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Hie Weif - Hie Waiblin gen

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In dem Artikel „Der Zug fährt zwar ab“ hatte ich erwähnt, daß seit dem Kriege die italienischen Katholiken im kulturellen Leben des Landes etliche Positionen errungen haben. Dazu hat Ihr Mitarbeiter (vgl. Ist Italien „antiklerikal“ ?, „Furche“ Nr. 28) in dankenswerter Weise etliche interessante Einzelheiten des italienischen Pressewesens beleuchtet, zum Beispiel, daß heutzutage sogar der allmächtige „Corriere delja Sera“ einige Katholiken unter seinen Mitarbeitern zählt. Aber gerade diese Tatsache, die ein nüchterner Verstand als Selbstverständlichkeit betrachten würde, veranlaßt etliche Intellektuelle zu empörten Protesten; bestimmt nicht nur den hochbetagten Prof. Gaetano Salvemini, sondern auch etliche seiner aktiven Kollegen, wie Prof. Calamandrei, Prof. Luigi Russo und nicht zuletzt Professor C. A. Jemolo, Ordinarius für Kirchenrecht an der röniischen (staatlichen) Universität, der Linkskatholik Italiens (vgl. seine Bücher „Chiesa e Stato in Italia negli ultimi cento anni“, Turin/Einaudi 1949, „Italia Tormen-tata“, Bari/Laterza 1951).

Nicht bejahen kann ich des Autors Ansicht vom „Uebergewicht“ des katholischen Zeitungswesens, von dem er übrigens nur

„Italia“ und „Gazettino“ aufzählt, aber den so hart um sein Leben ringenden Bologneser „L'Avvenire d'Italia“ (Auflage 37.000) übergeht. Venetien ist immer eine katholische Hochburg gewesen, es „zu beherrschen“ ist daher für ein karholikenfreundliches Blatt nicht allzu schwer. Tageszeitungen mit „Riesenauflagen“ (über 100.000) sind in Italien nur „Corriere della Sera“, „La Stampa“ und die an vier Orten gedruckte kommunistische „Unitä“. Im ganzen hat Italien weniger Leser von Tageszeitungen als zum Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen. Die wirklichen Riesenauflagen haben die illustrierten Wochenzeitungen: diese sind auch an österreichischen Zeitungskiosken zu haben, daher kann sich auch der nichtitalienisch sprechende Leser der „Furche“ an Hand der Bilder ein Bild von diesen Blättern machen. In vollem Umfang muß ich mein Urteil über die „auch bei führenden Persönlichkeiten der Democrazia Cristiana hochangesehene Kulturzeitschrift „II Mondo“ aufrechterhalten, deren Redaktion übrigens bestimmt schwer beleidigt wäre, wollte man ihr den Titel „antiklerikales ICwnpfbtatt“ streitig machen. Passende Einzelheiten aus der letzten Nummer dieses Blattes wiederzugeben, würde dem sittlichen Niveau der gar nicht prüden

„Furche“ widersprechen, aber auf alle Fälle habe ich der Redaktion ein Exemplar zugesendet. Ueberhaupt glaube ich, daß in diesem Einzelfall der Verfasser einer Verwechslung Zum Opfer gefallen ist.

Bei der Analyse der letzten Wahlen scheint der Autor mich mißverstanden zu haben, wenn er meint, daß ich meine Betrachtungen auf den „bürgerlichen Antiklenkalismus“ beschränken wollte. Der letztere lebt im Schatten der Democrazia Cristiana, als „democrazia laica“ der drei kleinen Parteien, die so jämmerlich versagt haben. Warum haben sie versagt? Gerade weil wegen ihres antiklerikalen Getöses eine große Zahl Stimmen, besonders von jugendlichen Wählern, den Kommunisten, Nenni-Sozialisten und Neufaschisten zugefallen jind. Bei diesen drei Gruppen wird der Antiklerikalismus wenigstens ernst gemeint (,,Si fa sul serio!“). — Auf der Liste der Monarchisten kandidierten in Florenz und in etlichen anderen Städten prominente Freimaurer, eine Tatsache, die von der katholischen Presse besonders unterstrichen wurde.

Die vom Kreml gewünschte Politik des „new look“ zeigt sogar in der von mir erwähnten sienesischen Landschaft ihre Auswirkungen: Wie ein böser Spuk ist die Bürgerkriegsstimmung von gestern verschwunden; die Bauern sind auf einmal von Freundlichkeit und vom Willen zur positiven Mitarbeit erfüllt; die diesjährige Getreideernte verläuft, im Gegensatz zur vorjährigen, ohne jeden Zwischenfall. Jedoch ein immer wieder gehörter Aussprach ist leider nur allzu bezeichnend für den inneren Wert dieser auf einmal zur Schau getragenen Versöhnungsbereitschaft: „Via con i preti e via con la chiesa!“ (Weg mit den Priestern und weg mit der Kirche!) Die Meinung des Verfassers, daß es sich hier um eine im letzten Grunde christliche Sorge vor einer Wiedererstehung des fflrchenstaates („governo dei preti“) handle, kann ich in keiner Weise teilen. (Die Provinz Siena hat übrigens dem Kirchenstaat nie angehört.)

Es ist jedoch möglich, daß der obenerwähnte „slogan“ bei etlichen Grundbesitzern keineswegs auf Ablehnung stößt, besonders „weil die

Kirche ihrer eigentlichen Aufgabe, der Beruhigung und Befriedung des Volkes, untreu geworden ist“. Neulich versicherte mir ein liberaler Industrieller allen Ernstes, daß 30 {dreißig) Prozent der christlich-demokratischen Abgeordneten eigentlich Kommunisten seien. In der „guten Gesellschaft“ von Florenz hört man oft die Behauptung, daß der frühere kommunistische Bürgermeister Fabiani sein Amt besser verwaltet habe als der jetzige „weltferne“ Prof. La Pira. So sehr ich diesen mir persönlich bekannten, wirklich heiligmäßig lebenden und menschlich so gewinnenden Gelehrten schätze, so kann ich jedoch leider unmöglich Dr. Wandruszkas Ansicht von der Einstellung der „Nichtkatholiken“ zu La Pira bejahen. Es handelt sich eben um keine „Nichtkatholiken“, sondern um Katholiken, die keine Katholiken sein wollen.

Der Italien nicht gut kennende Leser von Dr. Wandruszkas Artikel könnte meinen, daß die politischen und geistigen Auseinandersetzungen in diesem Lande mit einer würdevollen Debatte im „House of Lords“ (beileibe nicht mit einer stürmischen Unterhaussitzung) verglichen werden könnten. Dieses Idyll wird nur von der in Nachhutgefechten verstrickten, stets übertreibenden und verallgemeinernden Phantasie des Dr. Mallmann aus Florenz gestört. Daher kann man sich beruhigen und dessen Ausführungen vergessen: „Tout va tres bien, Madame la Marquise! ...“

Natürlich bin ich mir bewußt, mit diesen Worten die Meinung meines Kritikers arg vereinfacht zu haben. Der Unterschied zwischen Dr. Wandruszka und mir ist wahrscheinlich folgender: Er lebt in Wien und kommt nur zu oftmaligen beruflichen und privaten Besuchen nach Italien. Hingegen lebe ich seit 21 Jahren in Florenz, habe hier studiert und bin auch mit einer Florentinerin verheiratet. Wenn ich daher auch mit vielen Einzelheiten besser vertraut sein mag, so bin ich trotzdem in gewissem Sinne „Partei“ und erreiche daher nicht den höher gelegenen Blickpunkt des Verfassers. Das soll mich aber nicht hindern, dem geschätzten Kollegen recht herzlich zu danken für die fruchtbare Diskussion, die unser „Streit“ ausgelöst hat.

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