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JAMES REEB / EIN TESTAMENT FÜR DIE FREIHEIT

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„Wir hatten das Gefühl, daß er auf alles gefaßt war, als er nach Selma fuhr“, sagten die Freunde des achtunddreißigjäh-rigen Unitarierpastors James Re eb, als sie erfuhren, daß der Priester im Krankenhaus von Birmingham im amerikanischen Bundesstaat Alabama seinen Verletzungen erlegen war. Wenige Tage nachdem Reeb unter den Schlägen weißer Rassegenossen zusammengebrochen war, um sich nie wieder zu erheben, richtete Präsident Johnson an den Kongreß und an das gesamte amerikanische Volk den Appell, jedem Amerikaner, ganz gleich, welcher Hautfarbe er sei, das Wahlrecht zu sichern. Wird der Kalte Bürgerkrieg zwischen Schwarz und Weiß, von den Verfechtern des Rassenhasses auf beiden Seiten mit bedenkenloser Härte geführt, an den Gräbern von Malcolm X und James Reeb in einen Waffenstillstand münden, der besseren Beziehungen den Weg bahnt, um vor allem die emotionell begründeten Barrieren zwischen den Lagern abzubauen? Dieser Aufgabe hatte der Pastor aus Wyoming sein Leben gewidmet.

Wer war überhaupt dieser James Reeb, dessen Name durch die Weltpresse ging? Noch vor kurzer Zeit hätten nur seine Freunde und Mitarbeiter und die Neger des Armenquartiers von Boston über ihn Auskunft geben können, denn das Wirken des Priesters schien keinerlei Ansatzpunkte für Publicity nach amerikanischen Maßstäben zu biete. Reeb stammte aus dem Westen der USA und graduierte 1953 am Theologischen Seminar der Prin-ceton University, einer der führenden Theologieschulen der USA. Drei Jahre später erwarb er noch einen weiteren theologischen Grad an der Temple University in Philadelphia, wo er bereits seit 1953 als unitarischer Kaplan im General Hospital tätig war.

Die Temple University liegt in einem Armenviertel Philadelphias, einem Elendsbezirk, der nun einer rigorosen Assanierung unterzogen wird. Dort, inmitten der Neger, die in diesen Straßenzügen ihre dürftigen Behausungen hatten, mag Pastor Reeb zum erstenmal unmittelbar mit dem Negerproblem im allgemeinen und besonders mit den Mißständen des Wohnungswesens bei der schwarzen Bevölkerung konfrontiert worden sein. Diese brennenden Fragen ließen ihn nicht mehr ruhen.

1959 ging er nach Washington, wo er an der dortigen Unitarierkirche zunächst als Hilfsgeistlicher und dann als Pfarrer wirkte. Im September des vorigen Jahres wandte er sich nach Boston, um dort das von den amerikanischen Quäkern finanzierte Wohnprogramm für die arme Bevölkerung zu leiten. Er richtete sich in einem vorwiegend von Negern bewohnten Viertel ein und machte sich an die Arbeit. Sein Ziel: dabei mitzuhelfen, den Negern bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Seine Taktik: „Die Leute aufzusuchen, mit ihnen zu reden und abends Gemeindeversammlungen zu besuchen. Er hatte die Gabe, sich mit den Problemen anderer Menschen zu identifizieren.“ So charakterisierte ihn seine Sekretärin.

Reeb und seine Frau lebten und arbeiteten mitten unter Negern, kannten den Alltag, die Mühen und Probleme der Andersfarbigen und fanden unter ihnen viele Freunde, die Maria Reeb zur Seite standen, als die Nachricht vom Anschlag auf ihren Mann eintraf. James Reeb hatte sich spontan zur Fahrt nach Selma entschlossen, um so wie viele andere weiße Geistliche sein Eintreten für den Kampf der Neger um ihr Wahlrecht zu dokumentieren. „Er war so erschüttert über die Vorgänge, daß er die Schläge seiner Negerbrüder auf sich nehmen wollte“, berichtete einer seiner Freunde. So betrat Pastor Reeb mit anderen weißen Geistlichen ein Negerrestaurant in Selma. Damit hatte er sich in den Augen der Rassenfanatiker selbst das Todesurteil gesprochen. Als der Bewußtlose auf dem Operationstisch lag, war es bereits zu spät. Die Polizei hatte inzwischen vier Weiße festgenommen, und der amerikanische Justizminister versprach, gegen die Schuldigen streng vorzugehen. Amerika wird James Reeb nicht vergessen.

„Sein ganzes Leben war ein Testament für den Glauben an die Freiheit des Menschen.

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