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Staatschef im Wasser

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Die Auswirkungen der studentischen revolutionären Unruhen in Frankreich haben bisher in Spanien nicht den Erfolg erbracht, den sich die kleine Gruppe von marxistischen Studenten erwartet hatte, die denselben „Idealen“ nacheifern, wie sie die Gruppen um den Studentenführer Cohn-Bendit in Paris erbracht haben. Die studentischen Unruhen gehören ja in Spanien seit einigen Jahren zum täglichen Brot, doch sind auch jetzt deren Motive durchaus unterschiedlich zu denen in Paris, Berlin, Stockholm usw. Während die Studenten in letztgenannten Ländern in ihrer radikalsten Form einen anarchistischen Marxismus predigen und die totale Umwälzung der derzeitigen Gesellschaftsordnung wünschen, demonstrieren die Spanischen Studenten für die Einführung jener demokratischen Ordnung, die die demonstrierenden Studenten in Paris, Berlin und Stockholm bekämpfen und abgelöst sehen wollen.

Als das Chaos in Frankreich am größten war, faßte der Ministerrat in Madrid einen Beschluß über die Reform der Universitäten. Es sollen drei neue Universitäten errichtet werden — in Madrid, Barcelona und Bilbao —, neue Fakultäten in Santander, San Sebastian und Extremadura, voraussichtlich Badajoz, sowie zwei polytechnische Institute. 200 neue Lehrstühle sollen vergeben werden. Der Ministerratsbeschluß sieht auch vor, Forderungen nach Reformen der Universitäten stattzugeben, die in der Struktur der sozialen Anforderungen gerecht werden, wobei den regionalen Situationen Rechnung getragen werden soll. Die im napoleonischen Zeitalter begründete Administration soll von Grund auf erneuert werden. Diese Reformen, ausgelöst vor allem durch den neuen Erziehüngsminister Villar Palasi, werden aber die Unruhen nicht völlig aus der Welt schaffen können. Dessen ist sich die Regierung durchaus bewußt. Neuerliche Unruhen können aber dann nicht mehr mit dem alleinigen Grund nach Reformen motiviert werden — da diese von Professoren, Dozenten und Studenten gefordert, weitgehend erfüllt werden —, sondern nur noch aus politischen Motiven. Die politischen Gründe sind, eine ruhige Evolution des Landes zu verhindern, mit dem Ziel, eine sofortige totale Umwandlung herbeizuführen. Diese Gruppe findet nicht die Majorität der Studenten, sondern ist eine kleine, entschlossene, aktive Gruppe von anarchistischen Marxisten, die an der Auslösung der Unruhen in Paris den maßgebenden Anteil hatte.

Regierungsumbildung im Herbst?

Die Entwicklung in Frankreich hat in dieser Beziehung eher ernüchternd auch auf Studentenkreise gewirkt, die wohl für Reformen, aber nicht für Umsturz sind. Die verantwortlichen Männer des Erziehungsministeriums sind sich dieser Chance durchaus bewußt und werden versuchen, in engem Kontakt mit den Studenten aufklärend und den berechtigten Wünschen entgegenkommend, zu reagieren. Eine Situation, wie sie derzeit in Frankreich herrscht, könnte sich auch Spanien in seiner wirtschaftlichen Lage nicht leisten, ohne in ein unvorstellbares Chaos zu geraten. Das Problem wird je eher zu lösen sein, je schneller zugesagte Reformen in die Tat umgesetzt werden. Die Regierung muß bis zur Wiederaufnahme des Studienbetriebes im Oktober dieses Jahres den Universitätsplan zur Durchführung bringen, so groß auch die zu überwindenden Schwierigkeiten sein mögen. Zur Zeit sind die Studenten in Spanien in den Examen und gehen anschließend in die Ferien. Erfahrungsgemäß ist in dieser Zeit nicht mehr viel politische Tätigkeit an den Universitäten zu erwarten. Dafür steht sie drohend, sozusagen als Wetterleuchten, am herbstlichen Himmel Spaniens.

Die für Juli erwartete Regierungsumbildung in Madrid wird aller Voraussicht nach unterbleiben, da auch hier die Auswirkungen der Situation in Frankreich eine Umbildung der Regierung zur Zeit den immer auf das „Abwarten“ eingestellten Staatschef unnütz erscheinen lassen. Es ist daher frühestens im Oktober, wenn nicht erst im Jänner 1969 mit der Ernennung eines Regierungschefs und Festsetzung der Nachfolge zu rechnen.

Der Staatsbesuch Präsident Bour- gibas gerade in den Tagen der französischen Krise hat Spanien wieder etwas in den Mittelpunkt des Interesses gebracht. Die demonstrativ zur Schau getragene innere und äußere Stabilität, Gedankenaustausch über Mittelmeerfragen und ein gesundheitlich in guter Verfassung befindlicher Staatschef, der vor den Verhandlungen drei Tage mit Erfolg, laut TV und Bildberichten im kalten Wasser stehend, fischte, sind einige Kennzeichen der hiesigen politischen Lage.

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