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Der Fall Cierco

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Hunderte Madrider Studenten hatten sich um die Mittagszeit im Foyer des Madrider Justizpalastes versammelt, um einem jungen Studentenanwalt ihre Solidarität zu beweisen.

Die Geschichte des „Vergehens“, dessen sich Eduardo Cierco Sanchez, 34 Jahre alt, christlicher Demokrat und Mitglied der Madrider Anwaltskammer, zu verantworten hatte, begann mit einem am 22. Mai dieses Jahres an den Madrider Erzbischof, den Nuntius und das Staatssekretariat des Heiligen Stuhls gerichteten

Brief. In diesem führte er, gestützt auf die durch das kanonische Recht jedem Katholiken auferlegte Verpflichtung, die kirchlichen Behörden von Verunglimpfungen der Kirche zu unterrichten, Beschwerde über Vorfälle, die sich laut Angaben zweier seiner Mandanten im Madrider Polizeipräsidium zugetragen haben. Die Mandanten, ehemalige Seminaristen und Studenten der Madrider Philosophischen Fakultät, wurden von der Madrider Polizei Verhören unterzogen.

„Ein explosiver Brief“

Dieser Brief nun geriet an die französische Zeitschrift „Le Nouvel Observateur“, die ihn am 17. Juni unter der Uberschrift „Ein explosiver Brief“ veröffentlichte und seinen Verfasser als Anwalt des spanischen „Le-Monde“-Korrespon-denten J. A. Novais vorstellte, der nach vorangegangenem Auslandspresseausweisentzug wegen „tendenziöser und falscher Berichterstattung“ Verleumdungsklage gegen den spanischen Informationsminister erhoben hatte.

Als Antwort auf diese Briefveröffentlichung erfolgte spanischerseits eine heftige Presse- und Pamphletkampagne, in der Cierco beschuldigt wurde, mit dem Brief einzig und allein die „Diffamierung und den politischen Skandal“ gesucht zu haben. Wenig später wurde der Anwalt vorübergehend festgenommen und der illegalen Propaganda angeklagt.

Die Irrfahrt eines Koffers

Der Tatbestand der illegalen Propaganda war durch die Veröffentlichung des Beschwerdebriefes in einer ausländischen Zeitung gegeben. Wie es allerdings zu dieser Veröffentlichung, für die Anwalt Cierco die Verantwortung ablehnte, gekommen war, schien ein Rätsel. Lösen wollte es der Chefredakteur des „Nouvel Observateur“, den Ciercos Verteidiger, der Dekan der Madrider Anwaltskammer, als Zeugen vorladen wollte. Diesem Antrag wurde vom Präsidenten des Gerichts für öffentliche Ordnung nicht stattgegeben. Daraufhin gab der Chefredakteur eine notarielle Erklärung ab, die vom spanischen Konsulat in Paris beglaubigt, von dem französischen christlichen Gewerkschaftsanwalt Edouard Weil nach Madrid gebracht werden sollte. Der Anwalt landete mit einem planmäßigen IBERIA-Flugzeug Paris—Madrid in Spaniens Hauptstadt, sein Koffer aber mit der notariellen Erklärung tauchte am Verhandlungstag in Barcelona auf und erreichte Madrid zu Prozeßschluß.

Die Rolle der Polizei

Bei der Rolle, die die Polizei im Fall Cierco gespielt hatte, fielen dem Verteidiger einige Begebenheiten auf, die ein erläuterndes Licht auf Methoden warfen, die offenbar von einigen Polizisten angewendet werden. So hatte die Polizei Kenntnis von einem zwischen dem Angeklagten und der Nachrichtenagentur AFP geführten Telephongespräch. Da dies nur durch Telephonüber-wachung geschehen könne, ist es nach Meinung des Verteidigers auch wahrscheinlich, daß die Korrespondenz des Anwalts überwacht wurde und sich „jemand“ zwischen diesen und die französische Zeitschrift eingeschaltet habe. Außerdem sei die Transkription einer von Cierco in Paris abgehalteten Konferenz statt durch Spaniens diplomatische Vertretung über die spanische Polizei und auf deren Papier in Madrid eingetroffen. Cierco — so schloß der Verteidiger — habe nicht den Kredit des Staates schädigen wollen. „Wenn jedoch die heutigen Regierungen ihr Prestige auf die Polizei stützen müssen — und ich beziehe mich nicht auf die Spaniens —, so müßte dieses Prestige wohl armselig sein!“

Das Urteil, das vier Tage nach Prozeßende bekannt wurde, lautet auf ein Jahr Gefängnis. In Anbetracht des vom Ankläger gestellten hohen Strafantrags kann es als mild angesehen werden.

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