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Rebellen und Panther

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Obwohl Rebellionsbewegungen der Jugend, vor allem der Studenten, heute ein internationales Phänomen darstellen, tragen sie deutlich auch „nationale“ Züge. In Tokio hat man sehr prononciert im eigenen Kulturraum geborene Beweggründe, in London, Paris, Amsterdam, Rom, Frankfurt oder Stockholm geben jeweilige gesellschaftliche, politische oder andere in der konkreten Situation begründete Realitäten bei der Artikulation des Pro und Contra spezifische Nuancen. Die amerikanische Studentenrebellion, deren Auftreten nicht nur zu hundertfachen Zusammenstößen mit der Polizei geführt hat, sondern mehr als einmal den Einsatz der halbmilitärischen „National Guard“ der Einzelstaaten nötig machte, hat ein besonderes Profil dadurch gewonnen, daß sich in ihr wie auch in außerakademischen Bezirken in Ergänzung der Forderungen nach Schul- und Hochschulreformen Tendenzen der alten Zlvilrechtsbewe-gung und der pazifistischen, sozialistischen Bewegungen mit der Mi-litanz der „Black-Power“-Impulse vermischen.

Da es der „New Left“ in den USA wie den „Linksradikalen“ in so gut wie allen Ländern — Frankreich ist eine gewisse Ausnahme — nicht gelungen ist, die organisierte Arbeiterschaft als Bundesgenossen zu gewinnen, versucht man an allen Colleges und Universitäten, die teilweise Sympathie an Hochschulfakultäten, in kirchlichen Kreisen und bei radikal-liberalen Intellektuellen zahlenmäßig dadurch zu ergänzen, daß man sich Forderungen der zweiten Welle der Bürgerrechtsbewegung zu eigen machte und die „Afro-Amerikaner“ zu einer Art Koalition gewann. Der SDS (Students for a Democratic Society), die Spitzengruppe der weißen Rebellen, unterstützt fast überall die weitgehendsten Ultimaten der in der „Black Panther Party“ ihren konsequentesten Vertreter findenden schwarzen Rebellen.

Gelegentlich erweisen sie sich sogar bei „Verhandlungen“ mit Autoritäten als weit unnachgiebiger als die Repräsentanten ihrer farbigen Brüder. Vietnam und Sozialismus treten dabei manchmal hinter schul- und hochschulpolitischen Protesten zurück.

Die NACP (National Association of Colored People) hat jahrzehntelang für die juristische Gleichstellung der farbigen Bevölkerung gekämpft. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über gleiche und gemeinsame Erziehung weißer und farbiger Schüler war letztlich ihr Triumph.

Aber hier begann ein Bruch: vieles „Erreichte“ blieb Papier oder verlangte Geduld, bis es sich auswirkte. Die jüngeren Aktivisten wandten sich gradweise von der gewaltlosen Widerstandslösung ab. Es formierten sich neue farbige Kader. Der später ermordete Malcolm X verließ die — religiös-phantastisch ausgerichtete — „Black-Muslim“-Bewegung ebenso wie Eldridge Cleaver. Cleaver ging zu den „Schwarzen Panthern“ ebenso wie der ehemalige Führer der „Students Non Violence Coordination Com-mitee“, StotteleyCarmichael: Gewaltanwendung, zuerst als Abwehr, später als berechtigter Gegenangriff, wurde akzeptiert — und bald praktiziert. Martin Luther King hatte eine Brücke zur weißen Anti-Vietnam-Bewegung geschlagen, als er sein Zielbild ausweitete und die Far-bigenselbstwehr mit den andersfarbigen Friedenskämpfern verband. Nach seiner Ermordung wurde sein Name bei den weißen Rebellen ebenso wie die von Mao, Ohe Guevara, Castro ein gemeinsamer Besitz, als Sozialisten den einen, als Farbige den andern Symbole des Aufstandes gegen alle Unterdrückung. Die Hinwendung des „Radikalismus“ in der weißen Intelligenz zu den schwarzen Extremisten isolierte diese dabei immer mehr von den reformistisch abgestempelten Liberalen der alten Schule.

Der amerikanische Liberalismus hat den „Wohlfahrtsstaat“ geschaffen. Er hat viel für die Gleichberechtigungsforderungen der schwarzen Amerikaner getan. Er half der NACP für lange Jahre; nicht zuletzt jüdische Intellektuelle, die ihm zugehörten.

Aber der Nachwuchs zögerte, die Reihen aufzufüllen. Mannigfache Einflüsse der „subculture“, die sich unter jungen Amerikanern herauszubilden begann — die „Under-ground“-Presse, die „Hippies“, Stilveränderungen in Lebensweise und moralischen Leitsätzen sind Formen der hier zum Vorschein kommenden psychologischen Unruhe —, wirkten dabei mit, alte Dogmen in Frage zu stellen.

So entwickeln sich Schritt für Schritt die Protestler in der weißen Jugend zu Mitkämpfern der farbigen Resistance gegen die weiße Gesellschaft, und „Black Power“ wird ein Bestandteil allgemein sozialer und politischer Opposition, das ursprüngliche Ziel einer reinen Negerbewegung ausweitend.

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