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Spaniens Studenten sind unruhig

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Verschwindend klein und lakonisch erschien in der spanischen Presse eine Notiz aus dem Staatsanzeiger, in der bekanntgemacht wurde, daß Don Jose Miguel Orti Bordas seines Amtes als oberster Leiter des spanischen Studentensyndikats enthoben worden ist.

Dies und die jüngsten Entwicklungen im S. E. U., dem spanischen Studentensyndikat, scheinen darauf hinzuweisen, daß die Regierung eilige Vorbereitungen trifft, um die mühsam hergestellte Ruhe an den spanischen Universitäten zu Semesterbeginn im Oktober zu sichern. Anfang April, als die diesjährigen Studentenunruhen — in ihrem Ausmaß und Heftigkeit wohl die schwerwiegendsten seit Bürgerkriegsende 1939 — noch in sehr frischer Erinnerung waren, wurde ein Dekret veröffentlicht, das recht zaghaft und in verallgemeinerter Form eine völlige Neuordnung des

S. E. U. skizzierte. Dieses Dekret wurde vom Großteil der spanischen Studentenschaft mit Mißtrauen aufgenommen, denn sie befürchtete, daß es letztlich nur bei einer Serie von formellen Änderungen bleiben würde, ohne daß die Grundübel an der Wurzel gepackt würden, kurz, daß es nur zu einer zeitweisen Beschwichtigung der exaltierten Gemüter dienen sollte. Diese Studentenschaft wünschte, daß die Fehler des alten Syndikats ausgemerzt werden, so die geringe Repräsentanz seiner Mitglieder, die nur auf Fakultätsniveau demokratisch gewählt und auf Universitätsniveau von einem offiziell eingesetzten Syndikatschef koordiniert wurden, der in seiner Stellung oftmals nur die erste Sprosse auf der Stufenleiter zu einer politischen Karriere sah, sich aber in seiner Tätigkeit in vielen Fällen nur auf das Archivieren der Studentenprobleme beschränkte. Der oberste Leiter des Studentensyndikats selbst wurde direkt vom Chef des spanischen Einheitssyndikats bestimmt. Ein weiterer Fehler des S. E. U. war die Tatsache, daß alle Studierenden ihm zwangsweise angehören mußten, also keine Assoziationsfreiheit bestand.

Heimliche Kritik und Ablehnung

Auf Grund der Veröffentlichung des Dekrets wurde in Madrid eine geheime Studentenversammlung abgehalten, der an die dreißig Vertreter illegaler studentischer Oppositionsgruppen aus dem ganzen Land beiwohnten. In dieser Versammlung beschloß man die Ablehnung der ganzen Verordnung, weil die große Masse der unzufriedenen Studierenden keinen Anteil an ihrer Ausarbeitung gehabt hätte und einige, vielleicht zu hastig aufgestellte Punkte den studentischen Forderungen nicht entsprächen. Schließlich entschied sich die Versammlung für die Wiederaufnahme des Kampfes um die gewerkschaftlichen Forderungen der Studenten zu Semesterbeginn, in anderen Worten also für neue Streiks.

Am 5. Juni erließ das Erziehungsministerium eine Zusatzverordnung zu dem vorhergehenden Dekret, die genau erkennen ließ, welche Form die neuen studentischen „Berufsvereinigungen“ haben würden. Demnach sollen künftig die Syndikatschefs der Universitäten demokratisch gewählt werden und sämtliche Vertreter der Studentengewerkschaft eine direktere Mitbestimmung im Universitätsleben erhalten. Die oberste Leitung des Studentensyndikats wurde durch ein „Nationalkommissariat“ ersetzt, dessen Aufgabe es ist, als „Verbindungsglied zwischen den Studentenvereinigungen und den staatlichen und Parteiinstitutionen“ zu dienen. Ob-zwar der „Nationalkommissar“ auf Vorschlag des Falangeministers ernannt wird, scheinen die gewählten und ihm untergeordneten Vertreter der Studentengewerkschaft ein freieres Betätigungsfeld im „Nationalkommissariat“ eingeräumt bekommen zu haben.

Die zwangsweise Mitgliedschaft edes spanischen Studenten im Studentensyndikat wird aufrecht erhalten, doch gestattet man innerhalb des Syndikats die Bildung nationaler Studentenvereinigungen, die sich allerdings nach Pachzweigen gliedern müssen. Diesen Schritt könnte man als kleines — wenn auch unpolitisches — Reifezeugnis für die spanische Studentenschaft auslegen.

Der vorläufige Schlußstrich unter den Entwicklungsprozeß des spanischen Studentensyndikats ist die eingangs erwähnte Absetzung seines Chefs, Orti Bordas, der sich zwar keiner besonderen Beliebtheit unter den Studenten erfreute, doch eher einsatzfreudiger als seine Vorgänger war. Sein Hauptpech war es, daß er diesen verantwortungsvollen Posten in einer schwierigen Übergangszeit eingenommen hatte.

Derzeit ist es noch etwas gewagt, die Haltung der Studenten gegen-

über diesen Veränderungen vorauszusagen. Wenn jedoch die praktische Durchführung der Reformen dem vorläufig nur auf dem Papier festgelegten Umfang entspricht, dürfte es in der nahen Zukunft keine Proteste mehr geben. Es hieße in einen gefährlichen Irrtum verfallen, wenn man außer acht lassen wollte, daß die Forderungen der Studenten, die zu den. Unruhen bei Jahresbeginn geführt hatten, sich mehr auf die allgemeine Struktur der spanischen Universitäten als auf die Berufsinteressen einer Gewerkschaft bezogen und diese Gewerkschaft hauptsächlich abgelehnt wurde, weil sie außerstande war, sich zum wirksamen Sprachrohr der Studentenschaft zu machen. So haben die Forderungen nach mehr Lehr- und Lehrmittelfreiheit, nach erweiterter Meinungs- und Informationsfreiheit innerhalb der Universität noch keine praktische Beantwortung gefunden.

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