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Spanien schweigt

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Einen Monat nach Ausrufung des Ausnahmezustandes in ;ßpanien ist nichts festzustellen, das der Bedeutung* dieser bisher sAwerwiegend-sten und anfänglich Besorgnis und Beunruhigung hervorrufenden Maßnahme entspricht. Das Land ist in ein Schweigen gehüllt, das nur durch Gerüchte über Verhaftunigen von Geistlichen, Studenten und Arbeitern und über die Deportierung von Intellektuellen der zweiten politischen Garnitur unterbrochen wird Die Pressezensur hat Spaniens Zeitungen, die vor dem Ausnahmezustand ein lebendiger Spiegel des täglichen politischen Lebens waren, in die graue Einförmigkeit zurückversetzt, in der sie vor 1966, als das Gesetz über Pressefreiheit in Kraft trat, vegetierten. Ausländische Zeitungen, die sich kritisch mit inner-spanischen Geschehnissen auseinandersetzen, sind fast ausnahmslos von den spanischen Zeitunigsständen

Niemand — außer der Polizei selbstverständlich — weiß daher, wie hoch die Ziffer der Verhafteten und Deportierten ist. In Bilbao sollen in der letzten Zeit 120 Personen, hauptsächlich Arbeiter der seit Wochen bestreikten Großunternehmen Babcock und Wilcox, Constructora Naval und Altos Hornos de Biscaya festgenommen worden sein. Andere Quellen sprechen gar von 200 Verhaftungen. In der Provinz Biskaya befinden sich an die 20.000 Metallarbeiter in Streik, von denen 15.500 fristlos entlassen wurden. In San Sebastian streikten 12.000 Arbeiter gegen den Ausnahmezustand und gegen die ausbleibenden sozialen Verbesserungen und demokratischen Freiheiten. In den Kohlenbergwerken1 von Asturien, in einigen Fabriken in Katalonien und in bisher zwei Betrieben Madrids, wurden sporadische Streiks veraetehnet, dierihretr'fUrspmng jedoch auf dem Lohn- bzw. Gewerkschaftssektor hatten und wahrscheinlich auch ohne den Ausnahmezustand ausgebrochen wären.

Der Widerstand von Arbeitern und Studenten gegen die Regierungsmaßnahmen, der in den ersten beiden Wochen nach der Verhängung des Ausnahmezustands hauptsächlich in Madrid in Form von zahlreichen kleinen Manifestationen, die von sogenannten „Kommandos“ durchgeführt wurden, festzustellen war, ist so gut wie erstorben. Nur von den Häuserwänden der Arbeitervororte Madrids trotzen die nachts hastig gepinselten und schnell von der Polizei übertünchten Worte „No a la Excepcion!“ gegen die regierungsajntüch verordnete opossitionelle Abstinenz. Offene Worte über und gegen den Ausnahmezustand können nur Personen oder Personengruppen wagen, die auf Grund ihrer Notorität oder sozialen Stellung nichts fürchten oder nichts zu befürchten haben. So ist bekannt, daß der christlichdemokratische Oppositionelle und Pax-Romana-Präsident Joaquin Ruiz-Gimenez einer ausländischen Fernsehstation gegenüber frei seine kritische Meinung äußerte, daß der anläßlich der Studentenunruhen von 1965 auf Lebenszeit von der Universität verwiesene Sozialistenführer Professor Tierno Galvan desgleichen getan hat und daß sechs andalusdsche Bischöfe sich von den Erklärungen des ständigen Ausschusses der spanischen Bischofskonferenz distanzierten, in denen die Solidarität des spanischen Episkopats mit dem Ausnahmezustand zum Ausdruck kam. Das letzte Anzeichen kirchlicher Nichtkonformität mit dem Regime wurde in Barcelona registriert: '<280> “katalanische.- Geistliche begaben Tviichf .in das eszfaischöfliehe flpiviWfri von Msgr. Marcelo Gonzalez zu erreichen, daß er sich für den der Anstiftung einer nicht friedlichen Priestermanifestation angeklagten katalanischen Priester Dalmau und drei weitere katholische Geistliche verwende, die sich vor dem Madrider Gericht für öffentliche Ordnung zu verantworten haben. Doch dies sind Vorkommnisse, die nicht an die Oberfläche dringen und die auch nicht ihre Erstarrung lösen. Selbst die Öffnung der kurz vor Ausrufung des Ausnahmezustands geschlossenen Universitäten von Madrid und Barcelona wird kaum dieses Bild ändern. In Spanien wurden Ordnung und Schweigen dekretiert und — zumindest während der Dauer des Ausnahmezustands — auch befolgt.

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