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„Armer weißer Abfall“ haßt

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Vor fast hundert Jahren erhielten die eben emanzipierten Negersklaven ohne ihr Zutun und ohne Vorbereitung verfassungsmäßig verbriefte Bürgerrechte. Aber nach dem Abzug der Besatzungstruppen des Bundes aus den vormals rebellischen Südstaaten wurde den dortigen Negern nach und nach jede Möglichkeit genommen, ihre neuen Bürgerrechte auszuüben; von den neunziger Jahren des vorigen bis zur Mitte unseres Jahrhunderts blieben sie ohne politischen Einfluß und bekanntlich weitgehend auch ohne rechtlichen Schutz.

Die befreiten Sklaven blieben ungeschulte landwirtschaftliche Hilfsarbeiter. Bei ihrer trostlosen wirtschaftlichen Lage blieb ihre verfassungsmäßig verbriefte Emanzipation von Sklaven zu Bürgern eher eine Hoffnung für die Zukunft als tatsächliche Errungenschaft, M

Die - in der Sklaverei Geborenen konnten sich auch nicht von den „Fleischtöpfen Ägyptens" trennen, um ins Ungewisse zu ziehen. Erst aus der ersten frei geborenen Generation wanderten viele fort, und seit der Jahrhundertwende ist eine Massenwanderung von Negern aus der Plantagenzone des Südens in die Industriestädte des ganzen Landes im Gang.

Im Norden und im Westen wurden die Neger inzwischen ein Faktor in der amerikanischen Politik, und im Verein mit sympathisierenden Weißen ist es ihnen gelungen, die Führungen beider Parteien und damit die Autorität der Bundesregierung der Gleichberechtigung aller Bürger ohne Unterschied der Hautfarbe zu verpflichten.

Aber die Autorität der Bundesregierung hat relativ enge Grenzen und es gibt kaum Amerikaner, die eine Regierung mit unbeschränkter Autorität über sich wünschen. Daher spielt beim gegenwärtigen Kampf der Neger in den Südstaaten um Vollbe- rechtigung das politische Kräftespicl innerhalb des Südens eine erhebliche Rolle. Wobei sich dort vor allem die unteren Schichten der weißen Bevölkerung besonders verbissen gegen die Gleichberechtigung der Neger zur Wehr setzen.

Überzeugte Marxisten führen dies auf bewußt betriebene Irreleitung durch ..die „Bourgeoisie“ zurück, die damit — angeblich — das Proletariat spalten will. Die Marxisten sind in den USA zwar ohne politischen Einfluß, aber zahlreich unter den Intellektuellen, die sich mit der Rassenfrage befassen. Tatsächlich jedoch teilen die oberen Schichten den Rassenhaß keineswegs, und die Stellung der Neger in den Südstaaten wurde seit ihrer Befreiung aus der Sklaverei durch nichts so ungünstig beeinflußt, wie durch den Sieg der „Populist Movement"in den neunziger Jahren, den politischen Einfluß der armen weißen Landbevölkerung. Die Maßnahmen der Regierungen, welche diese Partei in den Südstaaten stellte, gingen vor allem auf Kosten der politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen’SieHung d4r;Negär, und besonders 'mif?rKosten' ihrer Schulen.

Die letzten Bürgermeisterwahlen von Atlanta, Georgia, zeugen für die Spannung zwischen den armen Weißen und den meist der ärmsten Schichte angehörenden Negern. Be: diesen Wahlen wurde der Bürgermeister von- Atlanta, ein Mann der kleinen weißen Oberschicht, mit den Stimmen der Neger wiedergewählt, während sein geschlagener Gegenkandidat die Mehrheit der weißen Stimmen aus den ärmeren Bezirken unter dem Banner „weißer Vorherrschaft“ auf sich vereinigt hatte.

Als die Staatsuniversität von Alabama auf Grund einer gerichtlichen Entscheidung eine Negerstudentin zum Studium zuließ, waren die Studenten und die Fakultät bereit, sie zu akzeptieren; Studenten, die gegen die Zulassung einen Protest einzuleiten versuchten, wurden von ihren Kollegen zurückgewiesen und von der Universität diszipliniert. Die Negerin mußte vom weiteren Besuch der Universität trotzdem absehen, da der Mob aus einer benachbarten Fabrik, von der Staatspolizei unbehelligt, auf dem Boden der Universität randalierte. Die Staatspolizei untersteht Politikern, die auf die Stimmen der ärmeren Weißen angewiesen sind.

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