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Gratis-Hochschulen als Trümmerhaufen

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Es ist schon eine beträchtliche Weile her, seit die Hochschullehrer in Europa ihre Entlohnung bei den Studenten selber eintreiben mußten. Inzwischen wird ihnen ein besseres Gehalt von Staats wegen angewiesen und ihr Sozialprestige ist bedeutend gewachsen. Lateinamerikanische Universitätsprofessoren brauchen zwar ihr Einkommen auch nicht mehr bei ihren Schülern einzufordern, aber ihr Ansehen ist noch heute ebenso gering wie ihr festes Gehalt. Oft genug haben sie deshalb einen angesehenen und besser bezahlten Zweitjob. Daran hat auch der Boom der jungen exklusiven Privatuniversitäten nichts geändert.

Zwar zahlen die Führungsschichten einiges, um ihren Nachwuchs an diesen südamerikanischen Eliteuniversitäten (nach US-Vorbild und mit anschließendem US-Philosophie-Doktorat in Harvard oder Berkeley) ausbilden zu lassen, aber die Gehälter der Lehrer sind kaum besser als die der Professoren an den staatlichen Universitäten.

Dafür kann man an den Privatuniversitäten in Ruhe forschen, lehren und lernen. Die großen Nationaluniversitäten des Subkontinentes, die wie in Buenos Aires, Caracas, Lima und Quito bereits Studenten schulten, als es Harvard überhaupt noch nicht gab, sind Trümmerhaufen. Dabei hatten sie im Anschluß an die Studentenrevolten (Beginn 1918 in Cordoba, Argentinien) bis in die frühen fünfziger Jahre erfolgreich die politische und wirtschaftliche Elite herangezogen.

Heute jedoch liefern einander auf den Universitätsarealen und in den umliegenden Stadtteilen die Mao, Che Guevara und Althusser interpretierenden Söhne und Töchter des armen Kleinbürgertums und die wachsamen Militärpatrouillen heftige Scharmützel. Busse geraten in Brand, Pflastersteine (seitens der Studenten) und Kugeln (seitens der Soldaten) fliegen, und die betreffende Universität schließt wieder einmal auf Wochen oder Monate ihre Tore.

Ein jüngeres Beispiel explodierter Studentenfrustration in Kolumbien (während der Schließung der Nationaluniversität in Bogota) machten sich Terroristen zunutze. Während des Besuches des US-Vizes George Bush kam es in der kolumbianischen Provinzmillionenstadt Me-dellin an der Universität von Antiochien (800 Lehrer, 20.000 Studierende) zu Demonstrationen.

Dabei warf eine Gruppe von Maskierten in unmittelbarer Nähe des Haupttores Molotow-Cocktails auf ein vorüberfahrendes Auto - es war ein US-Ford und hatte zudem offizielle Nummernschilder. Im Wagen verkohlte eine gehbehinderte Nonne, und ihr Vorgesetzter, ein Priester, der sich aus dem Auto retten konnte, erlitt schwere Verbrennungen.

Das Militär — wegen Bush sowieso schon in Alarm-Bereitschaft um die Universität postiert — stürmte daraufhin das Gelände und gab später eine Erklärung ab, die Maskierten seien alle auf der Uni eingeschrieben (dies obwohl es keines einzigen der Maskierten habhaft werden konnte und niemand erkannt worden war). Festgenommen wurden in der

Folge 150 Studenten, ins Krankenhaus eingeliefert wurden einige Dutzend Verletzte und die staatliche Universität wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Politisch radikalisierte Studenten (die nahezu kostenlos an den öffentlichen Hochschulen studieren und dort Aktionen suchen), sind nicht das, was sich die neuen staatstragenden Schichten Südamerikas für ihren wirtschaftlichen und technischen Fortschritt wünschen.

Deshalb können die entpolitisierten, auf Leistung und Können drängenden teuren Privatuniversitäten, die entweder in Form des US-Colleges oder der katholischen Hochschule organisiert sind, seit Beginn der sechziger Jahre wachsenden Zulauf verzeichnen. Sie bilden seither die gesamte modernisierungswillige Intelligentia für die Planungsministerien, die Entwicklungsbanken und die Staatskonzerne aus.

Dieser bestechende Erfolg der jungen Kaderuniversitäten — Entwicklung wäre in Lateinamerika ohne sie nicht denkbar -treibt seinerseits die staatlichen Lehrinstitute weiter in die Krise (eine Ausnahme: die mexikanische Nationaluniversität mit 250.000 Studierenden), deren Höhepunkt oder Ende nicht abzusehen ist.

In Brasilien beginnt man die privaten Eliteinstitute bereits umzuformen: weg vom US-College-Typ will man deutsche und französische Bildungselemente einführen, um die künftigen Führungsleute für die geänderte außenpolitische Szene (mit stärkerer Europa-Ausrichtung) der ausgehenden Achtziger vorzubereiten.

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