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War Oswald ein Meisterschütze?

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Überhaupt hat es etwas Merkwürdiges mit dieser Klassifizierung auf sich. Die Mutter Oswalds behauptet nämlich, seine ursprünglich ehrenhafte Entlassung sei, nachdem er sich in die Sowjetunion abgesetzt hatte, allerdings abgeändert worden. War Oswald wirklich ein Meisterschütze? Es scheint, daß er seit seinem Ausscheiden aus dem Marinekorps keine Gelegenheit hatte, sich in Form zu halten. Weiterhin soll er die Mordwaffe nie vorher abgefeuert haben, so daß er mit ihr unvertraut war. Auch die Behauptung, daß er auf den in seinem Wohnzimmer sitzenden General Walker, einen Führer der Rechtsradikalen, vor einigen Monaten geschossen haben soll (mit einer anderen Waffe), ohne ihn zu treffen, würde nicht für seine Zielsicherheit sprechen.

Falls diese Theorie zutrifft, muß man mit ehrfürchtigem Schaudern sagen: „Der Mensch denkt, und Gott lenkt.“

Man muß den Prozeß gegen Ruby abwarten, der im Februar stattfinden soll, bevor man sich ein besseres Urteil bilden kann. Vorläufig schaut es so aus, als ob die Ermordung Kennedys als ebenso großes Mysterium in die Geschichte eingehen wird wie die Lincolns. Bekanntlich sind sich die Historiker bis heute nicht einig, ob Booth wirklich der Anstifter war oder nur ein unbewußtes Werkzeug des Kriegsministers Stanton.

Am Rande sei vermerkt, daß die Witwe Oswalds bisher beinahe 8000 Dollar von mitleidigen Leuten erhielt, die sie als beklagenswertes Opfer ihres Mannes betrachten. Auf der anderen Seite ist es unerfreulich, berichten zu müssen, daß Rubys Anwalt sich nicht genierte, zu erklären, sein Mandant verdiene eine Medaille vom Kongreß. Die texanische Anwaltskammer soll darüber ungehalten sein, aber sich scheuen, ihn zu disziplinieren.

Rassenhaß auf beiden Seiten

Die Untat löste in gewissen südlichen Kreisen bis hinunter zu den Schulkindern Begeisterung aus. Es ist kennzeichnend, daß eine Lehrerin in Dallas, die dies offen kritisierte, diszipliniert wurde. „Der Niggerliebhaber hat erhalten, was ihm gebührte“, so und ähnlich lauteten die Kommentare der Hasser in beiden Rassen. Malcolm X, der zweite Mann in der fanatisch antiweißen Negerorganisation Black Muslims, freute sich in einer Versammlung seiner Anhänger über Kennedys Tod. Daraufhin wurde er von seinem Führer suspendiert, möglicherweise hauptsächlich deswegen, weil dieser seinen ehrgeizigen jüngeren Gefolgsmann schon lange auf seinen Platz verweisen wollte. Jedoch gibt die frapplernde Neigung der Amerikaner zur Gewalttätigkeit Anlaß zu melancholischen Betrachtungen, die einem späteren Artikel Vorbehalten bleiben müssen.

Hier sei sie nur deswegen erwähnt, weil der Haß, der ihre Vorbedingung ist, sich immer mehr auf die Beziehungen zwischen Weißen und Schwarzen auswirkt. Kurz vor dem Tode Präsident Kennedys hatte die Zeitschrift „Newsweek" eine Umfrage über die Einstellung der Weißen zu ihren farbigen Mitbürgern veröffentlicht. Es sei gleich erwähnt, daß diese Zeitschrift, politisch liberaler als die beiden anderen politischen Wochenschriften „Time“ und „United States News", in Rassenfragen objektiv ist. Die

Umfrage wurde von einem bekannten Meinungsforscher, Tonis Harris, veranstaltet.

Sie zeigte auf, daß die Vorurteile in den unteren Schichten am rabiatesten sind, was wohl auch darauf zurückzuführen ist, daß diese von der Konkurrenz der Neger für Arbeitsplätze am meisten betroffen sind. Diesen Leuten graut es, in oft bizarrer Weise, vor jedem physischen Kontakt mit Negern. Am geringsten sind die Vorurteile unter denen, die mit Negern persönlich bekannt sind. Aber auch die Letzteren sind zu 80 Prozent — gegenüber 97 Prozent im Süden, 88 Prozent im Norden — gegen rassisch gemischte Heiraten.

Im Norden wie im Süden wird die Forderung der Neger, sie, zur Kompensation für die bisherige Benachteiligung, bei der Arbeitseinstellung zu bevorzugen, empört abgelehnt. Auch wohnen will man nicht zusammen. Es wird den Negern übel genommen, daß sie Sitzstreiks veranstalten, Firmen, die nicht genügend Neger beschäftigen, boykottieren, oder aus Protest gegen Diskriminierung ins Gefängnis gehen. Es regt 94 Prozent im Süden und 91 Prozent im Norden auf, daß Neger aus Protest gegen die Diskriminierung an Bauplätzen, Ghandis Beispiel des bürgerlichen Ungehorsams folgend, sich vor Lastwagen werfen.

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