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Schwarz und weiß auf einer Schulbank

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Im Mai 1954 entschied der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, daß Rassentrennung an öffentlichen Schulen ungesetzlich sei. Damit wurde das traditionelle Schulsystem des amerikanischen Südens abgeschafft. Noch vor Erlaß der Durchführungsbestimmungen, die einen graduellen Uebergang vorsehen, führten manche de/ betroffenen Staaten die Rassenkoedukation ein, und es gab im allgemeinen auch keine ernsthaften Schwierigkeiten. Nur da und dort kam tt ru Zwischenfällen und Proteststreiks der Schüler. Von den Studentenkundgebungen an der McKinley Technical High School in Washington berichtet unser Artikel.

Dr. Charles Bish stand am Fenster seines Direktionszimmers und sah hinaus. Vor der Schule stand eine Gruppe lebhaft diskutierender und gestikulierender Studenten. Die vereinzelten Demonstrationen gegen die Aufnahme schwarzer Studenten an Schulen, die bisher nur für Weiße zugänglich waren, hatten von den Staaten Delaware und Maryland nun auch auf die Bundeshauptstadt Washington übergegriffen, und es war an mehreren Washingtoner Lehranstalten, darunter auch an seiner Schule, zu Protestkundgebungen gekommen.

Würden ernsthafte Probleme daraus ent-itehen? Dr. Bish wußte es so wenig wie die Direktoren der anderen Schulen. Es hing wohl davon ab, ob man von Seiten der Lehrerschaft der Situation Herr wurde. Vorläufig war es auch noch nicht so schlimm. An seiner Schule demonstrierten nur etwa hundert Studenten, während über tausend in Ruhe weiter die Vorlesungen und Seminare besuchten.

Dr. Bish verließ sein Büro. Wichtig war vor allem, die aufgeregten Demonstranten von der Straße weg in die Schule zu bekommen. Dann mußte man mit ihnen reden. Sehr vorsichtig reden, denn sie waren mit ihren sechzehn, siebzehn Jahren zu alt, um wie Kinder, und zu jung, um wie Erwachsene behandelt zu werden.

Er ging also hinunter und bat die Demonstranten, die Schulräume aufzusuchen. Man wolle alles in Ruhe besprechen. Sie kamen nicht gleich. Denn sie hatten ihre „Grundsätze“ und konnten nicht einfach davon abgehen. Hinter ihnen lagen Jahre des gefühlsmäßigen Wider-

Standes gegen die Gleichberechtigung des Negers, der noch ein Jahrhundert zuvor der Sklave des weißen Mannes gewesen war. Vor urteil, Aberglaube und falsche Darstellung der Tatsachen hatten sich von Generation zu Generation weitervererbt.

Dr. Bish wußte das alles und wartete. Er wartete eine ganze Stunde, während der die Studenten ein wichtiges amerikanisches Recht ausübten: das Recht, gegen eine Maßnahme zu protestieren. Dann kamen sie langsam und zögernd zu ihrem Direktor. Dr. Bish legte ihnen in aller Ruhe die Situation klar und bat sie, vernünftig zu sein. Aber sie waren starrköpfig. „Neger haben kein Recht, mit uns in die gleiche Schule zu gehen“, rief ein Student. „Gleichberechtigung wird Mischehen zur Folge haben“, sekundierte eine Schülerin.

Dr. Bish hörte ihnen besorgt zu. Vielleicht haben wir Erzieher versagt, dachte er; vielleicht haben wir sie zuwenig Toleranz gelehrt und wahrscheinlich hätten wir noch öfter das Neger-problem zur Sprache bringen sollen. Sie scheinen gar nicht zu wissen, daß nur ein Drittel aller US-Staaten bisher noch getrennte Schulen für Schwarze und Weiße hatten und daß an den übrigen Anstalten seit langem Weiße und Neger gemeinsam zur Schule gehen. Große Fortschritte waren in Sachen der Rassenverständigung schon erzielt worden, aber diese jungen Leute wollten sie nicht wahrhaben. Dr. Bish war niedergeschlagen und beinahe entmutigt.

Aber da meldete sich eine junge Studentin zu Wort/ zögernd, etwas schüchtern, aber tapfer. „Ihr werdet vielleicht nicht gern hören, was ich sagen will“, begann sie, „ich muß euren negerfeindlichen Ansichten nämlich widersprechen. Wir sollten es doch mit den Negern versuchen. Sie sind Menschen wie wir und wir müssen mit ihnen zusammenleben.“

Dr. Bishs Glaube an die Jugend begann zurückzukehren.

„tigentlich hat sie recht , sagte nach kurzem Schweigen der Vorsitzende des Schülerrates, ein Junge von siebzehn Jahren. „Probiern wir's mit ihnen ...“

Er wurde von ein paar Demonstranten unterbrochen, die noch immer johlten und pfiffen. Da griff Dr. Bish ein. Er hob die Hand, und es wurde still. „Ich möchte, daß sich alle Schüler an meiner Anstalt wohl fühlen“, sagte er, „und ich möchte euch ein guter Direktor sein. Dazu aber brauche ich eure Hilfe. Es ist ein neuer Weg, auf dem wir gehen, und es werden viele Probleme auftauchen. Aber wir müssen sie lösen. Helft mir dabei.“

Dann schlug Dr. Bish vor, ein „Komitee für Rassenprobleme“ ins Leben zu rufen, dem weiße und schwarze Mitglieder angehören sollten. Aufgabe des Komitees werde es sein, Beschwerden anzuhören und Schwierigkeiten aus der Welt zu schaffen. Die Studenten nahmen nach eingehender Beratung seinen Vorschlag an. Langsam normalisierte sich auch der Schulbetrieb wieder. In den nächsten Tagen blieben zwar noch einige Schüler aus Protest dem Unterricht fern, aber nach kurzer Zeit wurde an der McKinley-Schule wieder normal gearbeitet: mit weißen und schwarzen Schülern.

Natürlich aber gab es auch weiter geringfügige Zwischenfälle und Schwierigkeiten, denn alteingewurzelte Vorurteile werden nicht in wenigen Tagen überwunden. Aber schon in der relativ kurzen, seither vergangenen Zeitspanne sind erfreuliche Fortschritte im Zusammenleben der weißen und schwarzen Schüler festzustellen.

Am leichtesten fanden die Schüler beim Sport zueinander. Da war z. B. Jim, ein hervorragender schwarzer Fußballspieler. Sport kennt keine Rassenschranken, und es dauerte gar nicht lange, da spielte Jim im Fußballteam der Schule mit.

Kurze Zeit später begannen Volkstanzkurse an der Schule. Man einigte sich vorerst, daß alle Negerstudenten dunkelhäutige Tänzerinnen mitzubringen hätten. Inzwischen aber sind alle Teilnehmer miteinander besser bekanntgeworden, und jeder tanzt mit jedem.

Im Zuge der Rassenkoedukation wird es natürlich weiter Probleme geben — daraus macht niemand ein Hehl. Aber es werden immer weniger werden. Durch vernünftige Aussprachen, guten Willen und die Hilfe erfahrener Erzieher.

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