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Amerikaner wie die anderen

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Dieser Stillstand der legislativen Bemühungen zur Beseitigung der noch bestehenden rechtlichen, vor allem aber zur Bekämpfung der viel gefährlicheren, weil oft nicht faßbaren faktischen Diskriminierung hat — im Zusammenhang mit einer allgemeinen Radikalisierung — eine Schwächung der gemäßigten Bürger-rechtsorganisationen bewirkt. Dennoch entwarf Henry Lee Moon, als wir ihm in seinem nahe dem Empire State Building gelegenen Büro gegenübersaßen, ein optimistisches Bild. Mr. Moon ist Public Reiations Director der NAACP („National Association for the Advancement of Colored People“), der gemäßigsten und noch immer größten Bürgerrechtsbewegung.

„Wir stehen auf dem Boden der Verfassung. Wir sind Amerikaner wie alle anderen in diesem Lande.

Deshalb halten wir den Slogan ,black power' für mißverständlich. Nach dieser grundsätzlichen Feststellung unternimmt Moon einen Ausflug in die verschiedensten Erdteile, um darzulegen, daß rassische Gegensätze keineswegs wichtiger als Gegensätze anderer Natur sein müssen. „Die Nationalitätenfrage in Österreich-Ungarn bestand, obwohl in Österreich-Ungarn alle ,weiß' waren. Araber und Israelis führen gegeneinander Krieg, obwohl beide Seiten Semiten sind. In Nigeria sind alle Kriegführenden Neger, und die einzelnen Stämme kommen dennoch nicht miteinander aus.“ Den Vorwurf der Radikalen, die NAACP sei konservativ und verkalkt und seihe nicht, daß ihre legalen Anstrengungen den Negern keine echten Fortschritte gebracht hätten, weist Moon zurück. „Wir sind pragmatisch und reali-

stisch. Wer den Fortschritt der letzten Jahre leugnet, ist nicht realistisch. Es gibt den Fortschritt im Süden, wo wir versuchen ,die Reste der teilweise noch legalisierten Rassentrennung zu beseitigen und den Negern das Stimmrecht zu sichern. Und es gibt den Fortschritt im Norden. Noch vor zehn Jahren wäre es undenkbar gewesen, daß Massachusetts einen Neger in den US-Senat wählt — 1966 wunde jedoch Mister Brooke gewählt. Aber auch an meiner Person kann ich den Fortsehritt ermessen: In den dreißiger Jahren wolllite ich als Redakteur zur ,New York Times'. Doch damals wollte man keine Neger als Redakteure. Heute sucht man sie dort.“

Die Masse der Neger ist unigelernt, und deshalb sind vor allem sie die Leidtragenden der Automation, deshalb ist die Arbeitslosigkeit unter den Negern viel höher als unter den anderen Amerikanern. Moon sieht aus diesen Gründen in der Erziehung das, entscheidende Problem der Integration. Aber bevor die theoretisch bestehenden Chancen der Erziehung voll genützt werden können, müssen noch Barrieren übersprungen werden. Moon nannte hier eine dringende legistische Aufgabe: „Wir brauchen ein Bumdesgesetz, das auf dem Gebiet des Grundstückkaufes die Gleichberechtigung sichert. Doch die Lobby der Grundstücfemakler ist dagegen, und sie ist finanziell viel stärker als die Bürgerrechitsbewe-gung.“ Es müssen aber auch Barrieren überwunden werden, die sozial-psychologischer Natur sind: Die rassistische Überheblichkeit und die Angst der „Weißen“ vor einem Leben nicht nur neben, sondern mit den Negern; und der unterdrückte Minderwertigkeitskomplex der Neger, der oft durch besondere Radikalität überkompensiert wird.

„Black power“

Diese Radikalität wollte ich kennenlernen. Das New Yorker Büro des „Congress of Racial Equality“ (CORE), neben SNCC („Students Nonviolent Coordinating Com'itee“) und den „Black Muslims“ die aktivste Gruppe der Black-Power-Ideologie, liegt im Herzen Harlems. Schon dadurch wird der Gegensatz zur NAACP demonstriert: Das NAACP-Büro befindet sich in einer vornehmen, teuren Gegend New Yorks, CORE hat bewußt sein Büro in die Siems von Harlem verlegt. Denn nicht mehr Integration, sondern Separation, nicht mehr Gleichstellung, sondern Absonderung von den „Weißen“ ist das Programm von CORE.

Dempsey Powell, der Public Reiations Director von CORE, versuchte

uns den Sinn von „Black power“ Marzuimachen, wie ihn CORE versteht, „Black power“: Das bedeutet wirtschaftliche Macht — Mobilisierung der Macht der „schwarzen Konsumenten“; das bedeutet aber auch politische Macht — die Vertretung der US-Neger muß ausschließlich Negern vortoehalten bleiben, jede engere Verbindung mit liberalen „Weißen“ ist abzulehnen: „Black power“ hat alber auch kulturelle Bedeutung: „Die Neger müssen sich ihres rassischen Eigenwertes bewußt werden.“ Welche Auswirkungen dieser „rassische Eigenwert“ in der Praxis haben soll, darüber gab Powell nur unklar Auskunft. Vor allem weicht er einer klaren Antwort auf die Frage aus, ob COKE einen eigenen „schwarzen“ Staat, losgelöst von den USA, v/ünsche, wie es die „Black Muslims“ fordern, und. wie es auch bei der „Black-power“-Konfe-renz in Newark angeklungen ist. Es war deutlich zu sehen, daß sich Powell in diesem Punkt nicht festlegen wollte. In verschiedenen Edn-zelfragen hielt er aber seine Meinung nicht zurück: Als ich ihn nach seiner Meinung über Senator Brooke, Thurgood Marshall (Mitglied des Obersten Gerichtshofes), den stellvertretenden UN-Generalsekretär Ralph Bunche und anderen prominenten US-Negern fragte, antwortete er mit dem bösen Wort „Onkel Toms“; und den Vietnamkrieg interpretierte er als einen Krieg der „Weißen“ gegen die „Gelben“, an dem die „Schwarzen“ kein Interesse hätten — eine rassistische Auslegung, die an die Tonart verschiedener rechtsextremistischer Organe in Europa erinnert.

CORE zählt nur unter den legalen Organisationen zu den Radikalen. Im illegalen Bereich haben sich in letzter Zeit Gruppen gebildet, deren Zielsetzung weit über CORE oder SNCC hinausgeht. Vor mehreren Wochen wurden 24 Mitglieder der Negergeheimorganisation RAM

(„Revolutionary Action Movement“) verhaftet, die von China beeinflußt wird. Der Slogan von RAM ist „Kill, Baby, kill“ („Töte, Baby, töte“). Bei den Verhafteten fand man ein Maschinengewehr, etwa ein Dutzend Gewehre und 1000 Schuß Munition ...

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