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Ist Italien „antiklerikal“ ?

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Die Frage nach der Stärke des italienischen „Antiklerikalismus“ ist durch den jüngstvergangenen Wahlkampf erneut aufs Tapet gebracht worden. Denn wie in Zeiten politischer Hochspannung oft alte, längst tot-geglaubte Polemiken und Argumente wieder hervorgeholt werden (der Oesterreicher braucht sich nur an die immer wiederkehrenden Polemiken über die Schuld am Februar 1934 zu erinnern), so hat man diesmal auch in Italien versucht, den alten Gegensatz von „klerikal“ und „antiklerikal“ neu zu beleben und daraus politisches Kapital im Kampf gegen Degasperi und die von ihm geführte Koalition zu schlagen. Vor einiger Zeit hat in der „Furche“ unter dem Titel „Der Zug fährt zwar ab...“ Dr. Wilhelm Mallmann, Florenz, zu diesem Problemkreis Stellung genommen und dabei einige verali-

gemeinernde Behauptungen aufgestellt, die nicht unwidersprochen bleiben sollten.

Zunächst müssen zwei Fragen unterschieden werden, die sich im Artikel Dr. Mallmanns immer wieder überschneiden. Die eine Frage ist die nach der Stärke des religiösen Gefühls und der religiösen Praxis, sowie nach dem Rückhalt der Kirche in der italienischen Bevölkerung. Die Frage ist zur Zeit überaus schwer, ja fast unmöglich zu beantworten, da man, im Gegensatz etwa zu Deutschland und Frankreich, in Italien erst seit einigen Jahren darangegangen ist, eine systematische Religionsstatistik aufzubauen und bisher fundierte Untersuchungen nur für einzelne Gebiete (so die von P. Droulers und Rimoldi für Rom oder das mustergültige Werk von Don Aldo Leoni über die religiöse Soziologie und Geographie der Diözese von Mantua) vorliegen.

Die zweite Frage ist die nach der gegenwärtigen Stärke des „Antiklerikalismus“ in der italienischen Bevölkerung und besonders in der Intelligenz, eine Frage, die, wenn man das Sonderproblem des Kommunismus und Linkssozialismus beiseiteläßt, sich im wesentlichen auf die Frage nach dem „bürgerlichen Äntiklerikalismus“ beschränkt, mit dem sich der Artikel Dr. Mallmanns denn auch vorwiegend beschäftigt. Nun sind bei den Wahlen vom 7. Juni die drei kleinen Parteien der Liberalen, Republikaner und Sozialdemokraten, die man manchmal unter der höchst problematischen Bezeichnung „demoerazia laica“ im Gegensatz zur „demoerazia cristiana“ zusammenfaßt, die großen Verlierer gewesen; und auch die Behauptung, daß ihnen ihre ehemaligen Wähler vor allem deshalb davonliefen, weil sie durch das nun schon seit Jahren fortgeführte enge Bündnis mit der D. C. ihrem traditionellen „Antiklerikalismus“ untreu geworden wären, ist nicht stichhältig. Denn auch jene Splittergruppen, die gerade auf diese Motive spekulierten, die Listen von Corbino und Parri, haben höchst armselig abgeschnitten. Die Monarchisten Lauros aber haben nicht nur auf antiklerikale Schlagworte verzichtet, sondern sich im Gegenteil als die „besseren Katholiken“ zu empfehlen versucht als etwa die mit der „demoerazia laica“ verbündete Partei Degasperis; Lauro hat den Vorwurf der D. C, er sei ein Freimaurer, entrüstet de-

mentiert und damit zumindest gezeigt, daß er es nicht für lohnend und zweckmäßig hält, sich den Wählern als „antiklerikal“ vorzustellen.

Doch nun im Einzelnen zu Dr. Mallmanns Behauptungen.

Schon die Behauptung, daß vor 1915 die Züge in Italien nicht abfuhren, wenn unter den Passagieren ein Priester zu finden war, ist in dieser Verallgemeinerung unrichtig. Dasselbe gilt von dem Satz:

„Es ist eben eine traurige Tatsache, daß Italiens Katholiken seit über einem Jahrhundert vom geistigen Leben der Nation mehr oder weniger ausgeschlossen worden sind“,

einer Behauptung, die den vielen großen Gestalten des katholischen Geisteslebens in Italien von M a n z o n i und G i o b e r t i bis zur Gegenwart nicht gerecht wird. Aber ich

will nicht auf die Geschichte des italienischen „Antiklerikalismus“ eingehen, sondern mich auf die Gegenwart beschränken, von der der Verfasser im Nachsatz zu dem zitierten Satz sagt:

„...; leider gewinnt der Beobachter manchmal den Eindruck, daß sie (die Katholiken Italiens) sich damit abgefunden haben.“

Daß auch Katholiken Spitzenleistungen aufweisen müssen, um eine Professur an einer italienischen Universität zu erringen, ist für den italienischen Katholizismus gewiß nur ein Vorteil. Nichts würde das Ansehen der Kirche gefährlicher untergraben und schädigen, als wenn der berechtigte Eindruck entstünde, daß katholische Gelehrte ihre Lehrstühle nicht ihren wissenschaftlichen Leistungen, sondern der Förderung durch den Klerus verdanken. Zahlreiche katholische Lehranstalten, wie eben die Mailänder katholische Universität oder das von Jesuiten geleitete Erziehungsinstitut von Mondragone, in dem seit über einem Jahrhundert die Söhne der führenden Familien des Landes, des Hochadels und der Großbourgeoisie, erzogen wurden, erfreuen bzw. erfreuten sich höchsten Ansehens im ganzen Land. Als die Gesellschaft Jesu vor kurzem überraschend ihren Beschluß kundtat, Mondragone aufzulösen (nicht, weil sie dazu gezwungen worden wäre oder aus Schülermangel, sondern weil sie, angesichts der sozialen Umschichtung, der Erziehung der Söhne jener Familien nicht mehr die einstige Bedeutung zuerkennt und die geistige Elite des Lehrkörpers von Mondragone zu anderen Aufgaben benötigt), da wurde das Ende dieser hervorragenden Erziehungsanstalt auch in der „nichtkatholischen“ (wenn man diesen Ausdruck gebrauchen kann) Presse Italiens aufrichtig bedauert. Ich kann mich nicht auf die Aufzählung der Namen bedeutender italienischer Gelehrter einlassen, die „praktizierende Katholiken“ sind; doch genüge zu dem Kapitel Wissenschaft der Hinweis, daß es in einem Lande, in dem Zeitschriften, wie „La Civilta Cattolica“ und „Vita e Pensiero“ erscheinen, um das katholische Geistesleben nicht so arg bestellt sein kann.

Gehen wir zum Pressewesen über, das gerade in Italien eine so ungeheure Rolle im öffentlichen Leben spielt. Dem Ankömmling in Mailand fällt beim Verlassen des Bahnhofs sofort der neue zehnstöckige „Palazzo della

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