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Noch radikaler

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Wie reagieren die „liberalen“ Weißen auf die Radikalisierung der Neger? Die einen werden in zunehmendem Ausmaß pessimistisch, sie glauben ihr Ziel, das auch das der gemäßigten Bürgerrechtsorganisationen ist, nämlich die Integration, in weite, fast unerreichbare Fernen gerückt zu sehen..Viele bleiben aber Optimisten. In New Orleans, in einer Stadt, die eisern an der De-facto-Segregation festhält, sprach ich mit einem Rechtsanwalt, der in vielen Punkten der typische Liberale ist. „Es braucht alles seine Zeit“, argumentierte er, „die Rassenvorurteile werden langsam verschwinden. Im Nordosten der USA gab es früher offenen Anflsamiiti'smuSi, viele Lokale lehnten Juden von vornherein ab. Heute findet man nur noch vereinzelt die eher harmlosen Aufschriften .keine koscheren Speisen'. Eine ähnliche Entwicklung muß auch die Rassentfrage nehmen.“

Das hörte ich in einer Stadt, deren Bevölkerung zu einem Drittel aus Negern besteht, in der aber erst seit kurzem die ersten Neger als Polizisten angestellt sind. In den „besseren“ Lokalen findet man Neger nur als Beschäftigte. In den öffentlichen Gebäuden von New Orleans änderte man auf den Wasch-und Toiletteräumen die Aufschriften — statt „Gerotlemen“ und „Neigraes“ kann man jetzt „male employes“ („männliche Angestellte“) und „Men“ lesen; die „Weißen“ betreten aber nach wie -vor nur die einen, 'die „Schwarzen“ nur die anderen Räume. Und wenn die Naitionalgarde von Lousiana von einer militärischen Übung nach Hause fährt, kann man noch immer die Bürgerfcriegsflagge der Koniföderierten Staaten an den Autos wehen seihen.

Die neue Linie

Die gemäßigten Negerorganisatio-nen wollen den Negern nur die volle Gleichberechtigung im Ralhmen des amerikanischen Gesellschaftssystems sichern. Die Radikalen stellen das Gesellschaftssystem als solches in Frage, ihr Ziel ist nicht die Teilnahme am System, sondern seine Überwindung. Neben den radikalen Nagerorganisationen existieren aber noch andere Bewegungen, die grundsätzlich die amerikanische Gesellschaftsordnung bekämpfen. Unter ihnen sind weniger die Kommunisten von B'edeutung; die KP führt nur ein Schattendasein„ das so “ unwichtig Ist, daß die US-Behörden dazu übergangen sind, die Partei im Gegensatz zu früheren Zeiten zu tolerieren. Interessanter und wichtiger sind die, verschiedenen Sfaden-tengruppen, die unter dem Schlagwort „New Left“, „Neue Linke“, zusammengefaßt werden. „Sit-ins“, „Teach-ins“, das Verbrennen von EinlbemfungsbefeWen und US-Flaggen hat der „Neuen Linken“ viel Publizität verschafft. Als die größte Vereinigung in diesem Bereich gelten die SDS („Students for a Demo-cratic Society“). Im New Yorker Büro der SDS am Union Square sprach ich mit Susan Enat und anderen Mitgliedern des SDS-Vorstandes.

Die SDS, die etwa 30.000 Mitglieder in den ganzen USA zählen, grenzen sich nach zwei Seiten hin ab: Sie lehnen alles das ab, was sich „liberal“ nennt — also (um die europäische Sprachregelung zu gebrauchen) die gemäßigte Linke. „Die US-Gesellschaft bietet keine Garantie zur Weiterentwicklung im demokratischen Sinn.“ Die SDS-Leute halten die Basis der amerikanischen Gesellschaftsordnung, den Kapitalismus, für nicht verbesserungsfähiig. Sie grenzen sich aber auch eindeutig gegenüber dem Marxismus ab: „Wir haben kein patentiertes Programm wie die Marxisten.“ Die „Neue Linke“ ist nicht zuletzt des- “ halb dem Marxismus gegenüber skeptisch, weil dieser in der Arbeiterklasse -die Trägerin der Revolution sieht, die amerikanische Arbeiterschaft und die Gewerkschaften . aber lals besonders stabile Stütze des US-Gesellschaftssystems gelten.

Die „Neue Linke“ ist ohne Zweifel eine interessante Gruppe im politischen Leben der USA. Man darf ihre Bedeutung jedoch nicht überschätzen. An drei Universitäten — Berkely (Kalifornien), Princeton (New Yersey) und Columbia (New York) — sprach ich mit Verantwortlichen der Urdversitätsverwalitunig. Der Tenor dieser Gespräche war: Die aktive „Neue Linke“ ist eine relativ kleine Minderheit. In der Vietnamfrage allerdings hat diese Linke einen gewissen Einfluß. An den großen Universitäten der Ost-und der Westküste löhnen an den soziallwissenschaiftlichen Abteilungen etwa 90 Prozent der Studenten Johnsons Vietnaimpolitik mit „linken“ Argumenten ab. Dieses Verhältnis ändert sich im anderen Abteilungen (vor allem in naturwissenschaftlichen) und an anderen Universitäten (an den kleineren und an den Universitäten im Landesinneren). Dennoch sind aber offensichtlich die Studenten gegenüber der Politik der Regierung kritischer als die Gesamtbevölkerung.

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