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Wer gegen uns ist, ist Kommunist

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Die Stadt Boulder hat 3800 Einwohner und liegt 1600 Meter hoch zwischen Felsengebirge und der unendlichen Ebene des mittleren Westens. Schnell gelangt man in die Berge. Grüne Täler, liebliche Almen und Forellenbäche darf man freilich nicht erwarten. Statt Edelweiß findet inan Staub.

Boulder besitzt unter anderem ein recht gutes Amateurtheater und ein Restaurant „Zur blauen Donau“, das einem ehemaligen Tschechen gehört und dessen Gulasch mit Nockerln auch in Wien Anklang fände.

Doch was bewegt die Menschen? Man streitet sich in Boulder über die Weihnachtsfeiern in den staatlichen Schulen sowie darüber, ob die Universität Bestrebungen fördert, die auf eine „Weltregierung“ hinauslaufen. Ob einzelne Mitglieder der Schulaufsichtsbehörde, die öffentlich gewählt wird, gefährlich links stehen. Ob die Stadtbibliothek umstürzlerische Werke verbreitet. Ob „unamerikanische“ und „sozialistische“ Lehrbücher in den Schulen benützt werden und so weiter.

Um den Streit über die Weihnachtsfeiern zu verstehen, muß man sich vor Augen halten, daß die Simultanschule hier als Ideal angesehen wird, wenn auch nicht von den Katholiken, die ihre Kinder größtenteils in kirchliche Schulen schicken. Da Kirche und Staat streng getrennt sind, sind religiöse Feiern in den Simultanschulen verpönt. In den Schulen von Boulder begannen die Weihnachtsfeiern nun einen „religiösen“, das heißt katholischen Anstrich zu erhalten. Ein Universitätsprofessor wurde gemeinsam mit Vertretern der anderen Konfessionen bei der Schulaufsichtsbehörde vorstellig. Diese hielt daraufhin den Lehrer an, „die sichtbaren Anzeichen sektiererischer Symbole“ bei den Feiern auszumerzen.

Darauf folgte zuerst eine Massen- arotestversammlung, darnach ein Rattenschwanz von Prozessen gegen lia:.Schulbehörde und schli jjęji ag, erbitterter Wahlkatnpf bei. .4sh päch- sie Wahlen.

Die Mitglieder der Schulbehörde, .inter ihnen einige sehr wohlhabende Leute, deren Loyalität bis dahin von niemandem bezweifelt worden war, wurden verdächtigt, wenn nicht ganze Kommunisten, so doch kommunistenfreundlich zu sein.

Kriegerische „Töchter“

Ein anderer Fall. Die „Foreign Policy Association", das heißt „Ver- rinigung für Außenpolitik“, fördert tin Programm des Studiums und der Diskussion außenpolitischer Probleme. Die „Töchter der amerikanischen Revolution“ (die ihre Mutter schon .ange verleugnen) sowie die ebenfalls seit jeher reaktionäre „American Legion“, die größte Veteranenvereini- gung, betrachten dieses Programm mit Mißtrauen. Obwohl es von Eisen- aower, Nixon und anderen Republikanern begünstigt wurde, mußte sich die Stadtbibliothek von Boulder, welche das Studienmaterial verteilte, len Vorwurf gefallen lassen, dem Kommunismus Vorschub zu leisten.

Was die Universitäten betrifft — sie rind schon deshalb eine lohnende Zielscheibe, weil Kritik an ihnen immer tin lautes Echo in der öffentlichen Meinung findet. Die Intellektuellen, spöttisch „eggheads“ (Eierköpfe) genannt, waren stets Außenseiter in einem Lande, das den Geschäftsmann and den Athleten am höchsten einschätzte. Wenn eine Universität noch dazu den Mut hat, ehemalige Kommunisten anzustellen, gibt sie dem Mißtrauen gegen die Intellektuellen einen Auftrieb, den man sich diesseits des Atlantik kaum vorstellen kann.

Die Universität Boulder hat gleich zwei frühere Kommunisten unter ihren Lehrern, einen Physiker, der bis 1941 Mitglied der KP war, und einen Philosophen, der sich drei Jahre später von ihr trennte. Diese beiden „bekehrten Sünder" bilden den willkommenen Anlaß, von einem „Klüngel kommunistisch angehauchter Liberaler an der Universität zu sprechen.

Als die Universität eine „Woche der Vereinten Nationen“ abhielt, offenbarte eine ältliche Grundstückmaklerin im Lokalblatt in einer bezahlten Anzeige ihre Meinung, wonach „die Russen über die Veranstaltung jubelten". Die Dame ist mit solchen Annoncen sehr freigiebig und betrachtet eine Broschüre, in welcher der BAC, der Beirat der Geschäftsleute im Handelsministerium, an die Stelle der Weisen von Zion gesetzt wird, als ihre politische Fibel. Der BAC, heißt es dort, habe nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in der Sowjetunion bereits die Macht in Händen and strebe eine Weltregierung an, .unter welcher der Regierung alles und len internationalen Bankiers die Regierung gehören soll“. Mittlerweile hat rieh der BAC aufgelöst, weil er mit Kennedys Regierung nicht auskam.

Zu den einflußreichsten „Rettern Amerikas vor dem Kommunismus“ gehört in Boulder ein Mister Pattison, früherer Ölindustrieller, mit seiner Frau. Sie gründeten einen Klub mit dem Namen „Rettet Amerika verfassungsmäßig", der sich in einigen Orten

Colorados ausbreitet. Die Schulbücher erregen den besonderen Argwohn der Pattisons, sie erscheinen ihnen zu „international“ und „sozialistisch“. Populärster Programmpunkt: Abschaffung der Einkommensteuer. Die Gleichberechtigung der Neger wird mit Abscheu verworfen. Einer ihrer verehrten „Helden“ ist jener General Walker, der gemaßregelt wurde, weil er in Deutschland seine Soldaten im Sinn der „John-Birch-Gesellschaft“ beeinflußte. Das Kriegsministerium geht jetzt endlich energisch gegen solche Offiziere vor.

Die Stadt Boulder in Colorado besitzt allerdings etwas, was nicht jede kleinere amerikanische Stadt, in der sich Reaktionäre aller Schattierungen in bunter Sektenkostümierung tummeln, hat: eine Universität, welche die Freiheit der Forschung konsequent hochhält, deren Professoren sich wei ter als anderswo vorwagen, um das zu verteidigen, was sie unter Freiheit verstehen — damit bietet die Universität von Boulder den Reaktionären besonders große Angriffsflächen.

Boulder ist „ein Mikrokosmos, der Gelegenheit bietet, den Wiederaufschwung eines kämpferischen Konservativismus rechten Flügels im amerikanischen Leben zu studieren“, schrieb die angesehene „Denver Post“, die in der 40 Kilometer von Boulder entfernten Hauptstadt des Staates Colorado erscheint.

„Konservativismus des rechten Flügels“ ᾠ Hierzulande wurde bisher keine Abgrenzung der Begriffe konservativ und reaktionär vorgenommen. Mit einem Hinweis auf „Webster’s Dictionary“, den amerikanischen Duden, der konservativ mit Bewahrung des Status quo gleichsetzt, weigerte sich die angesehenste Zeitung Amerikas, die „New York Times“, Senator Goldwater, Führer der „Ultrakonservativen“, als „Reaktionär“ zu bezeichnen. Dies würde ein „Vorurteil gegen ihn“ beweisen.

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