6771729-1969_05_06.jpg
Digital In Arbeit

Ausnahmeredit in Spanien

Werbung
Werbung
Werbung

In einem nur dreistündigen Ministerrat unitetr Vorsitz General Francas traf die spanische Regierung die bisher schwerstwiegende Entscheidung der Nachbürgerkriegszeit: die Ausrufung des Ausnahmezustandes auf die Dauer von drei Monaten. Fünf Artikel des Grundrechts der Spanier werden damit außer Kraft gesetzt. Das heißt also, daß das Recht auf freie Meinungsäußerung, auf freie Wohnungswahl, auf Unverletzbarkeit des Domizils, auf Versammlungsfreiheit und das „Habeas corpus“ aufgehoben werden.

Wenige Stunden nach Beendigung der Ministerratssitzung berief Informationsminister Fraga Iribarne die spanischen Zeitungs- und Presseagenturdirektoren zu sich, um sie über die Wiedereanführung der Pressezensur zu unterrichten, die erst vor drei Jahren durch das Gesetz über Pressefreiheit außer Kraft gesetzt worden war und eine der größten liberalen Errungenschaften des Regimes darstellte.

Die offizielle Begründung für den Freiheitsentzug von 32 Millionen Spaniern gab der Informationsminister mit den systematischen Störaktionen miinoritärer Gruppen, die In klarer Verbindung mit einer Internationalen Strategie stehen und die Spaniens Frieden, Ordnung und wirtschaftliche Entwick-hing -zu foe-. einflussen suchen. Diese Aktionen waren allerdings fast ausschließlich auf die Universitätsstädte Barcelona und Madrid beschränkt, wo es in den letzten Wochen und Tagen zu Straßenmanifestationen kam. In Barcelona wurde die Universität bereits vor Tagen wegen eines im letzten Augenblick verhinderten Fenstersturzes des Rektors auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die gleiche Maßnahme wurde Stunden vor der Ausrufung des Ausnahmezustandes an der Universität Madrid ergriffen.

Hier regfertrierten sich tägliche Studentenmanifestationen auf dem Universitätsgelände und in ausgedehnten Stadtgebieten, die die Studenten mit dem Tode des 21jährigen Jusstudenten Enrique Ruano begründeten, der ihrer Ansicht nach von der Polizei durch Mißhandlungen und ein 40stündiges Verhör bei Scheinwerferlicht zum Selbstmord getrieben wurde.

Tatsächlich haltte sich der drei Tage vorher wegen angeblicher kommunistischer Aktivität zusammen mit drei weiteren Personen verhaftete Student aus dem siebenten Stock seiner Wohnung gestürzt, in die er von drei Polizisten zwecks einer Hausdurchsuchung gebracht worden war. Am folgenden Tag brach der Aufruhr in der Universität aus: Rote und republikanische Fahnen erschienen an den Fakultätsgebäuden, Trauerflaggen wurden gehißt, Plakate mit der Aufschrift „Franco, Mörder!“, „Geheimpolizisten, Mörder!“ wurden angebracht. Tausend? - von Studenten,oft in kleine Kommandogruppen zusammengeballt, unterbrachen den Ver* kehr und streuten Flugzettel mit Anklagen gegen Regime und Polizeiwillkür. Die Polizei nahm täglich 60 bis 80 Studenten fest.Unruhen dieser Art sind bereite endemisch an Spaniens Universitäten und hatten im Vorjahr z. B. fast alle Hochschulen des Landes erfaßt. Neu ist dieses Mal nur die öffentliche Verbrennung der spanischen Fahne. Aber, so fragt sich der Spanier besorgt, sind diese Vorkommnisse wirklich derart staatsgefährdend, daß sie die Ausrufung des Ausnahmezustandes erfordern? Nach offizieller Lesart ist es eine Präventivmaßnahme. Man fürchtet eine Ausbreitung dar Unruhen, fürchtet, daß Situationen ähnlich wie in Paris, Mexiko oder Tokio entstehen könnten. Man will einen wirtschaftlichen Kollaps vermeiden, möchte die in den letzten Monaten etwas verbesserte Wirtschaftslage, die das Auftauen der seit der Pesetenabwertung von 1967 eingefrorenen Löhne ermöglichte, keinen Gefahren aussetzen. Die französische Mairevolution und ihre Folgen stehen dem spanischen Regime noch vor Augen. Man will es nicht so weit kommen lassen, daß die heutige Basis des Regimes, die ohnehin nicht sehr stark ist, ins Schwanken gerät, und man will der Bevölkerung zeigen, daß das Regime die Zügel noch ausreichend in der Hand hat, um mit Revolutionsversuchen aufzuräumen.

Doch gerade die Furcht, die den Spaniern genommen werden oll, macht sich jetzt breit: Sie bezweifeln, daß es nur die Studentenunruhen sind, die die Regierung zu diesem Schritt veranlaßten, Sie wissen, daß Franco 76 Jahre alt und von schwacher Gesundheit ist und daß sich der kaum populäre, aber dem Regime ergebene Prinz Juan Carlos von Bourbon, der Sohn des spanischen „Thronfolgers“, vor kurzem als kommender König zu erkennen gab. Will man, so fragt man sich besorgt, Juan Carlos auf den Schild heben und deshalb jegliche Mißfallensäußerung, jegliches Risiko auf eine gewalttätige Reaktion der politisch aktiven Bevölkerungsteile ausschalten?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung