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Ähnlich wie in Ländern nördlich der Alpen haben die Ausschreitungen bei studentischen Unruhen in Italien zuerst einmal erreicht, daß die wirklich notwendige Universitätsreform aus einem Klima sachlicher Gespräche in eine Atmosphäre brüllender Proteste und geradezu fearikaturhafter Forderungen geschoben wurde. Die nächstliegende Forderung war, „es dürfe niemand mehr bei den Prüfungen durchfallen“.

Und doch muß man sich näher mit den italienischen Universitäten befassen, um sich derartige Forderungen, die über jedes Maß hinausschießen, überhaupt erklären zu können. Italien, das Mutterland der europäischen Universitäten, hatte nicht die Humboldtische Reform ein geführt. Das Studium ist nicht in Semester, sondern in akademische Jahre eingeteilt. Und vor allem sind viel mehr Prüfungen vorgeschrieben. Diese sind schwieriger als die Colloquien an den österreichischen Universitäten, aber leichter als die Rigorosen. Um zum Beispiel das Doktorat in neuzeitlicher Geschichte zu erreichen, mußte der Verfasser dieser Zeilen 21 Prüfungen ablegen, um zur „Discussion della Tesi“ zugelassen zu werden. Die Prüfungen umfaßten zum Teil Materien, die weit außerhalb seines Fachgebietes lagen, wie zum Beispiel Religionen und Philosophie Indiens und des Fernen Ostens. Zwingend vorgeschrieben waren zum Beispiel Prüfungen in Latein. Dieses System hatte wohl den Vorteil, daß der Student noch eine recht umfassende Ausbildung erhielt.

Gerade heute ist der Verfasser dankbar, daß er bei der Wiederaufnahme seines Studiums nach der Rückkehr aus dem Kriege noch einmal die gainze Aeneis und Ciceros Philippiken durcharbeiten mußte, um schließlich eine Dissertation über die „englisch-holländischen Beziehungen zur Zeit Königin Annas“ vorlegen zu dürfen.

Aber natürlich liegt in diesem System auch die Gefahr eines reinen Examenbüffelns. Schon im Jahr 1938 erklärte der damalige Rektor der Universität Florenz, der Lehrplan sei viel zu sehr überlastet, und eine Reform sei dringend notwendig. In der Zwischenzeit hat man als Reform doch auch mehr Gewicht auf Seminare und vor allem Seminararbeiten gelegt, aber den Lehrplan nicht-umgestaltet. Das führte natürlich zu einer Mehrbelastung der Studenten.

Mehr Fakultäten

In gewissem Sinne sind die italienischen Universitäten moderner als die deutschen und österreichischen, die philosophische Fakuiltät (Fac- coltä di Lettare e Filosofia) ist nicht überfüllt auch mit den Naturwissenschaften, sondern letztere bilden eine eigene Fakultät. Es gibt nur eine technische Hochschule in Mailand, aber viele Universitäten haben eine „faccoltä di ingegneria“, zum Beispiel Pisa, Bologna, Pavia, Padua und so weiter. Es gibt Fakultäten für Veterinärmedizin, für Agrarwissenschaften und eine Besonderheit, Fakultäten für Pädagogik, die für die Lehramtsprüfung vorbereiten. Ihr Lehrplan ist zum Teil denen der philosophischen Fakultäten sehr ähnlich. Ein Zusammenlegen von Lehrkanzeln stand hier schon in Diskussion.

Der Drang nach dem Norden

Auffallend ist, daß auch ein großer Teil der italienischen Studenten aus Süditalien die Universitäten des Nordens bevorzugt. Von den südlichen Universitäten werden zum Teil eigentümliche Dinge berichtet Die Mehrzahl der italienischen Universitäitsprofessoren wohnt sowieso in Rom und kommt nach dem Süden fast nur zu den Prüfungen, die manchmal in der Zeit zwischen Ankunft und Abfahrt des Schnellzugs nach Rom stattfinden.

Ein anderer Grund für die starke Bevorzugung der Universitäten des Nordens ist die größere Zahl guter Bibliotheken. Abgesehen von Florenz und Rom, die beide über eine „Biblioteca Nazionale Centrale“

(eine Nationalbibliothek mit Pflichtexemplaren vom ganzen Staatsgebiet) verfügen — dazu noch zahlreiche andere berühmte Bibliothe ken — sind auch die Bibliotheken in Mailand, Turin, Bologna, Padua, Venedig, Pavia, Pisa, Genua und Parma ihren Schwestern des Südens weit überlegen. Dieser Drang nach dem Norden erklärt die jetzt beliebte Forderung nach Freifahrscheinen für Studenten. Daß damit auch andere Staatsbürger ein ähnliches Privileg verlangen könnten, zum Beispiel die zahlreichen süditalienischen Arbeiter in den Industriezentren des Nordens, wird nicht bedacht.

Der anarchische Zug

Mit Recht ist die Studentenschaft Italiens verbittert, daß das Parlament in der nun abgelaufenen Legislaturperiode die bereits geplante Uni versitätsreform wieder nicht verabschiedet hat. Die Christlichen Demokraten müssen immer fürchten, daß es den Kommunisten gelingen könnte, die Sozialisten aus der Koalition herauszubrechen. Besonders Argumente aus der Kulturpolitik könnten dazu verwendet werden. Die rot-schwarzen Koalitionen in Deutschland und früher in Österreich können mit der italienischen Linksöffnung nicht verglichen werden, da eben hierzulande noch eine sehr starke Linksopposition im Parlament vorhanden ist. Es ist naheliegend, daß sich die Linksopposition, also Kommunisten und Sozialisten der proletarischen Einheit („Chinesen“), da- Studenten unruhen bemächtigt hat uind hoffit, diese Unzufriedenheit für sich im Wahlkampf auszunutzen.

Anderseits tragen diese Unruhen zum Teil einen völlig anarchischen Charakter und bringen so unvernünftige Forderungen aufs Tapet, daß auch die Linksparteien recht vorsichtig sein müssen, um nicht ihre Anhänger, die recht disziplinierte Arbeiterschaft, vor den Kopf zu stoßen. Dieser anarchische Zug war immer in der studentischen Jugend Italiens vorhanden, im Risorgimento kämpften Studentengruppen unter Garibaldi, D’Annunzio stützte sich besonders auf di Studenten, als er die Massen zu Demonstrationen für die Intervention aufrief; die faschistischen Studenten gaben der Partei das von Mussolini so gewünschte revolutionäre Kolorit, und nun sind wieder andere politische Gruppen bemüht, die Studenten für sich einzuspamnan.

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