
Sexualerziehung zwischen Weltanschauung und Dilettantismus
ÖVP und FPÖ wollen Sexualpädagogik durch externe Vereine an Schulen verbieten. Diesen Mittwoch wurde darüber im Nationalrat abgestimmt. Warum ein solches Verbot ein Drama ist. Ein GASTKOMMENTAR.
ÖVP und FPÖ wollen Sexualpädagogik durch externe Vereine an Schulen verbieten. Diesen Mittwoch wurde darüber im Nationalrat abgestimmt. Warum ein solches Verbot ein Drama ist. Ein GASTKOMMENTAR.
Sexualpädagogik ist ein schwieriges Geschäft – erst recht in der Schule: nicht, weil es um nach wie vor „tabuisierte“ Inhalte geht; auch nicht wegen Interventionen besorgter Eltern, die ihre Kinder vor angeblicher „Frühsexualisierung“, amoralischer Indoktrination usw. schützen wollen. Der Hauptgrund scheint mir hingegen zu sein – nach Jahrzehnten professioneller Befassung mit Sexualität –, dass es kaum wirkliche Fachkräfte gibt und der Sexus mittels dilettantischer Aufgeregtheit schon gar nicht pädagogisch zu fassen ist. Seit dem ersten ministeriellen Grundsatzerlass zur schulischen Sexualerziehung im Jahr 1970 verfolge ich diese – fruchtlosen – Debatten. Fast alle mehr oder weniger seriösen Akteure stimmen auch heute zu, dass die „Sexualpädagogik (…) altersgerecht, an der Lebensrealität von Kindern und jungen Menschen orientiert sein und auf wissenschaftlich gestützten Informationen basieren (soll). Sie soll einen positiven Zugang zur menschlichen Sexualität darstellen“ und „eine positive Grundhaltung“ und „das eigene Wohlbefinden“ fördern. (BMBWF-Erlass 2018, S.4) Zugleich soll das „Prinzip der Gleichstellung der Geschlechter“ und die „Vielfalt der Lebensformen (z. B. sexuelle Orientierung, Geschlechteridentitäten)“ beachtet werden. Hier beginnen sich die Geister aber zu scheiden, weil konservative Kräfte dadurch die Heterosexualität und die klassische Ehe gefährdet sehen.
Überall Fachleute
Dabei ist diese Debatte durch drei Grundprobleme gekennzeichnet:
1) Jede und jede ist Sexualpädagoge/in
Selten findet man in einem humanwissenschaftlichen Gegenstandsbereich so viele „Experten“ ohne jegliche fachliche Expertise! Im Institut für Ehe und Familie der Bischofskonferenz etwa oder – noch krasser – in den Lehrendenteams für Sexualpädagogik an der Hochschule Heiligenkreuz finden sich so gut wie keine sexualpädagogisch ausgewie- senen Fachleute: Sie stammen aus der Betriebswirtschaft, der Juristik, aus Theologie und Religionsphilosophie, aus der Telematik (wenn auch Vater mit acht Kindern) und aus der Sozialarbeit; lediglich eine Person ist Sexualpädagoge (allerdings im besagten Heiligenkreuz von Nichtsexualpädagogen ausgebildet …). Nun möchte ich keinem Engagierten zu nahe treten: Aber in keinem anderen Fach wäre es möglich, sich mit derartigen „Expertisen“ als tonangebende Kräfte zu inszenieren und dafür auch noch viel Geld zu bekommen. Was eine ganze Reihe dieser Nicht-ExpertInnen hingegen vereint, ist, dass sie Mitglieder, Gründer oder Engagierte in einer „Initiative Christliche Familie“ sind – was ein Glaubensbekenntnis, aber keine Qualifikation für ein humanwissenschaftliches Fach ist. Letzteres gilt im übertragenen Sinn auch für manche fortschrittliche Experten, die zwar soziologisch, pädagogisch oder in Genderforschung qualifiziert sind, was aber ebenso eine sexualwissenschaftliche Grundbildung für Sexualpädagogik nicht ersetzt.
2) Weltanschauung vor Wissenschaft
Daraus kann man schließen, dass in sexualibus offenbar Weltanschauung oder Konfession wichtiger sind als Fachlichkeit. Da wird zwar von Kindeswohl und Lebensrealität gesprochen, aber von Kinder- und Jugendsexualität und den sich stellenden Problemen herrscht wenig Ahnung. Phrasen wie etwa der Primat der Familie für die Sexualerziehung werden betont, obwohl die Lebensrealität einerseits den familiären Nahraum als heikles Terrain ausweist, andererseits etwa Pubertierende alles andere wollen, als mit den Eltern über ihre Sexualität zu sprechen („peinlich“). Dabei könnte man gerade von Vertretern konservativ-konfessioneller Haltungen erwarten, auf Grund ehelicher Gewalt und familiären Missbrauchs Zurückhaltung zu zeigen.
Ist wirklich alles sozial konstruiert?
Wird hier die traditionelle Familien- und Ehevorstellung unkritisch reproduziert, meint man auf der anderen Seite des weltanschaulichen Spektrums wiederum, Kinder und Jugendliche mit einer extremen Nivellierung konfrontieren zu müssen, wonach Geschlechtsunterschiede vernachlässigbar, Bursch- oder Mädchensein sowieso unsicher und Geschlecht quasi frei wählbar wären. Auch das – sowie ein alles Vorgegebene leugnender (hybrider) Konstruktivismus („alles ist sozial konstruiert“) – grenzen mehr an Ideologie als an Wissenschaft. Insgesamt sollten deshalb Vertreterinnen und Vertreter sexueller Minderheiten kritisch reflektieren, inwieweit sie nicht ihre (berechtigten) Anliegen zu denen von Schülern machen.
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