6741788-1966_44_06.jpg
Digital In Arbeit

Spaniens „Burschenherrlichkeit“

Werbung
Werbung
Werbung

Wintersemester. In ganz Spanien haben sich die Universitäten langsam wieder gefüllt. Professoren und Studierende kehrten zurück. Für viele gibt es aber keine Rückkehr. In der spanischen Presse erschienen dieser Tage ihre Namen. Es sind die Lehrkräfte und Studenten, gegen die auf Grund der turbulenten Ereignisse an Spaniens Universitäten akademische Verfahren durchgeführt wurden. In Barcelona allein sind es 105 Sanktionierte, davon 69 Professoren, die mit zweijährigem Lehr- verbot belegt wurden, weil sie in einem Brief an den spanischen Erziehungsminister die rebellierenden Studenten verteidigt hatten. Wenn das Gesetz in seiner ganzen Härte gegen sie angewendet wird, werden sie nie wieder an der Universität Barcelona lehren können. Die restlichen Bestraften sind Studenten, deren Ausstoßung aus der Universität von einem Jahr bis auf Lebenszeit verfügt wurde. In Madrid wurden sieben Studenten mit ähnlichen Strafen belegt. Das Strafenregister geht no h weiter: Der ehemalige Falangist und Mitautor der Einheitsparteihymne, der demokratische Oppositionelle Dionisio Ridruejo, der Poet Löpez Salinas, der Dramaturg Alfonso Sastre, der Filmdirektor Basilio Martin Patino, der Kunstkritiker J. M. Moreno Gal- vän und der Romancier Caballero Bonald sind ins Gefängnis eingeliefert worden, weil stie sich geweigert hatten, die ihnen wegen ihrer Anwesenheit bei der letzten freien (illegalen) Versammlung an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Madrid auferlegten Strafen zu bezahlen.

Beruhigungspillen

Man muß kein Prophet sein, um Voraussagen zu können, daß das kommende Semester unruhig verlaufen wird. Die Regierung hat bewiesen, daß sie bereit ist, mit Härte durchzugreifen. Um die wirklichen Gründe der Unzufriedenheit zu beseitigen, wurde jedoch herzlich wenig unternommen. Die vorjährige Verordnung, die das überlebte Studentensyndikat durch Studentenvereinigungen ersetzte, hat niemand zufriedengestellt. Für die Studenten war dies — mit ihren eigenen Worten

— „die Vertauschung einer Leiche mit einem Gespenst“. Nachdem man ein Jahr hindurch versucht hatte, die Studentenvereinigungen einzufüh ren, wurden sie jetzt einer bescheidenen Revision unterzogen. Die neue Verordnung wurde von den Studierenden wie eine wirkungslose Beruhigungspille aufgenommen. Alle mit der Universität Verbundene wissen, daß die tatsächliche Reform noch aussteht, und viele sind des Wartens müde geworden.

Harte Linie bleibt

Die tatsächliche Reform jedoch ist schwierig und erstreckt sich auf das ganze spanische Erziehungswesen,

von der Grundschule bis zur Universität. In diesen Tagen war in der spanischen Presse zu lesen, daß in Madrid im vergangenen Schuljahr über 50.000 Kinder nicht zur Schule gehen konnten. In Bilbao fehlten

20.000 Grundschulplätze... In der christ-demokratischen Zeitschrift „Cuademos para ei Dialogo“ befaßten sich unlängst 18 Madrider Professoren mit den Problemen der Universität. International bekannte Gelehrte, wie Lain Entralgo, Rafael Lapesa, Ruiz-Gimenez, kritisierten den ungeheuren Mangel an Lehrkräften an Spaniens Erziehungszentren, die fehlende Bindung zwischen wissenschaftlicher Forschung und wissenschaftlichen Schaffens mit der Universität, die unzulänglichen finanziellen Mittel zur Materialbeschaffung und zur Honorierung der Professoren, den Klassencharakter einer Universität, an die kaum ein Prozent Arbeiterkinder gelangen, das Fehlen einer wirklichen Lehrfreiheit usw. „Wir wollen keine Simple äußere Ordnung, die auf Zwang aufgebaut ist“, versicherten sie, und „wir verabscheuen die politische Diskriminierung, die heute wiederholt auf verschiedenen Gebieten des studentischen Lebens praktiziert wird“.

Nichtsdestoweniger hat die Regierung ihre harte Linie wieder bestätigt. An der spanischen Universität kann die Ruhe wiederhergestellt werden oder aber die Unruhen fortgesetzt werden. Für die meisten hängt alles davon ab, welcher Alternative des ewigen Dilemmas der Vorrang gegeben wird: Mehr Butter oder mehr Kanonen. Im Augenblick jedenfalls wird gegen freiheitliche Regungen scharfgeschossen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung