"Eine Machtverschiebung im Privaten"

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Die Wiener Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer über den Gender-Hintergrund des Rechtsrucks in Europa, die Unsicherheit der Männer und warum Frauen in der Bundesregierung nicht unbedingt ein Indiz für mehr Gleichstellung sein müssen.

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Die Wiener Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer über den Gender-Hintergrund des Rechtsrucks in Europa, die Unsicherheit der Männer und warum Frauen in der Bundesregierung nicht unbedingt ein Indiz für mehr Gleichstellung sein müssen.

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Italiens Regierung sperrte Häfen für Rettungsboote, hierzulande gilt die "Österreich-zuerst-Klausel". Nach der Erfolgswelle von rechtspopulistischen Parteien in Europa bei Wahlgängen wurde der Rechtsruck während der vergangenen Monate auch im Alltag sichtbar. Gebetsmühlenartig werden als Gründe immer wieder "die Angst vor Terrorismus","die Flüchtlingskrise" oder "die Unzufriedenheit mit politischen Eliten" genannt. Erklärungsversuche, die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer nicht weit genug gehen. Sie begründet die Erfolge rechter Bewegungen auch mit veränderten Geschlechterverhältnissen. Ein Interview über "Männer in der Krise", weibliche Vorgesetzte - und Alibi-Frauen in der FPÖ.

DIE FURCHE: Wie hängt die politische Lage mit den Geschlechterverhältnissen zusammen?

Birgit Sauer: Wenn das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zur Verunsicherung vor allem bei Männern führt und dann der Wunsch nach Wiederherstellung einer -vermeintlich -heilen Welt entsteht, dann fühlen sich nicht wenige von Parteien angesprochen, die genau das versprechen.

DIE FURCHE: Warum führen die derzeitigen Geschlechterverhältnisse überhaupt zur Verunsicherung bei Teilen der männlichen Bevölkerung?

Sauer: Weil es eine Diskrepanz gibt zwischen gelebtem bzw. lebbarem Alltag und gesamtgesellschaftlicher Entwicklung.

Österreich ist dafür ein klassisches Beispiel. Die Vorstellung, dass Frauen für Heim und Kinder zuständig sind und der Mann das Geld nach Hause bringt, ist hier noch weit verbreitet und in den Köpfen der Menschen fest verankert. Im Übrigen ist dies auch politisch und rechtlich abgesichert. Das Sozialsystem ist auf den männlichen Familienernährer ausgerichtet. Gerade im ländlichen Bereich muss aufgrund von fehlenden Kinderbetreuungsangeboten ein Elternteil auf Erwerbsarbeit verzichten, in der Regel ist das die Frau.

Auf der anderen Seite haben sich in Österreich, vor allem nach dem EU-Beitritt, in puncto Gleichstellung viele Dinge verändert, verändern müssen. Immer mehr Frauen sind erwerbstätig und ihr Bildungsniveau wurde schon seit den 1970er-Jahren immer besser. In den Führungsetagen sitzen Frauen, zwar noch zu wenige, aber immerhin. Und so mancher Mann hat bereits eine weibliche Vorgesetzte oder eine Partnerin, die besser verdient als er.

Diese Entwicklung wiederum führt in einigen Milieus zu Verunsicherung von Männern. Schließlich gerät die männliche Rolle ins Wanken, zumindest die Vorstellung davon. Es geht ja auch darum, wie man sozialisiert wurde. Und diese Veränderung kann am Selbstwertgefühl kratzen, Versagensängste sind die Folge, wenn ein Mann z. B. die Ernährerrolle nicht einnehmen kann. Ein Akteur der AfD in Deutschland hat das einmal die "Krise der Männlichkeit" genannt.

DIE FURCHE: Im Umkehrschluss würde das ja bedeuten, dass es vielen Männern lieber wäre, wenn wir wieder zur traditionellen Kleinfamilie mit der klassischen Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau zurückkehren würden ...

Sauer: Zurückkehren müssen wir gar nicht. Ein Großteil der Menschen in Österreich lebt dieses Modell. Aber der öffentliche Diskurs zu Gender, Gleichberechtigung oder Frauenquoten stellt dieses Modell ernsthaft in Frage. Und das wirkt auf einige extrem bedrohlich. Man darf nicht vergessen: Mit der gesellschaftlichen Gleichstellung der Geschlechter geht auch eine Machtverschiebung im privaten Bereich einher.

DIE FURCHE: Und diese Verunsicherung nutzen Rechtspopulisten für ihre Zwecke?

Sauer: Ja. Sie versprechen, diese "Krise der Männlichkeit" zu lösen. Die FPÖ hat beispielsweise in ihrem Programm verankert, dass in Österreich die traditionelle Kleinfamilie als Idealform geschützt werden muss.

Die dänische Volkspartei, die AfD in Deutschland, der Front National in Frankreich, Viktor Orbán in Ungarn - anti-feministische Einstellungen sind bei allen europäischen Rechtspopulisten zu finden.

DIE FURCHE: Halten Sie eigentlich die türkise ÖVP auch für eine rechtspopulistische Partei?

Sauer: Seit Kurz an der Spitze der Partei steht, wird ganz klar ein rechtspopulistischer Kurs gefahren. Eine rechtspopulistische Partei arbeitet immer mit Ausgrenzungspolitik, mit der Diktion "Wir gegen die Anderen". Das kann das Establishment sein, FeministInnen, Homosexuelle oder eben Ausländer. Kurz arbeitet eindeutig mit diesen Gegensatzmustern.

Populus heißt ja das Volk. Und Rechtspopulisten haben eine Idee vom Volk, das sie herstellen wollen -ein homogenes, reines Volk (z. B. der Österreicher).

DIE FURCHE: Ihrer These nach müsste jeder männliche FPÖ-und jeder ÖVP-Wähler in der Krise stecken.

Sauer: Gerade in puncto Gleichstellung würde ich hier tatsächlich die ÖVP herausnehmen, weil es dort auch eine lange Tradition des Frauenbundes gibt. Die machen gehörig Druck. Bei den Freiheitlichen gibt es Derartiges nicht. Aber schauen wir uns an, wer die FPÖ wählt. Die Wähler kamen 2017 zu 59 Prozent aus dem klassischen Arbeitermilieu. Damit sind Personen gemeint, deren Schulabschluss unter Maturaniveau liegt. Und gerade in diesem Milieu ist die klassische Rollenverteilung tief verankert.

DIE FURCHE: Was ist mit den FPÖ-Wählerinnen? Warum stimmen Frauen für eine Partei, die von Gleichstellung nichts hält?

Sauer: Umfragen zeigen, dass dies damit zu tun hat, was PolitikwissenschaftlerInnen die "soziale Krise" nennen. Gemeint ist eine Veränderung in der Gesellschaft. Es geht um die reale Bedrohung - vor allem der Mittelschicht -durch Arbeitslosigkeit, die Wohnungsfrage, den Abbau des Sozialstaates. Und darauf haben Rechtspopulisten eine Antwort: Schuld sind die Migranten und Geflüchteten. Und das spricht auch Frauen an. Ein gutes Beispiel dafür ist die vergangene US-Wahl. Trump äußerte sich im Wahlkampf frauenfeindlich und sexistisch, hat aber gleichzeitig versprochen die "soziale Krise" zu lösen. Die Mehrheit der weißen Frauen hat ihn gewählt.

DIE FURCHE: Könnte es nicht auch sein, dass manche Frauen tatsächlich lieber Hausfrau und Mutter sind und gar keine Karriere machen wollen?

Sauer: Ja, natürlich. Innerhalb des traditionellen Familienmodells wurden schließlich nicht nur Männer sozialisiert. Aber diese Frauen realisieren nicht, dass sie dafür "bestraft" werden. Stichwort Altersarmut. Das ist eine Form von massiver Frauen-Diskriminierung.

DIE FURCHE: Trotzdem tauchen auch innerhalb rechter Bewegungen und Parteien immer wieder Frauen als Akteurinnen auf, wie etwa Marlene Svazek von der Salzburger FPÖ.

Sauer: In der FPÖ spielt meiner Meinung nach keine einzige Frau eine bedeutende Rolle. Auch Svazek nicht. Strache hat die Burschenschafter in Position gebracht und viele Männer um sich geschart. Ja, er hat ein paar Quereinsteigerinnen dazu geholt, um sich die weibliche Fassade zu geben. Das ist nicht mehr als eine Alibi-Funktion. Bei neueren rechten Parteien wie der AfD in Deutschland oder der dänischen Volkspartei ist es dagegen eine Strategie, Frauen aufzustellen und einzubinden. Damit soll der Teil der weiblichen Wählerschaft erhöht werden.

DIE FURCHE: Muss die FPÖ langfristig in puncto Gleichstellung umdenken, um erfolgreich zu bleiben?

Sauer: Was die FPÖ angeht, bin ich sehr skeptisch. Ich bezweifle, dass diese Partei zur Modernisierung bereit ist. Vielleicht kann sie mit dem Anti-Islam-Kurs ohnehin noch eine Weile weitersegeln.

Die Frau in der Familie

Sechs Frauen gehören dem Kabinett Kurz an, darunter auch von der FPÖ nominierte, etwa Außenministerin Kneissl oder Hartinger-Klein (5. und 6. v. l.). Für Sauer haben sie nicht mehr als Alibifunktionen. Die wichtigen Posten, meint sie, hätten die Burschenschafter besetzt.

Birgit Sauer

Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Schwerpunkt: Governance und Geschlecht; Vize-Leiter im Doktoratsstudienpro gramm, Fakultät für Sozialwissenschaften; Vize-Sprecherin beim Forschungsverbund "Gender and Agency".

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