Hausfassade Rassismus Entwicklung - © Foto: picturedesk.com / action press

Benjamin Opratko über die Entwicklung von Rassismus: Die dreifache Verdrängung

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Von der Natur- zur Kulturtheorie, über den Nationalsozialismus als unüberwindbaren Grad, zu Antidiskriminierungs-Bewegungen: Rassismusforscher Benjamin Opratko im Interview.

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Von der Natur- zur Kulturtheorie, über den Nationalsozialismus als unüberwindbaren Grad, zu Antidiskriminierungs-Bewegungen: Rassismusforscher Benjamin Opratko im Interview.

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Benjamin Opratko ist Rassismusforscher an der Universität Wien. Mit der FURCHE spricht er über die Entwicklung der Rassismus-Debatte und den Einfluss der NS-Zeit auf Rassismus im deutschsprachigen Raum.

DIE FURCHE: Wie hat sich die Debatte um den Begriff Rassismus entwickelt?
Benjamin Opratko:
Bis in die 1960er Jahre verstand man unter Rassismus meist biologisch argumentierende Rassentheorien, also die Behauptung, es existierten unterschiedliche Menschenrassen mit je eigenen Eigenschaften. Biologische Rassentheorien waren nach dem Holocaust zunehmend desavouiert und wurden in den Nachkriegsjahrzehnten weiter zurückgedrängt, durch antikoloniale Bewegungen, auch durch die Intervention von Naturwissenschaftlern. Die rassistische Diskriminierung wurde dadurch aber nicht weniger. Man stellte also fest, dass Rassismus nicht auf biologische Erklärungsmuster angewiesen sein muss. Im rassistischen Diskurs konnte zum Beispiel auch „Kultur“ so funktionieren wie „Natur“: Statt einer bestimmten Menschenrasse wurden einer bestimmten „Kultur“ wesenhafte, negative Eigenschaften zugeschrieben.

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DIE FURCHE: Worum ging es dabei?
Opratko:
Den kulturellen Formen des Rassismus geht es wie den biologischen um Reinheit. Sie behaupten: So lange die unterschiedlichen Kulturen alle an „ihrem“ Platz blieben, gäbe es kein Problem. Der französische Rassismusforscher Étienne Balibar nannte das „Rassismus zweiter Ordnung“. Demnach gibt man zwar zu, dass es Rassismus gibt, das liege aber daran, dass zu viele Kulturfremde „bei uns“ seien und darauf reagiere die kulturelle Mehrheit mit Abwehr. Um das zu verhindern, müsse man aufhalten, dass Leute herkommen oder man müsse sie eben hinauswerfen. In der reinsten Variante ist das die Position des sogenannten Ethnopluralismus. Diese Form des Rassismus sehen wir in der österreichischen Politik häufig.

DIE FURCHE: Wie sieht die Entwicklung speziell im deutschsprachigen Raum aus, auch in Bezug auf die NS-Vergangenheit?
Opratko:
Im deutschsprachigen Raum gab es eine dreifache Verdrängung des Rassismus-Begriffs. Einerseits hat man ihn historisch verdrängt. Rassismus wurde lange gleichgesetzt mit dem Vernichtungs-Antisemitismus der Nazis. Dieser galt als Referenzpunkt, der als historisches Phänomen, das hinter uns liegt, gesehen wurde. Die zweite Verdrängung fand geographisch statt: Rassismus wäre nur ein Problem in Ländern wie den USA oder Großbritannien, also den Kernländern des transatlantischen Sklavenhandels. Und drittens gibt es die soziale Verdrängung, wenn Rassismus zwar als gegenwärtiges Problem anerkannt wird, das aber an sozialen und politischen Rändern verortet wird, bei Neonazis, Jugendgangs oder vielleicht noch Burschenschaften. Dass Rassismus ein prägendes gesellschaftliches Verhältnis der eigenen Gegenwart ist, diese Erkenntnis setzt sich erst langsam durch.

Rassismus wurde lange gleichgesetzt mit dem Vernichtungs-Antisemitismus der Nazis. Dieser galt als Referenzpunkt, der als historisches Phänomen gesehen wurde.

DIE FURCHE: Trotz Verdrängung war Rassismus aber doch auch nach der NS-Zeit Realität?
Opratko:
Ja, aber man hatte oft keinen Begriff dafür. In den 1980er und 1990er Jahren, mit dem Aufstieg der FPÖ und den rassistischen Pogromen im wiedervereinigten Deutschland, suchten Politik und Medien fieberhaft nach Begriffen, um nicht „Rassismus“ sagen zu müssen. Durch den Nationalsozialismus wurde eine fast unmöglich zu erreichende Latte gelegt, damit etwas als rassistisch benannt werden kann. Damals tauchten „Fremdenfeindlichkeit“ oder „Ausländerfeindlicheit“ als Begriffe auf.

DIE FURCHE: Hat Österreichs Vergangenheit als Vielvölkerstaat Bedeutung für die Einstellung gegenüber anderen Nationalitäten?
Opratko
: Es gibt einen nostalgisch-verklärenden Blick auf das Habsburgerreich als Vielvölkerstaat. Der spielte auch im 20. Jahrhundert noch eine Rolle. Nach dem Ungarnaufstand 1956 zum Beispiel, als sich Österreicher dem ungarischen Volk gegenüber nahe gefühlt haben und großzügiger waren. Ein anderer interessanter Aspekt ist, was der österreichische Anthropologe Andre Gingrich als „Grenzlandorientalismus“ bezeichnet hat. Die koloniale Unterwerfung weiter Teile der Welt hatte dazu geführt, dass so etwas wie „der Orient“ erfunden wurde – wobei eine Vermischung von rassistischer Abwertung und exotischer Faszination besteht, die bis heute nachwirkt. Edward Said nannte das „Orientalismus“.

Die These von Gingrich besagt, dass hierzulande der Kontakt mit dem Orient vor allem durch die Türkenbelagerungen stattgefunden hat. Die Stereotype über den Islam in dieser Region Europas sind deshalb weniger von Exotismus und Haremsgeschichten geprägt, sondern haben eher den Aspekt, dass der Islam etwas Gefährliches ist. Das ist eine historische Besonderheit, die in Österreich politisch immer wieder aufgerufen werden konnte. Die FPÖ hat schon in den 1990ern mit Warnungen vor der „Dritten Türkenbelagerung“ Politik gemacht.

DIE FURCHE: Aktuell sind zwei Strömungen feststellbar: Einerseits verschiebt sich der Diskurs des Sagbaren nach rechts, gleichzeitig gibt es eine Gruppe, die Sprache akribisch auf potentielle diskriminierende Hintergründe analysiert. Wie passt das zusammen?
Opratko:
Manche würden sagen, das Eine ist eine Reaktion auf das Andere: Da gebe es diese fanatischen, engstirnigen Antirassisten, die wollen uns die Kinderbücher, das Zigeunerschnitzel und den Meinl-Mohren wegnehmen. Darauf würde die Gesellschaft dann trotzig mit „Jetzt erst recht!“ reagieren und rechts werden. Das ist aus meiner Sicht eine falsche Darstellung. Ich glaube, die Gleichzeitigkeit verweist auf eine Polarisierung der Gesellschaft. Diese kommt auch daher, dass Menschen, die von Rassismus betroffen sind, gesellschaftliches Selbstbewusstsein entwickeln.

Die Kinder und Enkel von Zugewanderten verstehen sich als Österreicher, sie machen Matura, werden erfolgreiche Geschäftsleute, gehen auf die Uni oder organisieren sich politisch. Und sie sind in der Lage, die Verletzungen, die Rassismus ihnen zufügt, an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie finden Verbündete und über soziale Medien Kanäle, um ihre Erfahrungen mit Rassismus zur Sprache zu bringen. Auf der anderen Seite hat man eine globale autoritäre Wende, oder einen Rechtsrutsch, der vielfältige Ursachen hat. Der betrifft nicht nur die Verschiebung des Sagbaren, sondern ist materielle politische Praxis. Die Menschenrechte werden ja ganz praktisch verletzt. Wenn jedes Jahr mehrere tausend Menschen im Mittelmeer sterben beim Versuch, nach Europa zu gelangen, ist das die praktische Aufhebung der Menschenrechte. Die Brutalität der Politik und das, was der Sozialpsychologe Wilhelm Heitmeyer die „Verrohung des Bürgertums“ nennt, gehen Hand in Hand mit den Kämpfen darum, wie der Alltag gestaltet werden soll, wie sich Sprache verändern soll usw.

DIE FURCHE: Was braucht es, dass Rassismus als solcher anerkannt wird bzw. um erfolgreich dagegen vorzugehen?
Opratko:
In erster Linie braucht es die Aktivität von Leuten, die von Diskriminierung betroffen sind. Von alleine und aus der Mehrheitsgesellschaft passiert das meistens nicht. Wenn man sich ansieht, welche antirassistischen Bewegungen historisch besonders effektiv waren, waren diese zudem immer verbunden mit einer Perspektive der Allianzenbildung. Also eine Perspektive, die Verbündete sucht, über die Grenzen, die der Rassismus schafft, hinweg. Zum Beispiel die Bürgerrechtsbewegung in den USA, die Anti-Apartheitsbewegung in Südafrika, ein Stück weit auch die antirassistischen Bewegungen in Deutschland: Sie haben es geschafft, das Phänomen Rassismus nicht zu isolieren, sondern im Zusammenhang mit anderen Unterdrückungs-, Ausbeutungs- oder Machtverhältnissen zu sehen.

Fakt

Von Schwarz und Weiß

In diesem Artikel werden die Begriffe „Schwarz“ und „Weiß“ groß geschrieben, um darauf hinzuweisen, dass sich die Bezeichnungen nicht auf reelle Hautfarben oder biologische Eigenschaften beziehen. „Weiß“ soll demnach auf soziale, politische und kulturelle Privilegien von Menschen hinweisen, die Rassismus nicht ausgesetzt sind, „Schwarz“ darauf, dass Menschen durch geteilte Rassismus-Erfahrungen verbunden sind und auf eine bestimme Art von der Gesellschaft wahrgenommen werden.

Rassismusforscher Benjamin Opratko - © Foto: Reinhard Lang

Benjamin Opratko

Benjamin Opratko ist Rassismusforscher an der Universität Wien.

Benjamin Opratko ist Rassismusforscher an der Universität Wien.

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