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Wie sag ich's meiner Tochter?

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Es soll nicht immer zuerst etwas passieren, damit etwas ge-Ischieht", unter diesem Motto findet an österreichischen Schulen zur Zeit das Modellprojekt „Arbeitskreis Sexualerziehung" statt, bei dem Lehrer, Schüler und Eltern sich in der unterrichtsfreien Zeit gemeinsam in Arbeitskreisen mit dem „heißen Eisen" Sexualerziehung auseinandersetzen. Das Ergebnis soll dann in den schulischen Projektunterricht einfließen.

Der Leiter des Instituts für medizinische Biologie und Humangenetik an der Universität Innsbruck, Kurt Loewit, hat die wissenschaftliche Grundlage zum Modell „Arbeitskreis Sexualerziehung" gelegt. Nach seinen derzeitigen Forschungsergebnissen im Bereich der Fortpflanzungsbiologie und der Sexualmedizin ist der Mensch ein „Beziehungs-Wesen", was bedeutet, daß Kommunikation und soziale Integration in die Gesellschaft immer wichtiger werden. Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität hängen zunehmend von den kommunikativen und sozial-inte-grativen Fähigkeiten ab. Oberstes Ziel in der menschlichen Entwicklungsphase muß daher die Erziehung zur Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit sein. Sexualerziehung wird als Teil- und Spezialgebiet dieser Bemühungen verstanden und ebenfalls unter diesen Leitgedanken gestellt. Nach Meinung des Wissenschaftlers gehört es zu den Aufgaben der Erziehung zur Sexualität, daß die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule gefördert wird. „Auf keinem anderen lebenswichtigen Gebiet bleiben Elternhaus und Schule dem Heranwachsenden so viel schuldig, überlassen ihn so sehr sich selbst und dem unkontrollierten Einfluß zum Teil gefährlicher Miterzieher, lassen ihn so schlecht vorbereitet ins Leben stolpern wie auf dem Gebiet der Sexualität." (Kurt Loewit)

Diese Sprachlosigkeit im Hinblick auf Sexualität erleben besonders Eltern in der Be- Brigitte Cizek ziehung zu ihren Kindern und oft auch in ihrer eigenen Partnerschaft. Auch im Bereich der schulischen Sexualerziehungen haben Ergebnisse von Vorstudien deutlich gezeigt, daß Inhalte aus dem Bereich der Sexualität in Lehrerkonferenzen kaum thematisiert werden.

Woher kommt die „Sprachlosigkeit" auf diesem Gebiet?

■ Eltern fühlen sich mit der Sexualerziehung ihrer Kinder oft überfordert. Sie sind verunsichert und betroffen darüber, daß ihre Kinder bis zum Beginn der Pubertät mit ihnen über alles gesprochen haben und ab dann nicht mehr zu ihnen kommen. Diese Tatsache bedrückt viele Eltern.

■ Schüler erleben bei dieser Thematik in den Klassen und auch in ihrem Freundeskreis nicht selten einen starken Gruppendruck. Sehr häufig ist eine „Quasi-Offenheit" anzutreffen, was viele Schüler mit dem Gefühl belastet, scheinbar die „einzigen" zu sein, die noch keine bestimmten sexuellen Erfahrungen haben.

■ Lehrer werden von ihren Schülern als Experten auf sämtlichen Gebieten angesehen, so werden den Schulen immer mehr Erziehungsaufgaben übertragen. Aber auch Lehrer fühlen sich mit dieser hohen Anforderung oft alleingelassen, da gerade im Bereich der Sexualpädagogik die Ausbildung für sie nicht ausreichend ist. Das mag auch die Ursache dafür sein, daß es unter Lehrern nur äußerst selten zu einem Meinungsaustausch über dieses Thema kommt. Die Problematik des Expertentums bei Lehrern wird noch durch den Umstand verschärft, daß sie befürchten, im Rahmen der schulischen Sexualerziehung Schwierigkeiten mit den Eltern zü bekommen.

Das entwickelte Modell schafft hier gezielt die Möglichkeit, auf dem Gebiet der Sexualerziehung miteinander ins Gespräch zu kommen. Es wird eine Hilfe zur Selbstorganisation angestrebt. Derzeit wurden die Arbeitskreise bereits an über 80 österreichischen Schulen eingerichtet.

Welche Themen werden mit den Schülern behandelt?

■ Sich und seinen Körper besser verstehen lernen,

■ Aufklärung im biologischen Sinn,

■ Lösungsmöglichkeiten bei Partnerschaftsproblemen ,

■ Verantwortung sich und dem Partner gegenüber (Empfängnisregelung, Verhütung Geschlechtskrankheiten, HIV/AIDS-Vorbeugung),

■ Sensibilisierung für problematische Situationen, Neinsagen-Können,

■ Abbau von Schwellenängsten (zum Beispiel erste Besuche bei Frauen-arzt/ärztin, Ehe- und Familienberatungsstellen, Besuch von gynäkologischen und geburtshilflichen Abteilungen).

Kontaktadresse für weitere Informationen:

Dr. Brigitte Cizek und Dipl. Sozpäd. Olaf Kapella Beratungsstelle „Horizonte " Lacknergasse 36J2, 1170 Wien Telefon und Fax: 489 66 48.

Die Autorin ist freie Journalistin.

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