehr Unbehagen an der Öffentlichkeit und mehr Chaos in der Universität hervorgerufen als sämtliche anderen Anarchistenivereinigungeh, die seit mehr als einem Jahr an den spanischen Hochschulen wirken. Ihr Ziel, das sie in Flugschriften und auf den Fakultätswänden verkündeten, ist die „Volksrevdlution“, die sie nach einem allgemein bekannten Plan duirchizuführen 'gedenken.

Als dieser vor Monaten in der Presse veröffentlicht wurde, glaubte wohl nicht einmal 'die mißtrauische Polizei an dessen Verwirklichung, denn die meisten spanischen Opposi- tionsigruppen zeichnen sich durch die Aufstellung von Aktionsprogrammen, nicht aber durch deren Befol gung aus. Allein' im Falle der F. U. R. wurden tatsächlich bisher alle geplanten Aktionen, angefangen von Propagandaverbreitung, Manifestationen, Molotowcocktails bis zu Brandstiftung und offenem Aufstand der Studenten zeitgerecht durchgefühlt. Wenngleich die Mehrzahl der Studenten gegen diese krasse Gewaltanwendung ist, so beweist ihre Haltung, daß das Endziel der F. U. R. mit ihren Forderungen nach einer klassenlosen Universität, nach einer klassenlosen Gesellschaft und dem Sturz des Franco-Regimes identisch ist. Denn in Madrid, wo bereits eine Fakultät geschlossen wurde, befinden sich 30.000 Studenten im Vorlesungsstreik und in Barcelona wurden alle Fakultäten bis auf drei geschlossen.

„Movimiento“ und Universität

Die Schuldfrage an dieser völlig verfahrenen Situation zu lösen, hat der Rektor der Madrider Universität unternommen. Erstmalig gab er nicht nur den Studenten und dem reformbedürftigen spanischen Hochschulwesen die Schuld, sondern zum Großteil der spanischen Gesellschaft, die senil sei und in Jugendlichen oberflächlichen Intellekts einen ästhetischen Niarzißimius schaffe. Einen effektiven Ausweg aus dieser Situation weiß er allerdings nicht aufzuweisen, will, man von seinem Postulat nach einer kulturellen Erneuerung Spaniens absehen.

Wieweit die Ratlosigkeit um die rebellische Universität geht, zeigt ein offener Brief des Direktors der Madrider Tageszeitung „Arriba“, Organ des „Movimiento“, der Staats- bewegung also, an den Erzieihiumgs- minister. Allen Ernstes schlägt er darin vor, die Universität ausschließlich der Arbeiterklasse zu öffnen, da die Studenten ohnehin nach einer Beseitigung der Klassenschranken rufen. Die Söhne der besitzenden Klasse könnten ja in Oxford, Berlin, Nanterre usw. studieren... Der „Arriba“-Direiktor glaubt, daß damit den revolutionierenden Studenten der Grund zu ihrer Revolution genommen würde, und vergißt dabei, daß universitätsreife spanische Arbeitersöhne genauso politisiert sind wie die studierende Jugend der Mittel- und Oberschicht.

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